Immer wieder vermelden Forschungsinstitute und Pharmafirmen Erfolge bei der Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Das macht Hoffnung auf ein schnelles Mittel gegen die Pandemie. Zu Recht?
Rund neun Monate sind vergangen, seit die Weltgemeinschaft auf eine neue Gefahr aufmerksam wurde: SARS-CoV-2. Schon kurz nach seiner Entdeckung begann die Wissenschaft damit, nach einem Impfstoff zu forschen, die ersten klinischen Versuche, also Tests mit Menschen, fanden schon im März statt.
Seitdem gab es immer wieder Erfolgsmeldungen, unter anderem von der University of Oxford und dem US-Unternehmen Moderna. Ein Impfstoff ist allerdings noch nicht auf dem Markt - abgesehen von "Sputnik-V" aus Russland, dem jedoch nicht wenige Experten mit grosser Skepsis begegnen, etwa der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek.
Noch nie ging es so schnell wie jetzt
Allein die Tatsache, dass es trotz der Erfolgsmeldungen ausser "Sputnik-V" noch keinen Impfstoff gibt, lässt manchen Beobachter skeptisch werden. Hinzu kommt, dass einige Experten immer wieder sagen: Möglicherweise werde es nie einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 geben.
Sind die angeblichen Erfolgsmeldungen in Sachen Impfstoff-Entwicklung also nur PR - und geht es in Wirklichkeit gar nicht so schnell voran?
Tatsache ist: Es gibt ausser dem russischen noch keinen zugelassenen Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Tatsache ist aber auch: Nie zuvor hat es in so kurzer Zeit so viele Fortschritte bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegeben. "Und noch nie wurde an so vielen Impfstoffen parallel gearbeitet", sagt die Virologin Christine Dahlke vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im Gespräch mit unserer Redaktion.
Impfstoff muss an mehr als 10.000 Menschen erprobt worden sein
Die Herstellung eines Impfstoffes, fachsprachlich: eines Vakzins, ist aufwendig. Vor den klinischen Tests stehen Labor- und Tierversuche - jede einzelne Phase dauert normalerweise mehrere Monate. Bei SARS-CoV-2 konnte zwar auf Vorarbeit zurückgegriffen werden, zum Beispiel auf die zum ersten SARS-Virus und zu MERS, einer Atemwegserkrankung, die sich vor einigen Jahren vor allem im Mittleren Osten ausbreitete.
Für die wurden sogenannte Vakzine-Plattformen entwickelt, die ein harmloses Virus als Gerüst enthalten, das mit Teilen schädlicher Viren bestückt wird. Je nachdem, welche Teile am Ende zum Einsatz kommen und wie sie in unsere Körperzellen gelangen, heissen die Impfstoffe RNA-, DNA- oder Vektorimpfstoffe.
Trotz dieser schon vorhandenen Grundlagen dauert es Wochen, einen Impfstoff zu designen. Danach beginnen erst die Tests im Labor, mit Tieren und schliesslich mit Menschen. Vor einer Zulassung in der Europäischen Union muss ein Vakzin mehr als 10.000 Menschen testweise verabreicht worden sein und dabei sowohl wirken als auch sicher sein - das heisst: so wenige Nebenwirkungen wie möglich zeigen.
RNA, DNA, lebend, tot - alle möglichen Impfstoffarten werden getestet
Bis Mitte August wurde laut der Weltgesundheitsorganisation WHO an 167 Impfstoffen geforscht. 29 sind in der klinischen Prüfung, werden also an Menschen erprobt. Sechs dieser Impfstoffe sind bereits in Phase III der klinischen Tests, bei der es nicht mehr nur um die Verträglichkeit geht, sondern darum, ob das Präparat auch schützt.
Dabei verfolgen die Impfstoffentwickler unterschiedliche Ansätze: Während etwa die University of Oxford auf einen Vektorimpfstoff setzt, erprobt Sinovac aus China einen Totimpfstoff. Andere Wettbewerber, etwa Moderna und der deutsche Hersteller Biontech, wollen einen RNA-Impfstoff zur Zulassung bringen. RNA-Impfstoffe enthalten kurze Stücke kopierter Erbinformationen des Virus.
Alle Impfstoffarten haben Vor- und Nachteile. So gelten Totimpfstoffe als leicht in grossen Mengen herstellbar, aber auch als eher risikoreich. Der Impfstoff des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), der im September in die Phase der klinischen Versuche gehen soll, ist ein Vektorimpfstoff. Er basiert auf einer harmlosen Variante des Pockenvirus und ist sehr gut verträglich, wie vorangegangene Studien mit diesem Trägervirus zeigten.
"Wichtig, dass solche Zwischenergebnisse veröffentlicht werden"
Bislang hat noch keiner der von der WHO gelisteten Wirkstoffe die Phase III beendet und Ergebnisse geliefert. Einige Resultate der Phase II, etwa aus Oxford oder von Moderna, sind für Experten jedoch vielversprechend. "Es ist richtig und wichtig, dass solche Zwischenresultate veröffentlicht werden. Sie zeigen, dass einige der Impfstoffe tatsächlich Immunantworten hervorrufen", sagt Christine Dahlke.
Das heisst noch nicht, dass sie auch vor einer Erkrankung schützen. Darüber können nur Ergebnisse in Phase III Aufschluss geben - und diese Resultate werden wohl erst in einigen Monaten vorliegen. Auch dann bleiben aber wohl noch Fragen offen, etwa: Wie lange hält der Schutz vor? Eignet sich ein spezieller Impfstoff für alle Bevölkerungsgruppen gleichermassen - für Frauen, Männer, Kinder, Ältere, Gesunde und Kranke? "Der erste Impfstoff wird natürlich am meisten Aufmerksamkeit bekommen, aber es wird wahrscheinlich nicht der einzige bleiben", glaubt Christine Dahlke.
Bis alle Fragen beantwortet werden können, wird wohl noch deutlich mehr Zeit vergehen als die neun Monate seit der Entdeckung des Virus.
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Dr. Christine Dahlke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und Projektmanagerin beim Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)
- Aktueller Stand der Impfstoffkandidaten bei der WHO (Stand: 13. August)
- Paul-Ehrlich-Institut (PEI): FAQ – Coronavirus SARS-CoV-2 / COVID-19
- NDR-Podcast "Coronavirus-Update", Folge 52
- University of Oxford: New Study Reveals Oxford coronavirus vaccine produces strong immunse response
- tagesschau.de: Warnung vor russischem Impfstoff
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