Während ganz Grossbritannien stillsteht, fährt der Chefberater der britischen Premierministers quer durchs Land. Nicht nur die Opposition, sondern auch konservative Abgeordnete fordern den Rücktritt von Dominic Cummings - doch Boris Johnson hält zu ihm.

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Der britische Premierminister Boris Johnson hat am Sonntag versucht, einen Strich unter die Affäre wegen angeblicher Lockdown-Verstösse seines Chefberaters Dominic Cummings zu ziehen. Der Premier stellte sich demonstrativ hinter den umstrittenen Berater. Nach einem ausführlichen Gespräch sei er zu dem Schluss gekommen, dass Cummings "den Instinkten eines jedes Vaters gefolgt" sei, sagte Johnson bei einer Pressekonferenz am Sonntag. Cummings habe "in jeder Hinsicht verantwortlich, legal und mit Integrität" gehandelt, so der Regierungschef.

Zuvor war nicht nur von der Opposition, sondern auch aus den eigenen Reihen der Druck auf Cummings gestiegen, wegen der angeblichen Verstösse zurückzutreten. Dem Wahlkampfstrategen wird vorgeworfen, mit einer Reise von London zu seinen Eltern ins rund 430 Kilometer entfernte Durham Ende März die Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie umgangen zu haben. Jüngsten Berichten zufolge reiste er sogar mindestens zwei Mal dorthin. Das bestreitet die Regierung jedoch.

Cummings wollte Betreuung für Sohn sicherstellen

Die Debatte hatte am Wochenende das Nachrichtengeschehen in dem Land dominiert. Cummings bestand darauf, "vernünftig und legal" gehandelt zu haben. Er habe die Betreuung für seinen Sohn sicherstellen wollen, weil seine Frau an Covid-19 erkrankt gewesen sei und er selbst auch mit einer Ansteckung habe rechnen müssen. Er erkrankte nach eigener Darstellung kurz nach seiner Ankunft in Durham. Gemäss den Richtlinien der Regierung waren zu diesem Zeitpunkt Reisen nur bei zwingenden Gründen erlaubt.

"Dominic Cummings muss gehen, bevor er Grossbritannien, der Regierung, dem Premierminister, unseren Institutionen oder der Konservativen Partei noch mehr Schaden zufügt", schrieb der Tory-Abgeordnete und Erz-Brexiteer Steve Baker am Sonntag auf der Webseite "The Critic".

Dominic Cummings habe in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass er glaube, Regeln würden für ihn nicht gelten. Auch habe er die Rechenschaftspflicht für jeden, der eine mächtige Position ausfülle, mit Füssen getreten, schrieb der konservative Politiker Damian Collins und fügte hinzu: "Die Regierung wäre ohne ihn besser dran."

Grossbritannien hat höchste Zahl an Todesfällen in Europa

"Die Menschen haben ausserordentliche Opfer gebracht während dieser Pandemie und des Lockdowns. Es kann nicht sein, dass es eine Regel gibt für die, die sie machen und eine andere für das britische Volk", sagte ein Sprecher der Labour-Partei. Der ehemalige Polizeichef der Grafschaft Durham, Mike Barton, sagte der BBC in einem Interview: "Lasst uns nicht um den heissen Brei reden, er hat die Regeln gebrochen, das ist sehr klar."

Grossbritannien hat offiziellen Zahlen zufolge die höchste Zahl an Todesfällen durch die Coronavirus-Pandemie in Europa. Bis Samstag starben dort knapp 36 800 Menschen, nachdem sie positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Inzwischen ist die Zahl der täglich neu gemeldeten Infektionen und Todesfälle zurückgegangen. Doch es wird befürchtet, dass die Epidemie wieder an Fahrt aufnehmen könnte, wenn die Regeln zur Kontaktbeschränkung nicht mehr eingehalten werden sollten. Cummings könnte das Vertrauen in die Regierung irreparabel beschädigt haben, meinen Kritiker.

Cummings gilt schon seit Langem als umstritten. Ihm werden der Erfolg der Brexit-Befürworter im Referendum über den EU-Austritt 2016 und der Sieg der Konservativen bei der vergangenen Parlamentswahl zugeschrieben. Doch auch irreführende Slogans wie das Versprechen, der EU-Austritt werde 350 Millionen Pfund (390 Millionen Euro) pro Woche freisetzen, die in das marode britische Gesundheitssystem investiert werden könnten, sollen auf ihn zurückgehen.

Graue Eminenz in der Downing Street

Unter Johnson stieg Cummings zur grauen Eminenz in der Downing Street auf. Wie gross sein Einfluss in der Regierung inzwischen ist, wurde im Februar deutlich, als Finanzminister Sajid Javid nach einem Machtkampf mit dem Berater seinen Hut nehmen musste. Das Amt des Schatzkanzlers ist in Grossbritannien traditionell der zweitwichtigste Posten nach dem Premierminister. Cummings gilt daher inzwischen als faktisch zweiter Mann im Vereinigten Königreich.

Eine erste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zu dem Thema legt nahe, dass mehr als zwei Drittel der Briten (68 Prozent) die Reise Cummings für einen Bruch der Lockdown-Regeln halten. Eine knappe Mehrheit (52 Prozent) befürwortet seinen Rücktritt. Befragt wurden 3700 Erwachsene in Grossbritannien am Samstag. (dpa/fra)

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