In der neuen Folge des "Corona-Podcasts" des NDR macht der Virologe Christian Drosten wenig Hoffnung auf eine baldige Besserung der Lage. Drosten beschäftigt sich mit einer Studie aus England, die Fallzahlen und Massnahmen durchspielt. Ein Ergebnis ist, dass nur ein möglichst schnell verfügbarer Impfstoff oder ein Medikament Abhilfe schaffen können. Um dies möglichst schnell verfügbar zu machen, plädiert der Virologe dafür, ungewöhnliche Optionen in Betracht zu ziehen.
Die Lage in Deutschland und auf der ganzen Welt ist ernst. Die Fallzahlen mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen steigt Tag für Tag rapide an, das öffentliche Leben ist massiv eingeschränkt und teilweise zum Erliegen gekommen.
Millionen Menschen hierzulande und in der ganzen Welt stellen sich die Frage, wie es nun weitergehen wird.
Drosten sprach in erster Linie über eine neue Studie des Imperial College aus England, welche die Fallzahlen und Massnahmen durchspielt und die der Mediziner auch für Deutschland als recht zutreffend einschätzt. "Die Aussichten sind wirklich verzweifelnd. Es ist wirklich schlimm, was man da aus der Studie unter dem Strich rausliest", erklärte Drosten.
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Coronavirus: Studie kalkuliert mit fünfmonatigen Schulschliessungen
Die Studie untersucht Massnahmen wie die Schliessungen von Schulen und Universitäten, die hierzulande bereits beschlossen wurden. Für die Wirksamkeit dieser Massnahmen wird allerdings ein Zeitraum von fünf Monaten genannt. "Das ist eine extrem lange Zeit, das ist wirklich schwer durchzuhalten", erklärte Drosten.
"Zusätzlich wird gesagt, wenn man dann diese Massnahmen wieder loslässt, dann kommt die Infektion wieder zurück. Und zwar als Winterwelle. Und das müssen wir unbedingt vermeiden. Denn dann hätten wir nicht viel gewonnen und das Problem nur in den Winter verschoben."
Eine andere in der Studie untersuchte Möglichkeit ist, die Quarantänemassnahmen wie Schulschliessungen und Social Distancing zu lockern, sobald die Fallzahlen unter einen bestimmten Punkt fallen.
Dann könnten alle vorübergehend wieder ihr gewohntes Leben führen, sobald die Zahlen der Erkrankten aber wieder in die Höhe schnellen würden, müsste zu den Massnahmen zurückgekehrt werden. Das Problem dabei: dieses Modell müsste zwei Jahre durchgehalten werden. "Das ist nicht denkbar", sagte Drosten.
Drosten: "Wir müssen einen Impfstoff finden"
Die Botschaft der Studie sei laut Drosten, "dass wir es durchaus schaffen können - und das sehe ich für Deutschland genauso -, die Kurve zu kriegen und diese Fallzahlen in den frühen Sommermonaten so weit zu senken, dass wir so gerade eben alle Patienten versorgen können. Und nicht in die Situation eines überstrapazierten Gesundheitssystems reinlaufen, wo dann die Fallsterblichkeit hochgeht, weil nicht mehr die beatmet werden können, die es brauchen. Das können wir schaffen. Aber wir müssen zusätzlich etwas anderes finden. Wir müssen einen Impfstoff finden oder ein Medikament, das man den Älteren geben könnte."
Zunächst also gilt es, die erste Welle abzufangen, dann muss schnell eine Möglichkeit zu Behandlung oder Vorbeugung gefunden werden. Dabei sei es nicht zwangsläufig nötig, die ganze Bevölkerung zu versorgen, erklärte der Leiter des Instituts für Virologie der Berliner Charité, aber für die Risikogruppen müsse eben möglichst schnell eine Lösung her.
"Mein persönlicher Schluss, wenn wir das als Gesellschaft in einer Art schaffen wollen, dass wir nicht eine erhöhte Todesrate in der älteren Bevölkerung akzeptieren wollen, dann müssen wir wahrscheinlich regulative Dinge ausser Kraft setzen, was Impfstoffe angeht und schauen, wo wir einen Impfstoff herbeizaubern, der schon relativ weit entwickelt ist."
Drosten hofft auf eine schnellere Zulassung eines Impfstoffs
Klinisch getestet wurde noch kein Impfstoff für SARS-CoV-2, sehr wohl aber für das alte SARS-Virus, dessen Mitentdecker Drosten ist. Der Virologe hofft, dass eine schnellere Zulassung eines Impfstoffs möglich gemacht wird. "Man muss dann überlegen, wie man es hinbekommen kann, regulative Prozesse in dieser Ausnahmesituation für eine Spezialgruppe in der Bevölkerung vielleicht zu lockern", sagte Drosten.
"Für ein solches Risiko müsste dann auch der Staat haften, das sind alles ganz schwere Überlegungen, da es viele Menschen betreffen würde. Das ist noch nicht ins Reine gedacht, aber ich denke, wir müssen den Denkprozess unter Experten in der Wissenschaft jetzt starten. Wenn wir an diese Modellierungszahlen glauben, müssen wir auch an ungewöhnliche Optionen denken."
Und auf noch etwas wies der Wissenschaftler in der Mittwochsausgabe des Podcasts hin. "Jetzt so langsam endet die Influenza-Saison", sagte Drosten: "Jetzt kann man fast schon demnächst sagen: Wer jetzt die Symptome hat, kann sich als infiziert betrachten. Man soll natürlich Diagnostik suchen, aber davon ausgehen, dass man es hat und zu Hause bleiben."
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