Martina sass Anfang 2020 gemeinsam mit ihrem Freund Steffen in Mittelamerika fest. In Honduras hatte sie eine wahre Abenteuerreise hinter sich. Dort festzusitzen, war für sie spannend und nervenaufreibend zugleich. Martina ist dankbar, in Deutschland zu wohnen, wo das Gesundheitssystem trotz dieser schlimmen Umstände funktioniert.
"Bei uns in Honduras war das so: Wir sind mittlerweile schon zweieinhalb Wochen (mittlerweile sind es knapp 4 Wochen, Anm. d. Red.) im Land und waren vorletzte Woche im Dschungel, komplett im Off. Wir hatten dort sehr viel Kontakt zu indigenen Völkern. Auch die Menschen dort wussten schon alle über das Coronavirus Bescheid und hatten Angst vor uns, weil wir eine helle Haut hatten und sind teilweise zurückgewichen. Wir hatten eine Woche lang kein Internet, kamen dann irgendwann nach sechs Tagen zurück an einen Ort, an dem es überraschenderweise Internet-Empfang gab. Gott sei Dank hatten wir eine mobile SIM-Karte. Wir sind umgefallen, als wir hörten, was auf der Welt los ist. Davor war noch alles offen, Reisen kein Problem und dann kommt man nach einer Woche zurück und alles ist im Lockdown. In Deutschland gab es schon die erste Ausgangssperre.
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Blitzschneller Lockdown in Honduras
Auch hier in Honduras haben sie eine landesweite Ausgangssperre verhängt, das heisst, es wurde wirklich alles dichtgemacht: Supermärkte zu, Banken zu, Apotheken zu, das war eine grosse Hauruck-Aktion.
Dann gibt es hier sehr viel Militär und Polizei, die kontrollieren, dass man nicht mehr vor- und zurückkommt, was für uns erstmal ein riesen Thema war.
Wir sassen zu dem Zeitpunkt in einer Bretterbaracke fest und hatten bereits seit einer Woche kein fliessendes Wasser mehr, keine Dusche oder richtige Toilette und unser Trinkwasser haben wir selbst gefiltert mit einem kleinen UV-Wasseraufbereiter. Dementsprechend waren wir natürlich dreckig, hatten noch ein paar Kratzer aus dem Dschungel, haben uns einfach nach Hygiene gesehnt und wollten auf gar keinen Fall weiterhin in diesen verschimmelten Bretterbeschlägen bleiben.
Dann ging es los: Die Rückhol-Aktion startete, um überhaupt mal in eine Stadt zu kommen.
Wir hatten Gott sei Dank Unterstützung von Jorge Salaverri, der hier eine kleine Lokal-Berühmtheit ist. Er ist ein Naturschützer, der sich dafür einsetzt, dass der Urwald nicht weiter abgeholzt wird. Er sorgte dafür, dass wir zumindest mal ein Stück weit zurückkommen.
Das war sehr abenteuerlich: Wir stiegen erstmal in ein kleines Boot, das uns zu einer dubiosen Anlegestelle an einem Stück Matsch-Strand im Dschungel brachte. Dort standen viele Autos rum mit Fahrern, die uns alle anboten, uns irgendwo hin zu schippern.
Der Fahrer, der eigentlich kommen sollte, war nicht da. Dann haben wir herumtelefoniert - sein Bruder sei hier. Der schlief aber im Auto und wollte nicht fahren. Ein dritter Fahrer, der uns holen sollte, tauchte auch nicht auf. Also suchten wir uns aus den ganzen Fahrern einen aus, dessen Auto halbwegs vernünftig aussah. Mit ihm düsten wir nach "La Ceiba" los, das ist die nächste Stadt. Es war eine sechsstündige Fahrt, die wir da vor uns hatten.
Von einer Polizeikontrolle zur nächsten
Wir dachten, wir kommen problemlos durch, dass alles funktioniert – das war aber nicht der Fall. Eine Stunde später landeten wir in der ersten Polizeikontrolle. Es hiess, wir müssten umkehren. Davor hatten wir richtig Angst, denn das ganze Gebiet bis zur Stadt hat kein fliessendes Wasser.
Hotels sind dort wirklich nur Bretterverschläge. Seife kann man komplett vergessen, Hygiene kann man vergessen in diesen Gebieten – da will man einfach nicht festhängen. Deswegen fingen wir an, mit der Polizei zu diskutieren. Der Fahrer setzte sich für uns ein, erzählte ihnen, dass wir Touristen seien, dass wir eben weiter müssten. Letzten Endes erfanden wir dann Geschichten, die so ein Stück an der Wahrheit waren, um weiterzukommen. Ich sagte, dass ich in der Online-Werbung arbeite und habe dann eben noch ein bisschen dazu geflunkert, dass ich vorhabe, Werbung für das Land zu machen.
Und eben, dass ich über Honduras und meine Erlebnisse hier schreiben werde, um dadurch mehr Touristen ins Land zu bringen. Das, was sich ja alle hier wünschen, weil seit vier Jahren kaum noch Tourismus stattfindet aufgrund der hohen Kriminalitätsrate und dem schlechten Ruf, den das Land dadurch hat.
Nach einer Dreiviertelstunde Diskutieren waren die Polizisten freundlich zu uns und meinten, sie könnten uns eine kleine Eskorte organisieren und durch die nächsten Polizeikontrollen bringen. Sie machten das dann aber telefonisch, indem sie Fotos von uns und von unserem Auto machten und diese dann an die nächsten Kollegen weiterschickten.
Man darf sich die Polizeikontrollen nicht so vorstellen, wie in Deutschland, sondern da stehen dann schon wirklich zehn Polizisten mit Maschinengewehren um einen herum. Am Ende waren sie ganz stolz, dass sie uns kennenlernen durften.
Eine halbe Stunde später kam die nächste Kontrolle. Das waren 30 Polizisten, da wäre überhaupt kein Durchkommen gewesen. Unser Fahrer hat es aber in Ruhe ausgesessen und ist dann irgendwann seelenruhig durchgefahren. Die 30 Polizisten standen am Rand und wir fragten uns, was los sei, warum wir durchfahren können.
Daraufhin meinte der Fahrer: '12 Uhr – Mittag.' Die haben alle gleichzeitig gegessen und dann konnte man einfach durchfahren. Ansonsten hatte unser Fahrer die ganze Zeit gleichzeitig Kontakt zu fünf anderen Kollegen, die die Strassen ausgekundschaftet und geschaut haben, wo gerade Polizeisperren sind und wo nicht.
In Honduras gibt es immer Wege drumherum. Das haben wir dann auch in der nächsten Kontrolle erfahren, in die wir reingefahren sind. Direkt vor der Polizeisperre hat unser Fahrer nur gemeint 'Oh Shit' und ist rechts auf einen Feldweg eingebogen und über ein Privatgrundstück gefahren. Da haben sie schon paar Einheimische spezialisiert auf solche 'Umfahrer'. Die Landbesitzer hatten Seile gespannt und verlangten fürs Überfahren ihres Privatgrundstücks 30 Lempira, umgerechnet einen Euro.
Das bezahlten wir und fuhren zehn Meter nach der Polizeikontrolle einfach wieder auf die Strasse drauf. Die Polizisten sahen das, allerdings ist das ist nicht wie hier bei uns, dass jeder sein kleines Polizeiauto hat und hinterherdüsen kann. Sondern die haben halt einen Transporter an dem Ort, an dem sie sind.
Viel machen konnten sie also nicht oder wollten auch nicht. Hier kann es auch sein, dass die Polizei einfach mitkassiert, das weiss man nicht so genau. In der Stadt angekommen, hat uns Jorge Salaverri bei sich zu Hause in Empfang genommen und uns erstmal etwas zu Essen gegeben. Nebenbei hat er noch mit dem Polizeipräsidenten, dem Polizeiminister und dem Tourismusminister telefoniert.
Von dort aus ging es auf der Ladefläche eines Pick-Ups zu einer kleine Lodge im Dschungel, die wir bereits vorab gebucht hatten. Auch da sind wir wieder in eine Polizeikontrolle gekommen und wurden sofort als Touristen erkannt. Wieder wollten sie uns nicht durchlassen, bis der Polizist uns irgendwann fragte, ob wir an Gott glauben.
Ich spreche zum Glück fliessend Spanisch, das hat uns immer gerettet. Ich konnte ihm dann glaubhaft versichern, dass wir katholisch sind und an Gott glauben. Er hat irgendwann ganz erleichtert gemeint: "Okay, gut, weil wenn ihr nicht an Gott glauben würdet, würdet ihr alle anstecken und alle in Gefahr bringen. Nur wer an Gott glaubt, der kann das alles überstehen mit Corona."
So kamen wir dann durch die letzte Polizeisperre und erreichten nach diesem sehr abenteuerlichen, sehr langen Tag endlich unsere Lodge hier im Dschungel.
Gestrandet im Dschungel
Wir sind hier wie in einer kleinen Enklave, ein bisschen abgeschottet von allem. Es ist eine Lodge, die von Deutschen geleitet wird. Wir stecken jetzt hier mit neun anderen Touristen, auch drei weitere Deutsche, fest. Und es geht uns den Umständen entsprechend gut, weil wir uns hier im Dschungel auf diesem riesigen Grundstück frei bewegen können und super versorgt werden mit Lebensmitteln. Es sind eher so die kleinen Probleme, die entstehen. Beispielsweise ging ihnen das Bargeld aus, weil eben alles so 'Hauruck-artig' geschlossen wurde. Dann waren natürlich die Geldautomaten schnell leer, man bekam kein Bargeld mehr.
Steffen und ich hatten es gerade noch so geschafft, vorher Bargeld abzuheben. Das gaben wir den Lodge-Besitzern, damit sie die Lebensmittel-Lieferungen bezahlen können. Das Problem ist nämlich, dass die Einheimischen hier von der Hand in den Mund leben, weil niemand ein Bankkonto hat, weil sie einfach nicht genug verdienen. Demzufolge akzeptieren die Lebensmittel-Lieferanten keine Schecks mehr. Die Regierung sorgt schon dafür, nach und nach die Geldautomaten aufzufüllen.
Krank werden will man auf gar keinen Fall. Die Krankenhäuser sind überhaupt nicht darauf ausgerichtet. Ich glaube, es gibt im ganzen Land nur 240 Intensivbetten. Es sind unfassbare Zustände und alle sagen, solange man gesund bleibt ist alles gut. Wenn man krank wird, das ist einfach ein Riesen-Thema.
In der Lodge sind wir erstmal gut versorgt. Es steht überall noch das letzte verfügbare Hygienegel, weil natürlich auch hier die Hamsterkäufer zuschlagen und überall Desinfektionsmittel ausverkauft ist – das ist schon sehr ähnlich wie bei uns in Deutschland. Hier ist es nicht das Toilettenpapier, das ausgeht, sondern Mehl, weil sie sich überwiegend von Tortillas ernähren.
Zur Situation: Wir sind darauf angewiesen, dass die Botschaft uns rausholt. Wir stehen allerdings auf der Prioritätenliste relativ weit unten, weil in Honduras nur 44 Deutsche festsitzen. Wir sind in WhatsApp-Gruppen organisiert und natürlich auf der 'ELEFAND-Liste' eingetragen, der Rückhol-Liste der Deutschen Botschaft. Wir stehen mit dem Auswärtigen Amt in Kontakt, sind untereinander vernetzt. Es ist sehr spannend, wie die Dynamik auch in solch einem Land funktioniert, wie schnell man sich hier in Gruppen organisiert. Es gibt auch eine Gruppe 'Europeans in Honduras' mit Menschen, die festsitzen.
Das grosse Problem: Viele Menschen in Honduras halten sich so gar nicht an die Schutzmassnahmen der Regierung, nehmen das alles überhaupt nicht ernst - genau so, wie es auch in Deutschland angefangen hat. Aber auch hier wird der Wendepunkt kommen. Die Fallzahlen sind noch relativ niedrig, das liegt aber auch daran, dass sie nur 60 Test-Panels haben.
Die Lage in Honduras spitzt sich zu
Die Situation wird von Tag zu Tag krasser. Die neueste Regelung ist, dass die Leute ihr Haus nur noch einmal pro Woche verlassen dürfen und das auch nur zu bestimmten Zeiten, das ist anhand der Endziffern des Personalausweises geregelt: Die Endziffern 1, 2, 3 dürfen montags in die Stadt, dienstags niemand, Mittwoch 3, 4, 5. Es gibt bestimmte Uhrzeiten, zu denen die Apotheke offen hat, von 7.00 Uhr bis 9.00 Uhr morgens zum Beispiel. Schwangere haben Vorrang.
Aber es ist alles sehr konfus. Die Regierung erlässt jeden Tag neue Beschlüsse. In der Regel werden hier die Leute erst sehr spät oder gar nicht informiert. Viele der Informationen sind auch Fehlinformationen, man weiss nicht so richtig, worauf man sich verlassen kann. Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass wir komplett von der Stadt abgeschnitten sind. Dass die Leute in den kleinen Dörfern und Kommunen hier oben im Dschungel aktuell nicht runter dürfen in die Stadt, ausser, es ist ein Notfall.
Autos werden von aussen mit Chlor abgespritzt, man weiss nicht so genau warum. Ich glaube aber, die Regierung versucht zu tun, was sie kann. Für die Bevölkerung gibt es vereinzelt Lieferservices von den Supermärkten, vereinzelt in die ländlichen Gebiete gibt es auch Lieferungen mit Grundnahrungsmitteln, die von der Regierung organisiert sind.
Es kommt zu ersten Plünderungen und Überfällen
Trotzdem gerät das Land zunehmend in eine absolute Notsituation. Die Leute leben hier von der Hand in den Mund. 80, 90 Prozent haben kein Bankkonto und dementsprechend auch keine Ersparnisse und haben allmählich Probleme, ihre Familie über Wasser zu halten und zu ernähren.
Es kommt zu ersten Plünderungen, zu ersten Überfällen. Wir haben inoffiziell Kontakt zum Social-Security-Minister, der davon ausgeht, dass die Lage im Land noch viel schlimmer wird. Hier in der Lodge, in der wir sind, haben wir noch eine kleine heile Welt gefunden. Hier ist die Nahrungsversorgung sichergestellt und wir können uns vor Corona noch ein Stück weit in Sicherheit wiegen.
Wir sind die Letzten, die hier noch festhängen und danach ist erstmal Schluss auf unbestimmte Zeit. Die Besitzer des Lodge sagen, sie haben noch für einen Monat Ressourcen und wissen nicht, wie es dann weitergeht. Dabei geht es ihnen nicht mal so sehr um sich selbst, sondern vielmehr um ihre Angestellten, die natürlich seit vielen Jahren mit ihnen zusammenarbeiten und die genauso Probleme haben werden, ihre Familien über Wasser zu halten. Hier fehlt es halt am Allernötigsten. Und das sind noch die kleineren Probleme.
Die hygienischen Zustände im Land sind katastrophal
Das grössere Probleme ist, wenn man hier krank wird, weil das Gesundheitssystem nicht darauf ausgelegt ist, das Virus abzufedern. Wir haben von Krankenhäusern gehört, die nicht mal Bettwäsche haben, wo nicht mal die Handschuhe gewechselt werden, nachdem ein Patient behandelt worden ist.
In staatlichen Krankenhäusern muss man alles selbst besorgen, was für die Behandlung nötig ist - sowohl Skalpell, als auch Medikamente, was natürlich schwierig ist, wenn man dann nur einmal die Woche für zwei Stunden in die Apotheke darf, falls überhaupt eine geöffnet hat.
Insofern sind wir froh, dass wir jetzt einen Flug nach draussen haben. Wir haben die endgültige Bestätigung bekommen, dass die Botschaft uns einen Flug organisieren konnte für den 2. April, direkt von San Pedro Sula nach Frankfurt. Wir waren zwischenzeitlich ein bisschen nervös, weil viele andere Nationalitäten ausgeflogen wurden und wir Deutschen noch hier waren. Es hat zwar ein bisschen gedauert - eben die klassisch deutschen Mühlen der Bürokratie - aber dafür funktioniert jetzt alles und es funktioniert auch besser, als das bei anderen Nationen der Fall war.
Für die Amerikaner zum Beispiel wurden einfach kommerzielle Flüge geschickt, die mussten sich aber selbst darum kümmern, da reinzukommen und zu buchen. Rechtzeitig zum 31. sind alle kommerziellen Flüge eingestellt. Das ist jetzt auch wirklich kurz vor knapp hier.
Regierungshilfe zahlt sich aus
Wir haben gerade noch einen Evakuierungsflug, der durchgeht. Die Flughäfen sollen dann aber komplett dichtgemacht werden. Da merkt man wirklich, was es wert ist, in Deutschland zu leben und Regierungshilfe zu bekommen. Da sieht man dann das 'Steuergelder bezahlen' nochmal mit anderen Augen. Wir sind auch dankbar, dass wir in einen Staat kommen, in dem das Gesundheitssystem trotz dieser schlimmen Umstände funktioniert, sich vorbereitet hat und halbwegs gut aufgestellt ist.
Die Ausgangssperre ist in Deutschland ja auch nicht so streng wie hier in Honduras. Hier darf man das Haus einmal in der Woche verlassen, bei uns darf man ja dann doch noch auf die Strasse – zumindest Spazieren oder Einkaufen gehen. Wenn man denkt, es sei schlimm, dass es kein Klopapier mehr gibt – hier können die Leute fast gar nichts mehr kaufen. Da sind wir dann schon dankbar und haben auf jeden Fall Glück im Unglück."
UPDATE vom 4. April 2020:
Martina und ihr Freund Steffen haben einen Rückflug nach Deutschland bekommen und sind sicher auf dem Frankfurter Flughafen gelandet.
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