Der Italiener Fausto Russo ist an COVID-19 erkrankt. Er warnt aus dem Krankenbett davor, das Coronavirus zu unterschätzen, nur weil man noch jung sei. Er selbst war vorher kerngesund - dann aber konnte er urplötzlich nicht mehr eigenständig atmen.
In Italien, dem europäischen Land, das bisher am stärksten vom Coronavirus getroffen wurde, herrscht nach wie vor Unklarheit in vielen Fragen: Trägt jemand die Schuld an der starken Ausbreitung von SARS-CoV-2? Hat die Regierung zu den richtigen Massnahmen gegriffen, um die Verbreitung einzudämmen? Wie lange werden die strengen Einschränkungen noch aufrechterhalten?
In einer Angelegenheit sind sich mittlerweile alle Menschen in den betroffenen Gebieten des Landes einig: Sie haben das Coronavirus auf allen Ebenen dramatisch unterschätzt. Was die Schnelligkeit seiner Ausbreitung angeht ebenso, wie die Heftigkeit des Krankheitsverlaufs.
Gerade jüngere Menschen sind oftmals der Ansicht, dass COVID-19 ihnen nichts anhaben könnte, denn die Todesopfer, die das Coronavirus bisher gefordert hat, sind vor allem ältere Menschen und solche, die unter schweren Vorerkrankungen leiden. Doch diese Sicherheit ist trügerisch, denn das Coronavirus trifft auch junge und vollkommen gesunde Menschen mit unerwarteter Härte. Einer von ihnen ist der Italiener Fausto Russo: Russo ist 38 Jahre alt, Ehemann und Vater, Osteopath und Fitnesstrainer – und er liegt seit 23 Tagen wegen des Coronavirus im Krankenhaus.
"Plötzlich lag ich im Krankenhaus, ohne selbst atmen zu können"
"Wie alle Italiener habe auch ich das Coronavirus unterschätzt", berichtet Russo in einem Videotelefonat aus dem Krankenhaus Santa Maria Goretti in der Stadt Latina, die 80 Kilometer südlich von der Hauptstadt Rom liegt. Russo trägt ein blaues Krankenhaushemd. Seine müden Augen versinken hinter Wangen, die etwas aufgedunsen wirken. Der Russo im Videoanruf wirkt zehn Jahre älter als der Russo, der auf seinen Facebook-Profilbildern in die Kamera blickt.
"Ich bin eigentlich kerngesund und lebe ein sehr aktives Leben – sowohl bei der Arbeit als auch privat. Das letzte Mal hatte ich vor zehn Jahren Fieber", erzählt Russo. Doch dann sei er von einem Tag auf den anderen krank geworden, habe Husten und 38 Grad Fieber bekommen, das nicht mehr heruntergegangen sei. Drei Tage später sei er wegen Atembeschwerden ins Krankenhaus gekommen. "Ich hatte überhaupt keine Vorerkrankungen und plötzlich lag ich im Krankenhaus, ohne selbst atmen zu können", sagt er und die Fassungslosigkeit über die Situation liegt ihm noch immer in der Stimme.
Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte eine beidseitige Lungenentzündung und testeten Russo auf das Coronavirus. Das Testergebnis war positiv. Die Gewissheit, sich mit dem Virus angesteckt zu haben, habe keine Gefühle in ihm ausgelöst, sagt Russo. Aber: "Nicht atmen zu können, ist ein schreckliches Gefühl." Die Ärzte hätten ihm einen Sauerstoffhelm aufgesetzt, der ihm bei der Atmung geholfen habe. Sechs Tage habe er damit im Krankenhaus gelegen, ohne sich bewegen zu können, berichtet Russo. Er sei künstlich ernährt worden. "Die Tage in dem Helm werde ich nie vergessen. Das kann man eigentlich nicht beschreiben. Wie die Zeit nicht vergeht und man nicht mal eine Position zum Schlafen finden kann."
Genesung dank experimenteller Therapie
Anschliessend wurde Russo im Rahmen einer experimentellen Therapie mit dem Medikament Tocilizumab behandelt. Es wird eigentlich für die Behandlung von Rheuma verwendet, nun aber vermehrt für die Behandlung von durch das Coronavirus hervorgerufenen Lungenentzündungen eingesetzt. Das Medikament schlug an und Russos Zustand verbesserte sich. Doch auch heute, zwei Wochen später, befindet er sich noch im Krankenhaus. Auch der letzte Test auf das Coronavirus, dessen Ergebnis er am Montag bekommen hat, war noch nicht negativ.
Gesundheitlich ginge es ihm mittlerweile viel besser, berichtet Russo am Telefon. Er habe nur noch etwas Husten und ein unangenehmes Gefühl von Enge im Brustkorb. Das macht sich auch am Telefon bemerkbar, denn Russo hustet während des Gesprächs immer wieder. Es ist ein trockener Husten, ein Keuchen fast, das dem Zuhörer überdeutlich macht, wie schwer es für ihn nach wie vor sein muss, zu atmen.
Russo bedrückt aber etwas anderes mehr: "Mein Krankenhausaufenthalt ist sehr einsam. Ich bin die ganze Zeit allein." Seine Frau und Kinder habe er seit der Einlieferung am 8. März nicht mehr gesehen. "Ich muss geduldig sein", sagt er wie zu sich selbst.
Eindringlicher Appell an gesunde Menschen
Russos Geschichte ist auch deshalb so relevant, weil er sich vor rund drei Wochen mit dem Coronavirus infiziert hat. Er geht davon aus, dass es bei seiner Arbeit passiert ist, aber er weiss es nicht. Drei Wochen sind genau der Zeitraum, der Italien anderen europäischen Ländern wie etwa Deutschland mit der Coronawelle voraus ist. Mittlerweile haben zwar die Regierungen der meisten Länder die Gefahr erkannt, die vom Virus ausgeht und das öffentliche Leben drastisch eingeschränkt. Aber wie das vergangene Wochenende gezeigt hat, halten sich immer noch viele – gerade jüngere Menschen – nicht an die Sicherheitsmassnahmen, um eine Ansteckung zu verhindern.
Sie fühlen sich unverwundbar, das Gemeinwohl scheint sie nicht zu interessieren. Gerade ihnen sollte Russos Geschichte eine Warnung sein. Er selbst richtet einen eindringlichen Appell an jeden, der glaub, das Virus gehe ihn nichts an: "Bleibt zu Hause! Wir können die Pandemie nur gemeinsam stoppen."
Russo hofft, dass sein Test bald negativ ausfallen wird, damit er zurück zu seiner Familie kann. Obwohl kein weiteres Familienmitglied erkrankt ist, haben auch sie zwei Wochen Quarantäne eingehalten, die nun vorbei ist. Die Krankheit habe sein Leben verändert, berichtet Russo vom Krankenbett. "Diese Erfahrung wird mir helfen, den kleinen Dingen, die ich früher für selbstverständlich hielt, mehr Bedeutung beizumessen: Leben, Atmen, Gehen, eine Umarmung ... die Freiheit."
Verwendete Quellen:
- Videotelefonat mit Fausto Russo
- Ministero del Salute: “Covid-19, AIFA autorizza tre nuovi studi per sperimentazioni di farmaci per il trattamento dell’infezione da nuovo coronavirus“
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