- Der Hospitalisierungsindex soll eine bessere Einschätzung der Corona-Lage ermöglichen.
- Mehrere Medien rechneten in den vergangenen Wochen vor, wie der neue Indikator für die Corona-Politik die Lage dramatisch unterschätzt.
- Neben Meldeverzug fallen viele Patienten aus der Statistik.
Woran erkennt man, wie sich die Corona-Pandemie entwickelt? Welche Grundlagen hat die Politik, um Entscheidungen zu treffen? Lange galt die 7-Tage-Inzidenz als entscheidende Grösse, um die Lage zu bewerten. Doch seit mehr Menschen geimpft sind und damit schwere Verläufe seltener werden, ist dieser Marker nicht mehr so aussagekräftig wie noch im vergangenen Herbst. Deshalb gibt es nun die Hospitalisierungsrate:
Was ist die Hospitalisierungsrate?
Sie ist neben der 7-Tage-Inzidenz und der Impfquote eine relativ neue Grösse, der die Lage in den Krankenhäusern darstellen soll. Sie soll rechtzeitig anzeigen, dass eine Überlastung der Kliniken droht. Der Hospitalisierungsindex ist zuletzt allerdings vielfach kritisiert worden.
Die Hospitalisierungsrate gibt an, wie viele Patienten, die positiv auf das Corona-Virus getestet worden sind, innerhalb der vergangenen sieben Tage in eine Klinik aufgenommen worden sind – berechnet auf 100.000 Einwohner. Das heisst konkret: Wenn die Rate bei drei liegt, sind in den vergangenen sieben Tagen drei von 100.000 Personen in ein Krankenhaus aufgenommen worden, bei denen ein positiver Corona-Test vorliegt.
Was wird an der Hospitalisierungsrate kritisiert?
Kritiker der Hospitalisierungsrate bemängeln, dass sie zwar einerseits als Grundlage für Entscheidungen dienen soll, andererseits aber die aktuelle Situation in den Krankenhäusern systematisch unterschätzt. Darauf wies zunächst der SWR hin, auch Spiegel, Zeit Online und der NDR haben entsprechende Berechnungen durchgeführt.
Was genau ist das Problem?
Kritisiert wird im Detail, dass für die Berechnung nicht das Datum der Klinikeinweisung zugrundegelegt wird, sondern das Datum des ersten positiven Tests. Viele Covid-Patienten müssen aber nicht zu Beginn der Erkrankung in einer Klinik versorgt werden, sondern erst nach einigen Tagen oder sogar Wochen.
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Ein fiktives Beispiel dazu: Thomas K. wird am 27.8. positiv auf das Corona-Virus getestet. Am 6.10. hat sich sein Zustand so stark verschlechtert, dass er in ein Krankenhaus aufgenommen wird. Dieses meldet die Einweisung nun per Fax ans Gesundheitsamt, was die Daten ans RKI weitergibt – im Detail das Datum, an dem Thomas K. positiv getestet worden ist.
Thomas K. würde also aus der aktuellen 7-Tage-Rate herausfallen und rückwirkend dem 27.8. zugeordnet werden. Das spiegelt aber nicht die aktuelle Situation in den Krankenhäusern wider, die damit unterschätzt wird: Die haben nicht am 27.8. ein Problem gehabt, wenn Thomas K. rückwirkend in der Statistik auftaucht, sondern gegebenenfalls am Tag der Einweisung am 6.10., sofern dann der Platz knapp wird.
Wie sieht das in konkreten Zahlen aus?
Laut Zeit Online liegt der tatsächliche Hospitalisierungsindex im Durchschnitt um rund 79 Prozent höher als der Wert, den das Robert-Koch Institut (RKI) zunächst angegeben hat. Das hat Zeit Online in einer rückblickenden Datenanalyse vom 2. bis zum 27. August 2021 ermittelt.
Am grössten war die Abweichung demnach bislang am 23. August: Das RKI hatte zunächst 1,28 Hospitalisierungen je 100.000 Einwohner gemeldet. Später lag dieser Wert aber bei 2,5, war also fast doppelt so hoch. Auch der Spiegel hat eine ähnliche Berechnung angestellt. Er kommt auf Werte, die rund 70 Prozent über dem ursprünglich gemeldeten Wert liegen.
Wie kommt es dazu?
Wenn es wegen Covid-19 zu einer Einweisung in ein Krankenhaus kommt, liegt der Coronatest meist schon etwas zurück. Die Fälle werden entsprechend des Testdatums zugeordnet, das oft an einem der vorherigen Tage oder sogar Wochen liegt.
Das RKI berücksichtigt das zwar und korrigiert die Werte nachträglich. Diese Daten fallen aber oft gar nicht mehr auf – in den Nachrichten geht es in der Regel um den aktuellen Wert, an dem sich mutmasslich auch die politischen Entscheidungsträger orientieren. Die aktuelle Kurve sieht fast immer so aus, als würde sie sinken und als sei Entspannung in Sicht. Das liegt aber nur daran, dass noch Nachmeldungen fehlen und die Daten erst nachträglich entsprechend angepasst werden.
Der Rechenweg, den das RKI nutzt, ist nicht grundsätzlich falsch – er zeigt allerdings nur zuverlässige, belastbare Daten an für Zeiträume, die bereits zurückliegen. Das heisst konkret, dass der tagesaktuelle Inzidenzwert niedriger ausfällt, als er tatsächlich ist – und dann in den kommenden ein bis zwei Wochen nachträglich ansteigt und korrigiert wird, wenn Patienten ins Krankenhaus kommen, die in der Vergangenheit positiv getestet worden sind.
Warum ist das ein Problem?
Auch wenn die Daten nachträglich korrigiert werden – in einer Pandemie ist es essenziell, Entscheidungen auf Basis aktueller Daten zu fällen, um schnell auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können. Wichtig wäre insbesondere ein Frühwarnsystem, wenn eine Überlastung in den Krankenhäusern droht.
Es gibt es auch ein Problem damit, wie die Daten auf der Seite des RKI dargestellt werden: In den Covid-19-Trends sieht es zumindest auf den ersten Blick so aus, als ginge die Zahl der Krankenhauseinweisungen zurück. Das bedeutet aber nicht, dass die Zahlen tatsächlich sinken – sondern nur, dass die Daten noch unvollständig sind. Die aktuellen Werte sind deshalb mit vergangenen Werten eigentlich gar nicht vergleichbar.
Welche Alternativen gibt es?
Präziser könnte der Index ausfallen, wenn man das Datum der Einweisung als Grundlage nähme, um aktuellere Daten zu nutzen. Grossbritannien beispielsweise ermittelt seinen Index auf diese Weise. Sinnvoll wäre dann, die Daten der vergangenen vier Tage nicht zu berücksichtigen, wie Grossbritannien es macht, da die Angaben aus den Kliniken unvollständig sein können, da die Daten manchmal verzögert gemeldet werden.
Was sagt das Robert Koch-Institut (RKI) dazu?
Das RKI begründet das Vorgehen auf Nachfrage damit, dass für jeden übermittelten Fall das Meldedatum vorliege, also das Datum, an dem es einen positiven Coronatest gab. Das Datum der Einweisung in ein Krankenhaus liege aber nicht immer vor. Den Meldeverzug, der zu der fälschlich abflachenden Kurve führt, bezeichnet das das RKI als "nicht überraschend", verwies aber darauf, dass es bei den Trends einen optischen Hinweis dazu und eine Erläuterung gebe.
Tatsächlich sind dort die jeweils vergangenen 14 Tage grau unterlegt. Die Erläuterung dazu bekommt man allerdings erst, wenn man mit dem Mauszeiger über ein kleines "i" rechts oben geht. Dann heisst es: "Die letzten 14 Tage sind grau unterlegt, da durch Übermittlungsverzug die Werte in gewissem Mass unterschätzt werden können."
Um den Hospitalisierungsindex zu erstellen, habe das RKI "natürlich verschiedene Berechnungsmethoden überprüft". Mit dem gewählten Meldedatum könnten die Trends am zuverlässigsten abgebildet werden. Etwas mehr als die Hälfte der Einweisungen in ein Krankenhaus würden bereits am Tag der Meldung berichtet, "der Rest folgt in den nachfolgenden etwa drei Wochen", schreibt RKI-Pressesprecherin Susanne Glasmacher in ihrer Antwort. "Auch wenn es noch viele Nachmeldungen gebe, gebe der tagesaktuelle Wert die Entwicklung grundsätzlich richtig wieder, nur eben auf niedrigem Niveau", heisst es weiter.
Wie geht es weiter?
Vorläufig bleibt die Hospitalisierungsrate in ihrer jetzigen Form bestehen. Inwiefern als Frühwarnsystem taugt, müssen die kommenden Monate zeigen.
Verwendete Quellen:
- schriftliche Antwort des Robert-Koch Instituts auf eine schriftliche Anfrage
- NDR.de: Hospitalisierungsrate unterschätzt Patientenzahlen dramatisch
- Spiegel Online: Hospitalisierungsinzidenz: Der neue Coronaindikator führt in die Irre
- Zeit Online: Die trügerischen Hospitalisierungsraten des RKI
- GOV.UK: Coronavirus (COVID-19) in the UK Healthcare in United Kingdom
- Robert Koch-Institut: COVID-19-Trends in Deutschland
- Robert Koch-Institut: Covid-19-Trends in Deutschland im Überblick
- Robert Koch-Institut, Aktuelle Situationsberichte, Wochenberichte und COVID-19-Trends im Überblick
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