- Die britische Corona-App sorgt für weitreichende Probleme.
- Die Software schickt derzeit so viele Beschäftigte wegen Kontakts mit Corona-Infizierten in Quarantäne, dass teils Busse nicht mehr fahren, Supermarktregale leer bleiben oder gar Produktionsbänder still stehen.
- Nach massiver Kritik aus der Wirtschaft will Grossbritanniens Regierung nun die Einstellungen der App ändern lassen.
Wohl kaum eine Push-Nachricht aufs Handy hat so weitreichenden Folgen wie eine Aufforderung der britischen Corona-App. Derzeit sind in Grossbritannien weit mehr als eine Million Menschen in häuslicher Quarantäne, weil die App Nutzer als Kontaktpersonen von Infizierten "gepingt" hat. Auch für vollständig Geimpfte gibt es keine Ausnahme, auch sie werden aufgefordert, sich in Selbstisolation zu begeben.
Die App schlägt an, wenn sich Nutzer eine gewisse Zeit in direkter Nähe eines positiv Getesteten aufgehalten haben. Die "Pingdemie", wie britische Medien das Phänomen nennen, hat in Grossbritannien in den vergangenen Tagen und Wochen für erhebliche Störungen gesorgt. Kneipen blieben geschlossen, Mülltonnen voll sowie Busse und Bahnen stehe, Produktionsbänder standen still.
In den sozialen Netzwerken kursieren Bilder leerer Supermarktregale, wobei unklar ist, ob sich nicht die Effekte des Streits um die Brexit-Regeln für Nordirland mit denen von zwangsweise daheimbleibenden Arbeitskräften überlagern.
Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen rund um die Corona-Pandemie in unserem Live-Blog
Britische Corona-App bekommt Update
Fakt ist jedoch: Angesichts Hunderttausender Beschäftigter in verpflichtender Corona-Quarantäne drängte die britische Wirtschaft mit Nachdruck auf eine rasche Änderung der Regeln zur Selbstisolation – und sie wurde gehört.
Die britische Regierung hat die Einstellungen der Corona-App ändern lassen. Künftig schlägt die Anwendung nur noch an, wenn es in den vergangenen zwei Tagen einen Corona-Kontakt gab, teilte das Gesundheitsministerium am Montag mit. Bisher ging die Suche fünf Tage zurück. Das Ministerium betonte, das Update beeinflusse weder die Empfindlichkeit der App noch ändere es die Risikoschwelle.
"Dieses Update der App wird dazu beitragen, dass wir die richtige Balance finden", sagte Gesundheitsminister Sajid Javid. "Wir wollen die Störungen reduzieren, die die Selbstisolation für Menschen und Unternehmen verursachen kann, und gleichzeitig sicherstellen, dass wir die am stärksten gefährdeten Personen vor diesem Virus schützen." Ab 16. August dürfen zudem vollständig Geimpfte trotz "Pings" mit einem negativen Test das Haus verlassen.
Der Sender Sky News berichtete unter Berufung auf Regierungsbeamte, dass die App in den ersten drei Juli-Wochen dazu beigetragen habe, mehr als 50.000 Neuinfektionen und 1600 Krankenhauseinweisungen zu vermeiden.
Nach England hebt auch Schottland ab Montag alle Corona-Beschränkungen auf
Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt im Land derzeit bei 279,5 (aktuellster Stand vom 29. Juli) mit fallender Tendenz. Gespannt wird darauf gewartet, ob sich der überraschende Trend trotz der weitreichenden Lockerungen in der vergangenen Woche fortsetzen wird.
Nach England will auch Schottland den Grossteil seiner verbleibenden Corona-Beschränkungen am kommenden Montag aufheben. Das gab Regierungschefin Nicola Sturgeon am Dienstag in Edinburgh bekannt. So muss etwa in Pubs, Restaurants oder bei Konzerten ab dem 9. August kein verpflichtender Abstand mehr gehalten werden, sodass Kapazitäten wieder voll ausgeschöpft werden können.
Vollständig Geimpfte müssen zudem nicht mehr in Quarantäne, wenn sie mit einem Infizierten in Kontakt gekommen sind. Auch Kontaktbeschränkungen wird es keine mehr geben. Allerdings geht man in Schottland trotzdem nicht ganz so viel Risiko ein wie in England: So bleiben Schutzmasken in vielen öffentlichen Räumen weiterhin Pflicht.
Sturgeon warnte, Corona stelle das Land noch immer vor Herausforderungen. "Freiheit oder Sieg über das Virus auszurufen ist aus meiner Sicht verfrüht", erklärte die Chefin der Schottischen Nationalpartei (SNP) – ein Seitenhieb auf den "Freedom Day", den der britische Premierminister Boris Johnson im Juli für England ausgerufen hatte. (dpa/mf)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.