Schwedens Sonderweg in Sachen Corona steht auf dem Prüfstand: Während die Zahlen die Strategie der Skandinavier zunächst zu bestätigen schienen, macht sich aktuell Sorge breit. Nicht nur Chefepidemiologe Anders Tegnell richtet einen warnenden Appell an seine Landsleute.
Lässig, entspannt, auf Eigenverantwortung setzend - der Umgang der Schweden mit der Corona-Pandemie unterschied sich teilweise stark von dem anderer Länder. Maskenpflicht beim Einkaufen, in Lokalen oder gar in Schulen? Bei den Nordeuropäern durchgehend Fehlanzeige.
Und doch schien sich die vom Chefepidemiologen Anders Tegnell ausgegebene Strategie im Kampf gegen das Coronavirus auszuzahlen.
Während andernorts die Infektions- und Todeszahlen im Sommer weiter kräftig wuchsen, stiegen sie in Schweden nur mässig an.
Immer mehr Schweden infiziert - auch Zlatan Ibrahimovic
Langsam scheint sich der Wind aber zu drehen. Seit Anfang September verzeichnen Schwedens Gesundheitsbehörden wieder mehr Neuinfektionen.
Auch Schwedens derzeit bekanntester Sportler, Fussballprofi Zlatan Ibrahimovic, hat sich mit dem Coronavirus infiziert - allerdings in Italien, denn der Superstar verdient beim AC Mailand sein Geld.
Vor allem in und um Stockholm zeigt die Kurve deutlich nach oben. Anfang September lag die Inzidenzzahl, also die über sieben Tage hinweg gemessene Durchschnittszahl an Neuerkrankungen, in der Hauptstadt bei 29. Am 21. September hingegen schon bei 81.
Vor allem seien die Neuinfektionen im jüngeren Teil der Bevölkerung festgestellt worden, erklärt Jonas
"Deshalb gibt es zwar keine merkliche Steigerung bei der Zahl der Toten oder der schweren Erkrankungen. Jedoch wird es zunehmend schwerer, die Risikogruppen zu schützen, wenn die Infektionszahlen weiter steigen", führt Björk aus.
Tegnell warnt: Entwicklung geht in die falsche Richtung
Bereits vor einer Woche hatte Anders Tegnell, Schwedens oberste Instanz in Sachen Corona-Massnahmen, gewarnt: "Es sieht leider so aus, als würden wir auf eine neue Rekordwoche zusteuern. Die Kurve, die letzte Woche begann, setzt sich diese Woche weltweit fort. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die in letzter Zeit einen dramatischen Anstieg verzeichnet haben."
Das beunruhigende Fazit des schwedischen Chefepidemiologen: "Wir haben in den letzten Wochen einen leichten Aufschwung erlebt. Nicht annähernd so dramatisch wie in anderen Ländern Europas, doch es geht langsam, aber sicher in die falsche Richtung."
Lokale Lockdowns möglich - mit zeitlicher Begrenzung
Gegenüber der schwedischen Zeitung "Dagens Nyheter" kündigte Tegnell angesichts der steigenden Zahlen einen Strategiewechsel an. Während er zuvor einen Lockdown, Schulschliessungen und eine zahlenmässige Begrenzung privater Zusammenkünfte kategorisch ausgeschlossen hatte, seien solche Massnahmen nun denkbar, allerdings lokal begrenzt auf "ein einzelnes Büro oder einen Stadtteil und für maximal zwei bis drei Wochen", so Tegnell.
Bislang habe er sich gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit - etwa durch vorgeschriebene Quarantäneregelungen - gewehrt, auch weil diese auf starken Protest bei sozial schwachen Bevölkerungsgruppen treffe, die von solchen Regelungen besonders stark betroffen seien.
"Aber ich denke, es wird einfacher zu vermitteln sein, wenn wir klarmachen, dass diese Massnahmen nur für eine kurze Zeit gelten werden."
Schwedens Premier Löfven rät: Homeoffice, Hände waschen, nicht umarmen
Auch Schwedens Premierminister Stefan Löfven hatte Ende vergangener Woche seine Landsleute öffentlich aufgefordert, die Empfehlungen im Kampf gegen das Virus wieder besser zu befolgen. "Die Krise ist noch lange nicht vorbei. Die Dinge, die wir jetzt richtig machen, werden uns später helfen. Und für das, was wir in dieser Phase falsch machen, werden wir später leiden müssen", mahnte Löfven.
Er forderte Arbeitgeber und Unternehmen auf, ihren Mitarbeitern das Arbeiten von zu Hause zu ermöglichen, wenn dies die Tätigkeit erlaube. Ausserdem appellierte er an die Bevölkerung, private Feiern zu vermeiden, kontinuierlich Hände zu waschen und Freunde nicht zu umarmen.
Tegnell hatte die Zunahme an Infektionen auf das Ende der Sommerferien zurückgeführt und die gestiegene Zahl an Berufspendlern als mögliche Ursache ausgemacht: "Dies ist einer der grossen Unterschiede zu früher."
Konkrete verschärfte Massnahmen sind dennoch zunächst nicht angedacht. Ab 1. Oktober sollen sogar wieder Besuche von Altenheimen möglich werden. Die Regierung mahnt lediglich zur Vorsicht. Gruppenbesuche sollten unterlassen werden, und wer zuletzt viel unterwegs war oder viele soziale Kontakte hatte, solle doch bitte auf eine Stippvisite im Altenheim verzichten. Ein gesetzliches Verbot gibt es allerdings nicht.
Verwendete Quellen:
- Thelocal.se: "'Work from home, don't hug your friends': Swedish PM Stefan Löfven's warning as coronavirus cases rise"
- n-tv.de: "So entspannt geht Schweden in den Winter"
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