Julia und ihre Frau Sophie waren auf Weltreise. Die beiden hatten sich damit ihren Lebenstraum erfüllt. Die Corona-Pandemie hat der Reise der jungen Frauen allerdings in Peru ein jähes Ende beschert. Sie sassen im Frühjahr 2020 in Cusco fest und kamen weder vor noch zurück.
"Angefangen hat alles damit, dass ich vor etwa zwei Wochen auf der Busfahrt nach Cusco gemerkt habe, dass es mir irgendwie nicht besonders gut geht. Meine Frau Sophie überredete mich, das checken zu lassen, sobald wir angekommen sind.
Wir hatten keine Ahnung, ob und wie das peruanische Gesundheitssystem funktioniert. Also recherchierten wir nach deutschen Kontakten hier in der Stadt und haben dann gleich Kontakt zur Ärztin der Deutschen Botschaft aufgenommen. Sie war super freundlich und obwohl Sie gerade im Urlaub war, half sie uns, eine gute Klinik zu finden.
Dort schilderte ich einen Tag später einer jungen Ärztin meine Symptome. Sie empfahl mir Präparate, die meinen Gesundheitszustand verbessern sollten. Aber keine der Tabletten hatte geholfen und mein Zustand verschlechterte sich immer mehr. So ist uns nach zwei Tagen nichts anderes übrig geblieben, als noch einmal in die Klinik zu fahren.
Diesmal behandelte mich eine sehr erfahrene Ärztin. Sie ordnete nach kurzer Schilderung der Symptome direkt einige Untersuchungen an. Ehe ich mich versah, wurde ich auch schon stationär aufgenommen.
Die vorläufige Diagnose: eine Lungenentzündung und eine akute Bronchitis.
Weiteren Untersuchungen eines Lungenfacharztes und eines Infektiologen ergaben, dass ich mir auf unserer Reise durch den Amazonas einen bakteriellen Infekt eingefangen hatte. Dieser setzte sich in meinen Atemwegen fest. Der Arzt meinte, dass ich nach sieben bis zehn Tagen stationärer Behandlung allerdings wieder soweit gesund sein sollte, um weiterreisen zu können. Aber es kam anders.
Die ersten Coronafälle in Peru
Schon am zweiten Tag meines Krankenhausaufenthaltes nahmen die Corona-Fälle in ganz Peru schlagartig zu. Die Ärzte stürmten in mein Zimmer und redeten unentwegt auf uns ein.
Ich hatte um ehrlich zu sein, kein Wort davon verstanden, nur sowas wie „wir sollen gehen und grosse Gefahr“. Sophie spricht Spanisch und übersetzte. Die Ärzte meinten anscheinend, dass wir besser das Krankenhaus verlassen sollten. Es gäbe keine Isolationsmöglichkeiten. Das wäre ein grosses Problem, da die ersten COVID-19 Fälle gemeldet wurden. Die Ansteckungsgefahr wäre für mein geschwächtes Immunsystem zu gross.
Zum Vergleich: In Deutschland gibt es 28.000 Intensivbetten, in ganz Peru 400. Wir verliessen das Krankenhaus mit den Entlassungspapieren, Medikamenten und einem ausführlichen Bericht. Für die Versicherung erhielten wir eine Empfehlung für einen Krankenrücktransport. Als wir in unserer Unterkunft ankamen, erfuhren wir dann, dass der peruanische Präsident den nationalen Notstand ausgerufen hatte. Innerhalb kürzester Zeit wurden Ausgangssperren verhängt, Geschäfte in unserer Strasse geschlossen und der gesamte nationale und internationale Verkehr stillgelegt.
Die Menschen zogen sich in Ihre Unterkünfte und Häuser zurück. Von jetzt auf gleich wurde es still, wir hörten nur die immer wieder aufheulenden Sirenen.
Trotz der aufkeimenden Angst und Unsicherheit reichten wir erst einmal alle Unterlagen bei der Versicherung für den Krankenrücktransport ein. Diese wollte den Sachverhalt prüfen und sich wieder bei uns melden.
Die Lage in Cusco spitzte sich zu
Noch am selben Tag marschierten hunderte Polizisten und Soldaten in die Stadt und wir verstanden erst in diesem Moment, in welcher Situation wir steckten. Ich hatte keine Ahnung, was passieren wird oder was es überhaupt bedeutet, wenn für ein ganzes Land der Notstand ausgerufen wird. So musste es sich anfühlen, wenn man wirklich Angst hat.
Wir informierten unsere Familien und Freunde über die Situation und wirklich alle unterstützten uns. Mein Bruder führte mühsame Gespräche mit der Auslandskrankenversicherung, unsere Mütter versuchten beim Auswärtigen Amt an Informationen zu gelangen und unsere Freunde überschütteten uns minütlich mit Pressemitteilungen oder mehr oder weniger hilfreichen Videos und Fotos. Wir hatten uns natürlich gleich auf die Rückholliste der Regierung setzen lassen und aktualisierten immer wieder unsere Posteingänge. Wir fragten uns gegenseitig immer und immer wieder, ob der jeweils andere eine Nachricht bekommen hätte. Vergebens.
Nach einiger Zeit kam endlich die Nachricht, dass uns die Versicherung den Krankenrücktransport genehmigen würde. Zwar nur mündlich, aber es war eine Zusage und sie würden uns schon irgendwie hier rausholen. Aber dann teilte uns die Versicherung mit, dass leider keine kommerziellen Flüge mehr stattfinden würden und Sie nichts für uns machen könnten. Die einzigen, die uns hier noch rausbekommen würden, wären die Botschaften.
In WhatsApp-Gruppen organisierten sich die Gestrandeten Urlauber
Anfangs versuchten wir immer und immer wieder die Botschaften telefonisch zu erreichen. Dann folgten E-Mails und irgendwann WhatsApp Nachrichten. Mit der immer selben Antwort, dass Sie aktuell nichts sagen könnten aber unter Hochdruck an einer Lösung arbeiteten.
Aus der Not heraus gründeten Reisende, die in Cusco gestrandet sind, eine WhatsApp-Gruppe. Diese diente der besseren Organisation. Auch das Honorarkonsulat aus Cusco wurde hinzugefügt und wir bildeten freiwillige Arbeitsgruppen, um die Vertreter unserer Regierung maximal zu unterstützen und zu entlasten. Wir sammelten Daten aller neuen Mitglieder und erstellen Übersichtslisten. Obwohl ich krank im Bett lag und kaum eine Nacht mehr als drei Stunden geschlafen hatte, vergingen die Tage wie im Flug. Es war anstrengend.
Es kamen ständig neue Mitteilungen. Wir führten unzählige Telefonate. Der Präsident hielt verschiedene Reden und täglich gab es neue Listen, in die wir uns eintragen sollten. Und schliesslich das 50 Millionen Euro Versprechen der Deutschen Bundesregierung für die Rückholaktionen. Für uns war jeder Tag war wie eine Achterbahnfahrt: Erst gab es keine Infos, dann ein paar wenige Infos die uns wieder Hoffnung gaben. Diese wurden spätestens abends wieder revidiert.
An die Soldaten und die Ausgangssperre gewöhnten wir uns sehr schnell und es gab in Cusco bis dato keine Lebensmittelknappheit oder Menschen, die Toilettenpapier hamsterten.
Menschen anderer Nationen konnten Peru verlassen
Aber die Erkrankung und vermutlich auch das permanente Gefühlschaos zwischen Hoffnung und Entmutigung setzen mir ziemlich zu. Innerhalb von zwei Wochen gab es nahezu keine neuen Nachrichten. Wir erfuhren über unsere Botschaft, dass Flüge aus Lima starten sollten.
Unser Problem: Ein Transport von Cusco nach Lima könnte leider nicht ermöglicht werden. Wir fragten, ob das auch für medizinische Notfälle gelte, bekamen aber auch hier wieder keine Antwort.
Besonders frustrierend war für uns zu sehen, dass täglich Menschen anderer Nationen mit dem Flugzeug oder per Bus aus Cusco abreisten. Nur für uns aus Deutschland fehlten die entsprechenden Genehmigungen. Wir hatten grössten Respekt vor den Mitarbeitern der Botschaften, die versuchten, diese Mammutaufgabe zu bewältigen. Aber es fiel uns schwer, gelassen zu bleiben. Unser Problem war die Angst:
Die Angst, nicht genau zu wissen, wie es einem eigentlich geht, weil es schwer war, überhaupt einen Arzt aufsuchen zu können. Die Angst, plötzlich hier in Quarantäne zu kommen oder vor die Tür gesetzt zu werden. Die Angst vor einem Corona Ausbruch in einem Land mit insgesamt 400 Intensivbetten und zum jetzigen Zeitpunkt über 580 Corona-Fällen.
Airlines stornierten Rückflüge
Währenddessen stornierten die verschiedenen Airlines unsere bereits gebuchten Flüge. Die Kosten bekamen wir nicht erstattet. Wir erhielten Voucher, die wir bis Ende November einlösen können. Die Kosten für die Rückholflüge der Regierung sollten bei über 1000 Euro pro Person liegen.
Während der ganzen Zeit kämpfte ich neben den Beschwerden der Lungenentzündung und der Bronchitis auch mit starken Kreislaufproblemen, Übelkeit und Magenproblemen.
Die starken Medikamente halfen mir, die Infektion los zu werden, aber sie raubten mir auch meine letzten Kräfte. Und die Gesamtsituation trug ihren Teil dazu bei, dass ich an manchen Abenden einfach nur in meinem Bett sass und vor lauter Verzweiflung weinte. Ich dachte mir immer wieder: „Ich gebe auf, ich kapituliere, es macht doch alles keinen Sinn.“
Vor wenigen Tagen teilte uns die Botschaft mit, dass sie gerade erste Schritte einleiten würde, um die Leute aus der Umgebung, wie etwa dem heiligen Tal, in die Stadt zu bringen. Neun Tage, nachdem der Notstand ausgerufen wurde, fingen die Behörden erst damit an, die Reisenden aus den gerade einmal eine Stunde entfernten Bergen zu holen. Wir waren fassungslos und konnten es einfach nicht glauben.
Die Kräfte lassen langsam nach
Mein grösstes Problem war, dass sich die von der Klinik verschriebene Medikation dem Ende neigte. Trotz vieler Versuche konnten wir den behandelnden Arzt nicht kontaktieren. Er hatte zu viel mit den akuten Corona-Fällen zu tun.
Gestern erreichte uns der allererste Anruf der Botschaft - es gäbe einen Bus für medizinische Notfälle, der nach Lima fahren würde. Sie fragten, ob ich dort mitfahren wolle. Meine Frau könne leider nicht mitfahren. Ich erklärte, dass ich gerade zu schwach sei, um mein eigenes Gepäck zu tragen. Daraufhin versprach man mir, den Fall noch einmal zu prüfen. Wir packten vorsichtshalber unsere Koffer und warteten auf Antwort, denn weitere Informationen bekamen wir wieder nicht.
Abends um 22:00 Uhr fragten wir erneut nach und wurden enttäuscht. Man teilte uns mit, dass es keinen Bus geben wird, es würden die notwendigen Genehmigungen fehlen.
Wir fragten einige Tage nach Verkündigung des Notstandes nach, ob es nicht besser sei, wenn wir auf eigene Faust versuchen würden, nach Lima zu kommen. Vehement versuchte man, uns von diesen Plänen abzubringen, schliesslich müsse man kalkulieren und wissen wo wir seien, weil das jetzt alles sehr schnell gehen würde.
Dann ein erneuter Rückschlag: Ich musste erneut ins Krankenhaus, da sich mein Zustand wieder verschlechterte. Neben der Lungenentzündung und der Bronchitis hatte ich mir nun auch noch einen Parasiten, höchstwahrscheinlich übers Leitungswasser, eingefangen. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen.
Wir hoffen weiter. Wir hoffen auf die peruanische Regierung, wir hoffen auf die deutsche Regierung, wir hoffen, dass wir einfach endlich bald nach Hause kommen."
Update: Julia und Sophie haben Peru verlassen und sind am 2. April in Frankfurt gelandet.
"Wir sind von Cusco erst nach Iquique im Norden Chiles geflogen. Von dort ging es dann nach Santiago de Chile. Dort hatten wir drei Stunden Aufenthalt. Von dort ging es dann weiter nach Frankfurt. Der 14 Stunden Flug war sehr anstrengend. Die Verpflegung war aufgrund der Sicherheitsmassnahmen sehr rudimentär. Am Frankfurter Flughafen gab es keine Kontrollen, selbst der Grenzschutz an den Passkontrollen hatte nicht mal Masken. Von Frankfurt aus wurden wir von einem Krankentransport nach Hause gebracht. Gesundheitlich geht es mir wieder besser. Die Höhe hat meinen Gesundheitszustand wesentlich beeinflusst. Am 6. April lasse ich mich beim Arzt nochmal durchchecken. Wir sind unfassbar dankbar wir für die grosse Unterstützung von allen Seiten."
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