Gesundheitsminister Jens Spahn hat nach seinen Äusserungen zu infiziertem Pflegepersonal Kritik auf sich gezogen. Branchenvertreter fordern einen Strategiewechsel.
Unmittelbar vor der Präsentation aktueller Regierungspläne gegen den Pflegenotstand hat Gesundheitsminister
"Corona-Infizierte weiterarbeiten zu lassen, ist der politische Offenbarungseid. Der Geist der Konzertierten Aktion wäre tot", sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin. Spahn, Familienministerin
Spahn will positiv getestetes Personal weiter arbeiten lassen
Zum Abschluss des Deutschen Pflegetags hatte sich Spahn am Donnerstag zu möglichen Einsätzen von Beschäftigten des Gesundheitswesens in Kliniken oder Pflegeheimen geäussert, die sich mit dem Coronavirus angesteckt haben. Der beste Weg sei, dass ein Infizierter und die Menschen, die mit ihm in Kontakt standen, in Quarantäne bleiben, sagte Spahn.
"Wenn (...) wegen Isolation und Quarantänemassnahmen so viele dann gar nicht mehr da sind, im Krankenhaus, in der Arztpraxis, in der Pflegeeinrichtung, dass die Versorgung zusammenbricht, muss man schauen, was ist neben der bestmöglichen Lösung die zweitbeste." Dann könne es nötig sein, dass die Kontaktpersonen mit täglichen Tests und FFP2-Masken weiter arbeiten.
Die "Rückfallrückfallposition" sei aber, "die positiv Getesteten mit ganz besonderen Schutzvorkehrungen auch arbeiten zu lassen". Nach Medienberichten kam dies bereits vereinzelt in Deutschland vor.
Brysch forderte einen Strategiewechsel weg von den standardmässigen PCR-Corona-Tests und Quarantäneregeln in Kliniken und Heimen. "So werden die Krankenhäuser und Pflegeheime vor die Wand gefahren", sagte er.
Dann "ist die Personalnot vorprogrammiert"
"Wenn bei 38 positiv getesteten Klinikmitarbeitern zusätzlich 600 Mitarbeiter in Quarantäne geschickt werden müssen, ist die Personalnot vorprogrammiert." Brysch forderte "einen systematischen und täglichen Einsatz von Schnelltests bei allen Mitarbeitern in Krankenhäusern und Heimen". Dann liege in 20 Minuten das Ergebnis zu einer Ansteckung vor. Ein PCR-Test müsse folgen.
Branchenvertreter hatten auf dem zweitägigen Pflegetag auf ihre Nöte aufmerksam gemacht. Zu den aktuell drängendsten Problemen zählt ein Mangel an Intensivplätzen für COVID-19-Kranke wegen zu wenigen Intensivpflegern.
Auch an anderen Stellen in Kliniken und Altenheimen ist die ohnehin hohe Belastung weiter gestiegen. Spahn sagte zum Abschluss des Pflegetags: "Diese Zusatzbelastung durch die Pandemie facht das Problem, das vorher schon da war, weiter an."
Viele fragten sich: "Wie sollen wir das alles aushalten?" Auf den Weg gebrachte Massnahmen wirkten aber nicht unmittelbar. "Wir haben hier einen Marathon, keinen Sprint." So liessen sich Intensivpflegefachkräfte nicht "mal eben in ein paar Monaten" ausbilden.
Regierung will dem Pflegemangel den Kampf ansagen
Mit der Konzertierten Aktion will die Regierung dem Pflegemangel den Kampf ansagen. So will Spahn die Bezahlung nach Tarif rechtlich verankern, wie es nach Angaben des Nachrichtenportals "ThePioneer" am Freitag in dem Zwischenbericht heisst.
"Die Entlohnung entsprechend Tarif für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen soll künftig Voraussetzung für die Zulassung zur Versorgung werden", stellt ein der dpa vorliegendes Eckpunktepapier aus Spahns Ministerium für eine Pflegereform 2021 fest.
Der Stand der Aktion bisher sind Pläne aus verschiedenen Arbeitsgruppen. So sollen Pflegefachkräfte in ihrer Rolle gegenüber Ärzten aufgewertet, ihre Kompetenzen gestärkt werden. Zehn Prozent mehr Auszubildende soll es bis 2023 geben.
Laut Zwischenbericht stiegen die Ausbildungszahlen gegenüber dem Vorjahr in Bayern, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen tendenziell an. In Berlin, Baden-Württemberg, Brandenburg und Sachsen sänken sie womöglich.
Zentraler Teil der Konzertierten Aktion ist laut Spahn eine neue Personalbemessung in der Altenpflege. "Wir starten mit 20.000 zusätzlichen Pflege-Assistenzkräften zum 1.1.", sagte er auf dem Pflegetag. In den Kliniken sollten dann zum 1. Februar 2021 in mehr Bereichen als heute "kluge Personaluntergrenzen" eingeführt werden.
Spahn fordert Pflegekräfte auf, sich zu organisieren
Spahn versicherte, auch in der Pandemie sollten solche Untergrenzen sowie Arbeitszeitbegrenzungen in der Pflege nicht ausgesetzt werden. Dies sei für ihn höchstens im Extremfall eine Option.
Eindringlich forderte der CDU-Politiker die Pflegekräfte dazu auf, sich zu organisieren, um ihre Interessen durchsetzen zu können. Auch in Tarifverhandlungen sei man "zusammen stärker".
Eine durchwachsene Zwischenbilanz zur Konzertierten Aktion zog auf dem Pflegetag die Gewerkschaft Verdi: Entlastung sei bei den Pflegenden noch nicht angekommen. (msc/dpa)
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