Vor einigen Monaten galt Island als praktisch Corona-frei. Warum ist die Lage dort mittlerweile wieder brisanter und mit welchen Corona-Zahlen haben die Isländer zu kämpfen?

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Monatelang hatte Island die Corona-Situation gut im Griff, galt als Vorzeigeland und Vorreiter im Corona-Management. Nicht mal ein vollständiger Lockdown war nötig, Schulen und Kindergärten blieben offen. Zeitweise hiess es, das Land sei sogar coronafrei gewesen. Jüngst wurde Island nun jedoch von Deutschland und Österreich zum Risikogebiet erklärt.

Schon vor rund acht Wochen hatte die Insel im Nordatlantik wieder etwas stärkere Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus vorgenommen, weil die Zahl der Neuinfektionen stieg. So wurde Ende Juli die maximale Teilnehmerzahl für Veranstaltungen wieder von 500 auf 100 herabgesetzt. Mitte August führte das Land erneut die Quarantänepflicht für Reisende ein, stufte alle Länder als Hochrisikogebiete ein.

Seit dem 30. September warnt das Auswärtige Amt nun vor nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Island. Dies wird mit wieder steigenden COVID-19-Fällen begründet, die sich dem Niveau aus dem Frühjahr näherten. Besonders problematisch: Der Anstieg erfolgt sprunghaft. Länder, die 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auf sieben Tage verzeichnen, betrachtet Deutschland grundsätzlich als Risikogebiet.

Chefepidemiologe benennt die Ursachen für den akuten Anstieg

Laut des Chefepidemiologen des Inselstaates Thórólfur Gudnason sei aufgrund der sprunghaften Entwicklung der Infektionen klar, dass die milden Massnahmen aus der Vergangenheit nicht funktionierten.

Viele der jüngsten COVID-19-Fälle und Krankenhauseinweisungen liessen sich auf Orte oder Gruppen von einer hohen Dichte an Menschen zurückführen, die sich regelmässig treffen. Das seien insbesondere Gruppen von Freunden, Wandergruppen, aber auch Zusammenkünfte in Fitnessstudios und Orten der Unterhaltung.

Zudem erfolgten auch Ausbrüche in zwei Pflegeheimen in Reykjavik. In der Vergangenheit geäusserte Vermutungen, dass enge Familienstrukturen und Eigenheiten der Isländer wie die freiheitliche Grundmentalität Fallzahlen wieder hochschnellen liessen, sobald Massnahmen gelockert würden, bestätigte der Forscher nicht.

Sofortige Massnahmen gegen sprunghaften Anstieg der COVID-19-Infektionen

Um der aktuellen Entwicklung in Island Rechnung zu tragen, hat Gudnason dem isländischen Gesundheitsminister am Wochenende Vorschläge für strengere Massnahmen im Vergleich zu jenen im Frühjahr 2020 vorgelegt.

Dieser verkündigte vorgestern, dass die Teilnehmergrenze für öffentliche Versammlungen ab heute auf maximal 20 Personen herabgesetzt wurde. Universitäten sind davon ausgenommen. Fitnessstudios, Clubs, Bars müssen schliessen, in Schwimmbäder dürfen nur halb so viele Besucher wie sonst, in Supermärkte nur maximal einhundert Kunden zur gleichen Zeit.

Islands Infektionszahlen in Relation zu anderen Ländern im europäischen Wirtschaftsraum

Doch wo ist Island mit seinen 360.000 Einwohnern in Bezug auf bestätigte Corona-Fälle international einzuordnen? Folgt man dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC), so ist die Zahl der Infektionen pro 100.000 Einwohner höher als im Rest der Nordischen Staaten.

Konkret heisst das: Mit Stand vom 4. Oktober 2020 gibt es in Island 158,3 bestätigte Infektionen auf 14 Tage kumuliert auf 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: Der Wert für Spanien, insgesamt der höchste, liegt bei 319,3 bei rund 47 Millionen Einwohnern. Damit liegt Island nun im Mittelfeld der Liste für den europäischen Wirtschaftsraum mit einer relativ hohen Infektionszahl im Vergleich zu seiner Gesamtbevölkerungszahl.

Warum Island lange als Massnahmen-Vorreiter in Sachen Corona-Eindämmung galt

Das war nicht immer so: Island profitierte im Frühjahr dieses Jahres zum einen von seiner isolierten Insellage, die es möglich macht, im Rahmen der Grenzkontrollen externe Einflüsse auf die Infektionszahlen im Detail zu kontrollieren.

Auch hatte die Regierung des Landes sehr früh reagiert mit sehr effektiven Massnahmen wie intensiver Einzelfallverfolgungen und konsequenter Hygieneregeln und Aufklärung zur Eindämmung der Neuinfektionen.

Inwieweit nun die neuen Massnahmen den exponentiellen Anstieg der Infektionen bremsen werden, wird sich in den nächsten drei Wochen zeigen. So lange sollen die neuen Massnahmen zunächst gelten.

Verwendete Quellen:

  • Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC): COVID-19 situation update for the EU/EEA and the UK, as of 4 October 2020
  • Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC): Situation dashboard
  • Onvista/dpa AFX: Neue Corona-Beschränkungen auf Island - Bars werden geschlossen
  • Island Monitor: The first signs of exponential growth
  • Island Monitor: Iceland Has Highest 14-Day COVID-19 Incidence Among Nordic Countries
  • Auswärtiges Amt: Island: Reise- und Sicherheitshinweise
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