Welchen Schaden kann das Coronavirus im Körper des Menschen verursachen? Bislang blieb die Frage noch weitestgehend unbeantwortet. Nun liefern Obduktionen weitere Erkenntnisse.
Mediziner weltweit versuchen zu verstehen, wie gefährlich das Coronavirus für den Menschen ist: Welche Schäden es im Körper anrichtet, welches Krankheitsbild COVID-19 verursacht.
"Abseits der behandelten Symptome weiss man noch zu wenig darüber, was das Virus tatsächlich im Körper anrichtet", sagte etwa Andreas Rosenwald, Vorstand des Pathologischen Instituts der Universität Würzburg, kürzlich der "Süddeutschen Zeitung".
Laien könnten nun davon ausgehen, dass Untersuchungen von COVID-19-Verstorbenen doch Erkenntnisse bringen sollten - wenn bereits mehr als 4.000 Menschen in Deutschland infolge der Viruserkrankung starben, dürfte es auch dementsprechend Obduktionen gegeben haben. Doch dem ist nicht so.
Obduktionen im Zusammenhang mit COVID-19 Verstorbenen sind in Deutschland bislang eher selten. Das dürfte an einer - mittlerweile wieder zurückgezogenen - Empfehlung des Robert-Koch-Instituts (RKI) liegen, wonach Mediziner vor einer Untersuchung von COVID-19 Verstorbenen gewarnt wurden, um sie vor einer möglichen Ansteckung zu schützen.
Bericht: Keiner der Verstorbenen war ohne Vorerkrankung
Einer, der die Warnung aber ignorierte, ist Klaus Püschel. Er ist ein Hamburger Rechtsmediziner - und hat bislang vermutlich so viele COVID-19-Verstorbene obduziert, wie niemand anderes in Deutschland.
In einem Bericht, der der "Süddeutschen", NDR und WDR vorliegt, spricht er von 65 Obduktionen bis zum 11. April. Inzwischen seien es bereits mehr als 100. Seine Erkenntnis: Keiner der Verstorbenen war ohne Vorerkrankung. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt Püschel aber nicht.
Weiter heisst es, dass sich Püschels Erkenntnisse mit denen von Schweizer Medizinern decken. So war ein Grossteil der Verstorbenen krank am Herz. 55 der 61 in Hamburg Untersuchten hatten bereits Bluthochdruck, einen Herzinfarkt, Arteriosklerose oder eine sonstige Herzschwäche.
46 Obduzierte hatten eine Vorerkrankung der Lunge. 28 hatten Schäden an anderen Organen wie Nieren, Leber oder Transplantationsorgane. 16 litten unter Demenz, weitere hatten bereits eine Krebserkrankung, schweres Übergewicht oder Diabetes, so der Bericht.
DGN: Coronaviren können in das Gehirn eindringen
Studien zu Obduktionen von COVID-19-Toten gibt es weltweit nur wenige. Eine unter anderem kommt aus China. Ärzte der Uniklinik Peking wollen herausgefunden haben, dass das Virus nicht nur die Lunge, sondern auch das Immunsystem und andere Organe angreift. So zumindest das Ergebnis von 29 Obduktionen.
In Japan erlitt ein Mann eine Hirnhaut- und Hirnentzündung: Im Nervenwasser wurde SARS-CoV-2-RNA nachgewiesen, der Nasen-Rachen-Abstrich war jedoch negativ. "Durch die neue Datenlage verdichten sich die Hinweise, dass COVID-19 nicht nur ein pneumologisches Krankheitsbild ist", teilte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit.
Heisst: Die Coronaviren können auch in das Gehirn eindringen, insbesondere in den Hirnstamm, schrieb die DGN. "Das könnte erklären, warum bei COVID-19-Erkrankungen zusätzlich zu den typischen Krankheitszeichen Fieber, Halsschmerzen und Husten – übrigens in einigen Fällen auch ganz ohne respiratorische Beschwerden – neurologische Symptome wie der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen auftreten."
COVID-19-Erkenntnisse: Kann auch das Herz beschädigt werden?
Die Krankheit befällt zudem nicht nur das Gehirn, sie kann offenbar auch Herzschäden hervorrufen, die sogar zu einem Herzstillstand führen könnten, berichtet die "Washington Post" unter Berufung auf Mitarbeiter des Gesundheitswesens in China und New York. Die Mediziner wollen eine Entzündung des Herzmuskels sowie unregelmässige Herzrhythmen gesehen haben - selbst bei Patienten ohne bestehende Herzerkrankungen.
Während erste Erkenntnisse nach Obduktionen von COVID-19-Toten um die Welt gehen, zog das RKI seine Empfehlung, Obduktionen zu vermeiden, wieder zurück. "Die ursprüngliche Empfehlung lautete nicht, nicht zu obduzieren, sondern dies auf das Nötigste zu beschränken", sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade am Dienstag. "Es ist natürlich richtig, gerade wenn die Erkrankung neu ist, möglichst viel zu obduzieren, unter den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen.
Püschel obduzierte viel - und vermerkte bei 61 der 65 Verstorbenen COVID-19 als Todesursache. Dabei merkt der Rechtsmediziner im "Focus" aber an: "Auch wenn es hart klingt, viele wären im Verlauf dieses Jahres ohnehin gestorben".
Alle diese Menschen litten an schweren Vorerkrankungen, sagt Püschel. Bei den übrigen vier sei die Viruserkrankung nicht ursächlich für den Tod gewesen.
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Verwendete Quellen:
- sueddeutsche.de: Was die Obduktionen der Virus-Opfer offenbaren
- Presseinformation Deutsche Gesellschaft für Neurologie: SARS-CoV-2 kann Hirnhautentzündungen hervorrufen
- advisory.com: It's not just lungs: COVID-19 may damage the heart, brain, and kidneys
- focus.de: Rechtsmediziner: "COVID-19 ist eine ernste, aber keine besonders gefährliche Erkrankung"
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