Ärzte beobachten bei mit dem Coronavirus infizierten Patienten extreme Thrombosen - und stehen vor einem Rätsel: Denn noch ist unklar, warum sich die Gerinnsel bilden. Doch sie erklären, warum bei manchen Patienten die Beatmung nicht anschlägt. Wird das Rätsel geknackt, könnte das Leid vieler Menschen gelindert werden.
Knapp drei Wochen lag der kanadische Schauspieler Nick Cordero wegen COVID-19 auf der Intensivstation, dann mussten die Ärzte dem 41-Jährigen das rechte Bein amputieren. Durch ein Blutgerinnsel war das Bein abgestorben. Solche Thrombosen sind eine weitere Komplikation von Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus, über die Mediziner in China, Europa und den USA berichten.
"Ich hatte 40-Jährige auf meiner Intensivstation, die Blutgerinnsel in den Fingern hatten und es sah so aus, als würden sie sie verlieren", sagt die Ärztin Shari Brosnahan vom Universitätskrankenhaus Langone in New York. Die einzige mögliche Erklärung für diese Gerinnsel sei das SARS-CoV-2-Virus. Bei einem der Patienten würden sogar beide Beine und Hände nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt, schildert die Intensivmedizinerin. Eine Amputation sei wahrscheinlich.
Blutgerinnsel sind lebensgefährlich
Blutgerinnsel sind nicht nur für die Gliedmassen gefährlich, sondern können ihren Weg auch in die Lunge, das Herz oder das Gehirn finden und so Lungenembolien, Herzinfarkte und Schlaganfälle verursachen. In einer vor Kurzem in der niederländischen Zeitschrift "Thrombosis Research" veröffentlichten Studie zeigte sich, dass es bei fast jedem dritten von 184 untersuchten Corona-Patienten thrombotische Komplikationen gab. Die Wissenschaftler bezeichneten diesen Anteil als "bemerkenswert hoch" – auch wenn extreme Folgen wie Amputationen selten sind.
Das Risiko einer Thrombose durch COVID-19 sei so hoch, dass Patienten "möglicherweise prophylaktisch Blutverdünner verabreicht werden sollten", schreibt ein Forscherteam um den New Yorker Arzt Behnood Bikdeli in der Zeitschrift "Journal of The American College of Cardiology". "Ich habe in meiner Karriere hunderte Blutgerinnsel gesehen, aber noch nie so viele anormale extreme Fälle", sagt Bikdeli.
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Warum sich die Thrombosen bilden, ist noch unklar
Noch ist unklar, warum sich die Blutgerinnsel bei COVID-19 bilden können. Eine mögliche Erklärung ist, dass Menschen, die schwer erkranken, oft an Vorerkrankungen von Herz und Lunge leiden, durch die das Thromboserisiko bereits erhöht ist.
Zum anderen begünstigt das starre Liegen auf einer Intensivstation die Entwicklung von Blutgerinnseln. Inzwischen ist auch klar, dass COVID-19 einen sogenannten Zytokinsturm auslösen kann, und diese Überreaktion des Immunsystems wird auch mit Thrombosen in Verbindung gebracht.
Oder aber das Virus selbst verursacht die Blutgerinnsel, was auch bei anderen Viren vorkommt. Ein Artikel in der Zeitschrift "The Lancet" vergangene Woche zeigte, dass das Virus die innere Zellschicht von Organen und Blutgefässen infizieren kann, was ebenfalls zu Gerinnungsstörungen führen könnte.
Bei einigen Patienten helfen Blutverdünner
Bei einigen Patienten helfen Blutverdünner wie Heparin, sagt Intensivmedizinerin Brosnahan. Bei anderen seien sie hingegen wirkungslos. "Da gibt es zu viele Mikrogerinnsel und wir wissen nicht genau, wo die sitzen", sagt Brosnahan.
Autopsien haben gezeigt, dass die Lungen mancher Verstorbener voller winziger Gerinnsel waren. Die rätselhaften Thrombosen bei COVID-19-Patienten helfen zumindest, ein anderes Phänomen der Krankheit zu erklären. Mikrogerinnsel in der Lunge könnten der Grund sein, warum künstliche Beatmung vielen Patienten mit Sauerstoffmangel im Blut nicht hilft, sagt Cecilia Mirant-Borde, Intensivmedizinerin an einem Militärkrankenhaus in Manhattan. Die Gerinnsel blockierten die Blutzirkulation in der Lunge und damit die Sauerstoffversorgung.
Es ist noch keine fünf Monate her, dass das Virus zum ersten Mal im chinesischen Wuhan bei einem Menschen auftauchte. Mediziner lernen jeden Tag mehr über die Infektionskrankheit. "Wir reagieren überrascht, aber eigentlich sollten wir nicht verwundert sein", sagt die New Yorker Ärztin Brosnahan. "Viren neigen dazu, seltsame Dinge zu tun." (Issam Ahmed/Ivan Couronne/afp/mgb)
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