- Impfungen für alle, so schnell wie möglich: Um diesem Ziel näherzukommen, greift die US-Regierung zu einem ungewöhnlichen Mittel.
- Für Corona-Impfstoffe sollen zeitweise keine Patente gelten - Deutschland und EU ringen noch mit diesem Schritt.
- Doch was bedeutet eine Aussetzung der Patente und welche Folgen hat sie für die Impfhersteller?
Nach America first, nun world first? Um den Kampf zur weltweiten Eindämmung der Pandemie zu beschleunigen, unterstützt die US-Regierung die Aussetzung von Patenten für die Corona-Impfstoffe.
Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, sprach von einer "historischen Entscheidung" der USA. Damit könne der globalen Ungleichheit bei der Verteilung der Impfstoffe begegnet werden, um gemeinsam daran zu arbeiten, "diese Pandemie zu beenden", schrieb er auf Twitter.
Der WHO-Chef hatte angesichts der Impfstoff-Knappheit in vielen Ländern seit Monaten für einen Patentverzicht plädiert. Das fordern ebenso Hilfsorganisationen vehement, darunter zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen.
Doch was bedeutet die Aussetzung der Patente? Inwiefern kann nun die Pandemie schneller eingedämmt werden? Und welche Folgen hat die Entscheidung für die Impfhersteller?
Warum setzen die USA die Patente für Corona-Vakzine aus?
Ein wesentlicher Grund dürfte sein, dass mittlerweile über die Hälfte der US-Amerikaner selbst geimpft ist und das Land – auch aufgrund eines indirekten Exportverbotes für Corona-Vakzine – mit Impfstoffen versorgt ist.
Die USA stünden hinter dem Schutz geistigen Eigentums. "Aber das ist eine weltweite Gesundheitskrise, und die aussergewöhnlichen Umstände der COVID-19-Pandemie verlangen nach aussergewöhnlichen Massnahmen", sagte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai am Mittwoch.
Das Ziel sei, "so viele sichere und wirksame Impfungen so schnell wie möglich zu so vielen Menschen wie möglich zu bringen". Zugleich werde sich die US-Regierung nun, da die Versorgung der eigenen Bevölkerung garantiert sei, weiter in Zusammenarbeit mit den Unternehmen dafür einsetzen, die Produktion anzukurbeln.
Wir werden "auch daran arbeiten, die Produktion der für die Herstellung der Impfstoffe nötigen Rohstoffe zu steigern", erklärte Tait. Neuseeland begrüsste die Entscheidung und der australische Premierminister Scott Morrison nannte den US-Vorstoss "grossartige Nachrichten". Nun könne Australien mRNA-Impfstoffe vor Ort herstellen.
Kann nun die Pandemie schneller eingedämmt werden?
Die Handelsbeauftragte Tai erklärte, die USA würden sich im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) für die Erstellung eines Abkommens zur Aussetzung der Patente einsetzen. Wegen des Konsensprinzips der WTO und der Komplexität der Materie könnte dies aber zeitaufwendig werden, warnte sie.
Den USA kommt bei den Verhandlungen als weltgrösste Volkswirtschaft eine Schlüsselrolle zu. Nun dürfte auch der Druck auf andere Nationen und die EU steigen.
Zudem hält die US-Regierung nach Medienberichten über das Forschungsinstitut NIH die Rechte an einer Erfindung, die als Voraussetzung der modernen mRNA-Impfstoffe der Hersteller Moderna und Biontech/Pfizer gilt.
In Genf streiten Mitglieder der WTO seit Wochen über das Thema. Am Donnerstag standen weitere Beratungen an. Konkret geht es dabei um das Übereinkommen zu handelsbezogenen Aspekten der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen). Mit diesen und anderen Vereinbarungen will die WTO den freien Handel in geordnete Bahnen regeln.
Was ist die Position von Deutschland und der Europäischen Union?
In der Debatte um eine globale Aufhebung von Patenten für Corona-Impfstoffe unterstützt Bundesgesundheitsminister
"Es gibt einige Ideen, wie wir dies ermöglichen können." Entscheidend sei vor allem der weitere Ausbau von Produktionsstätten. Zudem müssten die Staaten der Welt, in denen Impfstoff produziert wird, bereit sein, diesen auch an andere zu exportieren. "Die EU ist dazu in Wort und Tat bereit. Wir freuen uns, wenn die USA es nun auch sind", sagte Spahn.
Die Europäische Union hatte in dem WTO-Streit zuletzt um mehr Lizenzverträge zwischen Entwicklern und Herstellern geworben. Der Kurswechsel der USA setzte die EU, in der viele grosse Pharmakonzerne angesiedelt sind, allerdings unter Zugzwang. Darauf wies unter anderen der Menschenrechtsaktivist Andrew Stroehlein hin. Er veröffentlichte auf Twitter eine Karte, die zeigt, welche Länder sich bisher gegen die Aussetzung sperren. Ausserhalb von Europa sind das demnach nur Japan und Brasilien.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigt sich offen für eine Debatte über den US-Vorstoss zur Aussetzung von Corona-Impfstoffpatenten. "Die Europäische Union ist bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht", sagte von der Leyen am Donnerstag. Man müsse sehen, wie der US-Vorschlag diesem Ziel dienen könne. "Kurzfristig rufen wir jedoch alle Länder mit Impfstoffproduktion auf, Exporte zu erlauben und alles zu vermeiden, was Lieferketten stören könnte."
Welche Tragweite hat die Entscheidung der USA?
Mehr als 100 WTO-Mitgliedsländer wollen die Patente für die Impfstoffe aussetzen, damit mehr Firmen in mehr Staaten Impfstoffe herstellen können. Wichtige Herkunftsländer der Pharmaindustrie – darunter neben der USA auch Deutschland – blockierten das von Südafrika und Indien angestossene Vorhaben bislang.
Ärmere Staaten werfen den Industrieländern vor, die vorhandene Impfstoffproduktion aufgekauft zu haben und eine Erhöhung der Produktion durch den Schutz der Patente unmöglich zu machen.
Der Kursschwenk der US-Regierung dürfte nicht kurzfristig zu mehr weltweit verfügbaren Impfstoffen führen. Sollte sich die WTO aber auf eine Aussetzung der Patente einigen, könnte dies die langfristige Produktion deutlich ankurbeln.
Wie reagieren die Impfhersteller auf eine mögliche Aussetzung ihrer Patente für Corona-Impfstoffe?
Der internationale Pharmaverband IFPMA sprach am Mittwoch von einer "enttäuschenden" Entscheidung. Die Aussetzung der Patente sei eine "simple aber falsche Lösung für dieses komplexe Problem" und würde die Produktion der Impfstoffe nicht erhöhen, erklärte der Verband.
Die Vertretung der US-Pharmaunternehmen (PhRMA) ging noch einen Schritt weiter. Sie kritisierte die Entscheidung der Regierung als "beispiellosen Schritt, der unseren globalen Kampf gegen die Pandemie untergräbt". Das Vorgehen werde keine Leben retten, sondern die Lieferketten der Hersteller weiter schwächen und zur Verbreitung gepanschter Impfungen führen, warnte Verbandschef Stephen Ubl.
Hersteller wie Pfizer und Moderna machen mit ihren Impfstoffen bereits satte Gewinne. Sie argumentieren, dass Patente nötig seien, um die hohen Investitionen der Forschung zu refinanzieren. Zudem führe eine Aufhebung der Patente nicht automatisch zu mehr Impfstoff, erklären die Pharmakonzerne. Sämtliche qualifizierten Hersteller seien bereits mit Lizenzen in die Produktion eingebunden, heisst es.
Zudem sei vor allem die Produktion der mRNA-Impfstoffe sehr komplex. Sie argumentieren auch, dass für ein Ankurbeln der Produktion derzeit viele Rohstoffe fehlten, die für die Herstellung nötig seien. Weil derzeit bereits ein Vielfaches der normalen Impfstoffproduktion laufe, gebe es viele Lieferengpässe.
Die Aktien der Impfstoffhersteller Pfizer, Moderna und Novavax brachen nach Tais Ankündigung teils deutlich ein. Die Kurse der deutschen Impfstoffentwickler Curevac und Biontech fielen um mehr als zehn Prozent sowie um fast ein Fünftel.
Die Aktien von Astrazeneca legten in London hingegen zu. Das Unternehmen hatte bereits früh angekündigt, mit seinem Impfstoff keinen Gewinn erzielen zu wollen. Im ersten Quartal hatte die Impstoffherstellung sogar etwas auf dem Ergebnis gelastet. (dpa/afp/mf)
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