- In Hamburg waren Mitte Juni 80 Prozent der Menschen mit positivem Corona-Schnelltest-Ergebnis nicht infiziert.
- Im Mai hatte der Wert noch deutlich niedriger gelegen.
- Die hohe Quote an falsch-positiven Befunden ist allerdings kein Grund für Alarmismus, sondern vielmehr völlig erwartbar.
- Bei sinkenden Inzidenzen werden die positiven Schnelltest-Ergebnisse zunehmend fehlerhaft – wir erklären, woran das liegt.
Die Sieben-Tage-Inzidenz sinkt bundesweit langsam aber beständig, immer weniger Menschen infizieren sich offenbar mit dem Coronavirus. Getestet wird weiterhin fleissig, vielerorts ist ein negativer Schnelltest obligatorisch, um etwa ein Theater zu besuchen oder in einer Freiluftdisco tanzen zu dürfen.
Das Problem: Die Corona-Schnelltests scheinen besonders fehleranfällig zu sein, wie das Beispiel Hamburg zumindest auf den ersten Blick zeigt. Dort hat sich der Anteil falsch-positiver Ergebnisse in den vergangenen Wochen deutlich erhöht.
Hatte er in der ersten Mai-Woche bei etwas über der Hälfte gelegen, waren in der zweiten Juni-Woche schon 80 Prozent der Menschen mit positivem Corona-Schnelltest-Ergebnis nicht infiziert, wie aus einer aktuellen Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der CDU-Fraktion hervorgeht.
In absoluten Zahlen heisst das: In der zweiten Juni-Woche wurden in den Schnelltest-Zentren demnach fast 308.000 Tests gemacht, in Schulen rund 382.000, in Kitas knapp 29.000 und in Pflegeheimen gut 34.000. Dabei seien insgesamt 218 positive Ergebnisse gemeldet worden, von denen sich letztlich nur 44 bestätigt hätten.
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Warum gerade so viele positive Schnelltest-Befunde falsch sind
Dass acht von zehn positive Schnelltests ein falsches Ergebnis anzeigen, liegt nicht etwa an Fehlern in den Testzentren oder falscher Anwendung. Der Grund ist reine Mathematik, genauer gesagt Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Denn Schnelltests sind weit weniger präzise als PCR-Tests. Das liegt vor allem daran, dass sie schnell ein Ergebnis zeigen sollen, weshalb Abstriche in der Präzision gemacht werden müssen. Deswegen sollten positive Testergebnisse immer mit einem PCR-Test überprüft werden.
Was falsch-positive Ergebnisse angeht, sind solche Zahlen wie in Hamburg laut Robert-Koch-Institut durchaus normal. Das Institut stützt sich unter anderem auf die Ergebnisse einer Sonderbefragung von Laboren. Die Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) nannten Ende Mai ähnliche Zahlen für ganz Deutschland: Ihr Vorstandschef Michael Müller sprach damals von einem Anteil von 30 bis 50 Prozent falsch-positiver Schnelltests von allen positiven Tests.
Schnelltests geben immer auch falsch-positive Ergebnisse aus
Zu erwarten ist, dass deren Anteil mit sinkenden Inzidenzen weiter steigt. Die Erklärung: Die in Deutschland zugelassenen Schnelltests weisen mindestens eine Spezifität von 97 Prozent auf, laut "Ärzteblatt" liegen die meisten Hersteller sogar darüber.
Die Spezifität gibt den Anteil an gesunden Menschen an, die auch ein entsprechendes negatives Testergebnis bekommen. Umgekehrt erhalten also bei einer Spezifität von 97 Prozent 3 von 100 Gesunden ein falsch-positives Ergebnis. Das klingt viel, weit wichtiger ist jedoch, dass Infizierte auch als Infizierte erkannt werden – was Schnelltests gut leisten.
Wie sich das in der Praxis auswirken kann, zeigen zwei Rechenbeispiele:
Beispiel 1 – viele Infizierte
Nehmen wir an, es wäre tatsächlich bekannt, dass 3.000 von 100.000 Menschen infiziert sind, die sogenannte Prävalenz liegt also bei 3 Prozent. Ein solcher Wert wäre beim Coronavirus extrem hoch.
Mit Blick auf die vom Paul-Ehrlich-Institut festgelegten Mindestkriterien für Schnelltests – 80 Prozent Sensitivität (der Test erkennt 80 Prozent der Infizierten richtig) und 97 Prozent Spezifität – würden bei einer Testreihe von 100.000 zufällig ausgewählten Menschen in einer idealen Umgebung 5.310 Menschen positiv getestet – darunter 2.400 tatsächlich Infizierte und 2.910 falsch-positiv Getestete. Das heisst, etwa 55 Prozent der positiven Tests sind falsch-positiv.
infiziert | gesund | Σ | |
positiver Test | 2.400 | 2.910 | 5.310 |
negativer Test | 600 | 94.090 | 94.690 |
Σ | 3.000 | 97.000 | 100.000 |
Beispiel 2 – wenig Infizierte
Im zweiten Fall sind nun deutlich weniger Menschen infiziert, nur 15 von 100.000. Es werden wieder die gleichen Schnelltests verwendet. Diese geben nun 3.012 positive Ergebnisse aus, von diesen sind aber 3.000 falsch-positiv – fast alle, nämlich 99,6 Prozent. Zugleich "übersieht" der Test aber nur jeden vierten Infizierten.
infiziert | gesund | Σ | |
positiver Test | 12 | 3.000 | 3.012 |
negativer Test | 3 | 96.985 | 96.988 |
Σ | 15 | 99.985 | 100.000 |
Beispiel zwei ist insofern interessant, da es der aktuellen Realität in Deutschland nahekommen könnte. (Wir wissen aber nicht, wie viele Menschen tatsächlich infiziert sind, die Inzidenzen geben nur eine Orientierung.) Die deutlich niedrigere Falsch-positiv-Rate in Hamburg zeigt aber, dass die in Deutschland verfügbaren Schnelltests deutlich präziser sind, als es die Mindestanforderungen vorgeben.
Bei weniger Infizierten gibt es bei gleichbleibender Anzahl von Tests logischerweise auch immer weniger erkannte Erkrankte, diese Grösse wird also auch in der Realität immer kleiner. Da die Spezifität der Tests sich aber nicht ändert, bleibt der Anteil der Rate der falsch-positiven Tests immer konstant hoch.
Das heisst für den Extremfall: Selbst bei keinem einzigen Infizierten würden die Tests – aufgrund ihrer unveränderlichen Eigenschaften – noch positive Ergebnisse anzeigen. Dann wäre tatsächlich jeder einzelne positive Test falsch.
Verwendete Quellen:
- Der Spiegel: "Warum momentan ein Grossteil der positiven Schnelltest-Ergebnisse falsch ist"
- Ärzteblatt: "Antigentests auf SARS-CoV-2: Der Preis der Schnelligkeit"
- Paul-Ehrlich-Institut: "Mindestkriterien für SARS-CoV-2 Antigentests im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 TestVO: Antigenschnelltests"
- Meldungen der Deutschen Presse-Agentur (dpa)
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