Strenge Regeln haben Besuche bei den Grosseltern für viele Kinder wochenlang unmöglich gemacht. Mit den jüngsten Lockerungen wären sie theoretisch vereinbar - aber sind sie auch vertretbar? Mediziner geben eine Einschätzung.
Angesichts der gelockerten Kontaktbeschränkungen sind Besuche von Kindern bei Oma und Opa Altersmedizinern zufolge unter bestimmten Bedingungen unproblematisch. "Ein Besuch der Enkelkinder bei den Grosseltern, für eine beschränkte Zeit, ohne körperlichen Kontakt und unter Einhaltung der nun allen bekannten Hygieneregeln ist sicher kein Problem", sagt Hans Jürgen Heppner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie.
Er sagt aber auch: "Wir wissen alle, wie sehr Familien, und besonders Grosseltern, darunter leiden, sich einander nicht treffen zu können. Aber lassen Sie es langsam angehen, damit wir nicht Gefahr laufen, dass Beschränkungen wieder eingeführt werden müssen."
Lesen Sie auch: Kein Kontakt mit Grosseltern und Gleichaltrigen – das macht die Kontaktsperre mit Kindern
Die Bevölkerung habe in den vergangenen Wochen viel über Hygieneregeln, Disziplin und gegenseitige Rücksichtnahme gelernt, erklärt Heppner. Deshalb sei es durchaus an der Zeit, wieder darüber nachzudenken, wie sich Familien vernünftig treffen könnten.
Er betonte aber auch: "Sars-CoV-2 ist noch nicht verschwunden! Corona lauert noch um die Ecke." Trotz aller negativen Folgen von Isolation und Kontaktbeschränkungen auf körperliches und seelisches Wohlbefinden müsse weiterhin vernünftig gehandelt werden.
Das Risiko hat sich für gefährdete Personen nicht verändert
Auch der Virologe Hans Georg Kräusslich verweist auf die Verantwortung des Einzelnen, wenn es um die Frage geht, ob Kinder nun wieder Oma und Opa besuchen dürfen. "Auch bei geringeren Zahlen an Neuinfektionen ist das Virus in Deutschland weiterhin vorhanden und das Risiko im Falle einer Infektion für besonders gefährdete Personen nicht verändert", erinnert der Mediziner.
Eine klare Empfehlung aus medizinischer Sicht hält Kräusslich nicht für sinnvoll. Vielmehr würden mit der graduellen Lockerung von Beschränkungen durch die Politik "Eigenschutz und Vermeidung der Ausbreitung stärker in die Verantwortung des Einzelnen gelegt". Das gelte nicht nur für Grosselternbesuche.
Wer sich letztendlich für ein persönliches Wiedersehen von Enkeln und Grosseltern entscheidet, solle Sicherheitsvorkehrungen treffen, sagt auch der Infektiologe Janne Vehreschild: "Wenn man auf engem Raum zusammensitzt und die gleiche Raumluft atmet, wird es ein Ansteckungsrisiko geben, wenn jemand das Virus in sich trägt." Deshalb: "Wer sich schützen will, sollte also auch dann Abstand halten, sich freundlich zulächeln statt Küsschen geben oder Umarmen. Und im Zweifel dennoch Maske tragen."
Infektiologe: "Das würde ich nicht machen"
Bei einem Besuch der Grosseltern penibel darauf zu achten, nichts anzufassen, hält Vehreschild hingegen für übertrieben: "Dass etwa am Handtuch im Badezimmer das Virus haftet, von dort an die Hand kommt und so irgendwann in die Schleimhäute – das ist sehr unwahrscheinlich."
Das Risiko, das Virus über eine Fläche zu übertragen, sei zwar nicht null, sagt er. "Aber, dass man den Schöpflöffel aus Vorsicht nicht mehr teilt, ist so eine Detail-Optimierung, die gegenüber den anderen Risiken eines solchen Besuches nicht relevant ist. Das würde ich nicht machen."
Bund und Länder hatten am Mittwoch beschlossen, die bestehenden Kontaktbeschränkungen grundsätzlich weiter bis zum 5. Juni zu verlängern - mit der Lockerung, dass sich nun auch Angehörige zweier Haushalte treffen dürfen. Kanzlerin Angela Merkel hatte in diesem Zusammenhang aber auch weiter zu besonderer Vorsicht im Umgang mit älteren Menschen geraten. (dpa/lh)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.