Viele Berufsgruppen leiden in der Coronakrise. Unter anderem Künstler, aber auch in der Gastronomie tätige Personen sind von Einschränkungen betroffen. Auch viele Amateur-Fussballklubs kämpfen ums Überleben und fühlen sich im Stich gelassen. Wir haben Giuseppe Scialdone, Vorstand des Münchner Stadtvereins SpVgg 1906 Haidhausen, getroffen.
Giuseppe Scialdone sitzt rauchend vor dem Vereinsheim der SpVgg 1906 Haidhausen. Er ist mittelgross, braunhaarig und trägt eine randlose rechteckige Brille. Er hat sich an einem Tisch unter einem weissen Plastik-Pavillon niedergelassen, sein Blick schweift über den mit Kunstrasen bedeckten Hauptplatz.
Es ist ein milder Nachmittag. Viel los ist hier aktuell nicht, noch immer wütet das Coronavirus. Regulärer Spielbetrieb? Fehlanzeige. Die Corona-Massnahmen lassen das nicht zu. Nur zwei Jungen schiessen abwechselnd auf ein Tor des verwaisten Platzes. Ansonsten ist niemand da. Auch wenn das Vereinsgelände mitten in der Stadt liegt, ist es doch auffällig ruhig. Vereinzelt hört man Vögel zwitschern, hin und wieder fährt ein Auto in langsamen Tempo die Strasse entlang.
"Am meisten trifft es die Kinder, für die ist das das schlimmste." Scialdone lässt sich von Schwierigkeiten in der Pandemie zwar nicht entmutigen. Aber vor allem für "seine" Kinder tut es ihm leid, dass kein regulärer Spielbetrieb möglich ist. Rund 350 Kinder kicken bei dem Münchner Fussballverein. Ausserdem sind rund 100 Erwachsene im Klub angemeldet.
Scialdone – oder "Peppo", wie den 43-Jährigen viele auf dem Vereinsgelände nennen – ist seit seinem siebten Lebensjahr im Verein, der im Münchner Stadtteil Giesing liegt. Das Gelände ist verhältnismässig klein. Ein Hauptplatz, ein Kleinfeld, ein kleiner Soccerplatz sowie das Vereinsheim und die in einem separaten Gebäude liegenden Umkleidekabinen befinden sich auf dem Areal an der St.-Martin-Strasse 35. Es sei sein zweites Leben hier, "wenn nicht sogar manchmal mein erstes Leben", erzählt Scialdone lachend. Er trägt eine graue Jeans und einen schwarzen Kapuzenpullover, dessen Brust das rot-blaue Vereinswappen ziert.
Seit zwei Jahren ist er erster Vorstand. Damit ist er gleichzeitig "der Depp für alles", sagt er. Er müsse alles unter einen Hut kriegen. Weil sie im Verein mit dem Besitzer des Vereinsheims nicht mehr zufrieden waren, kümmert er sich ausserdem auch um die Wirtschaft auf dem Gelände.
Vor allem Vereine auf dem Land sind finanziell betroffen
"Finanziell haben wir keinen Nachteil", sagt er, angesprochen auf die Schwierigkeiten, die die Coronakrise mit sich bringt. Das gelte eigentlich für alle Fussballvereine, die sich in diesen Ligen bewegen. Haidhausen spielt in der Bezirksliga. "Uns nennen sie auch die Aufzugsmannschaft", erzählt Scialdone lachend. In den letzten drei Jahren sei die Mannschaft immer auf- und dann wieder abgestiegen.
Vereine, denen es weniger gut geht, sind laut Scialdone vor allem die auf dem Land. Dort hätten einige pro Heimspiel zwischen 300 und 500 Zuschauer, die rund fünf Euro Eintritt zahlen würden. Diese während des Spielverbots wegfallenden Einnahmen täten diesen Vereinen "extrem weh".
Haidhausen hat dieses Problem hingegen nicht. Von Zuschauereinnahmen sei der Klub nie abhängig gewesen. "Wir sind gesund im kompletten Verein", sagt Scialdone mit Stolz in der Stimme. Rund 90 Prozent der Einnahmen erziele der Verein durch Sponsoren, den Rest machen die Mitgliedsbeiträge aus.
Franz Beckenbauer lernte bei Haidhausen das Fussballspielen
Zur Stadt München hat der Verein, von dem aus
Auch die staatlichen Hilfen während der Pandemie haben den Verein auf einfachem Weg erreicht. "Das bayerische Staatsministerium hat die Sportbetriebspauschalen verdoppelt", erzählt Scialdone. Die Auszahlung habe "einwandfrei funktioniert", lobt der Sohn eines Italieners und einer Niederbayerin.
Trotzdem sei die staatliche Informationsarbeit in der Pandemie "ganz schlecht". "Die Landeshauptstadt München braucht ja drei Jahre, bis sie mal eine E-Mail schreibt", sagt er mit einem Schmunzeln. "Die Politik pflanzt dir irgendeinen Satz hin und wie du das tatsächlich umsetzen sollst, das sagt dir kein Mensch." Scialdone wirkt verärgert. Doch nur wenige Momente später gibt er sich wieder so entspannt, wie zuvor. "Ich habe da auch ein bisschen Verständnis", gesteht er. Die Stadt erhalte viele Anfragen und habe dafür zu wenig Personal. Informationen besorgt er sich daher in der Regel selbst.
So routiniert er heute mit der Pandemie-Lage umgeht, so habe es laut Scialdone anfänglich auch Phasen gegeben, "wo es mühsam war". Immer wieder aufs Neue habe er den Trainern und den Eltern erklären müssen, warum das Gelände geschlossen bleiben müsse. Eine eindeutige Antwort habe er darauf meistens nicht geben können.
Scialdone ist "von der Politik ein bisschen enttäuscht"
Es sind aber ohnehin die Kinder, um die es Scialdone geht. Für die sei das Ausübungsverbot "das schlimmste". Da sei er auch "von der Politik ein bisschen enttäuscht". Sie reduziere die Kinder zu viel auf die Schule. Ein Kind habe nur vormittags Schule. Der restliche Tag stünde zur freien Verfügung. "Ich glaube, das wird in der Politik beiseitegeschoben", moniert er.
"Für ein Kind ist das nicht nur Fussball", sagt er. Es gehe auch darum, seine Freunde dreimal in der Woche zu treffen. Das werde den Kindern ohne richtige Begründung genommen.
Die Politik sei "sich auch gar nicht so bewusst, was das für psychische Folgeschäden haben könnte." Manche Kinder würden schon nichts anderes mehr kennen als Corona. "Meine Tochter hat letztens zu Hause etwas gebastelt und das war ein Impfzentrum", erzählt Scialdone.
Aktuell ist in München kontaktfreies Training wieder erlaubt. Bei Kindern bis 14 Jahren darf das in 20er-Gruppen sattfinden. Die Erwachsenen hingegen müssen sich an die üblichen Regeln halten. Dabei dürfen derzeit nur fünf Personen aus zwei Haushalten gemeinsam trainieren. Die Grenzen der erlaubten Inzidenzwerte sorgen für ein regelmässiges hin und her.
Scialdone blickt hinüber auf seinen Kunstrasen. Er beobachtet die zwei Jungen. Das satte Geräusch der abgefeuerten Schüsse ist zu hören. Es scheint nichts zu geben, was ihn aus der Ruhe bringt.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.