Die Schweiz ist ein mehrsprachiges Land. Nebst den vier Landessprachen gibt es eine Vielzahl von Kleinstsprachen und Dialekten. Manche davon sind allerdings unter Druck – andere sogar ausgestorben. Wir geben einen Überblick.

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Die Tessiner und Italienischbündner Mundarten gehören zum Lombardischen, einer norditalienischen Dialektgruppe. Die Dialekte unterscheiden sich von Tal zu Tal. Seit Jahrzehnten sind vor allem die Tessiner Dialekte stark im Rückgang. Während in den 1970er-Jahren die Mehrheit der Tessiner zu Hause Dialekt sprach, waren es 2012 nur noch rund 30 Prozent. Auch im italienischsprachigen Graubünden (Misox, Calanca, Bergell und Puschlav) zeigt sich eine ähnliche Tendenz, wenn auch etwas schwächer.

Walserdeutsch stirbt aus

Im 13. Jahrhundert wanderten deutschsprachige Siedler aus dem Wallis ins abgelegene Valle di Bosco Gurin. Die Bewohner des einzigen deutschsprachigen Dorfes des italienischsprachigen Kanton Tessins bewahrten wegen der isolierten Lage unzählige Wörter und Formen aus dem Alt- und Mittelhochdeutschen und entwickelten eigene Charakteristika. Deshalb ist Gurinerditsch einzigartig. Doch das Walserdeutsch aus Bosco Gurin wird nur noch von ganz wenigen Personen gesprochen.

Siedler aus dem Wallis brachten ihre Sprache auch in den Kanton Graubünden. Dabei sticht das Walserdeutsch von Mutten besonders hervor, da es sich sprachwissenschaftlich keiner Hauptgruppe der Walserdialekte zuordnen lässt. 1934 schrieb ein Dialektologe seine Habilitation über "Die Mundart von Mutten", konnte aber auch keine abschliessende Erkenntnis liefern. Die archaische Mundart ist mittlerweile fast verschwunden.

Sutsilvan ist gefährdet

Rätoromanisch entstand aus der Vermischung von Volkslatein mit keltischen und rätischen Sprachen im Gebiet des heutigen Kanton Graubündens. Rätoromanisch gilt laut Atlas der gefährdeten Sprachen der UNESCO als gefährdete Sprache. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch die Mehrheit der Bündner Bevölkerung Rätoromanisch sprach, sind es heute noch etwa ein Fünftel.

In der ganzen Schweiz sprechen noch etwa 0,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung einen der fünf rätoromanischen Idiome. Die am meisten gefährdete Dialektgruppe ist das Sutsilvan. Es wird nur noch an einer einzigen Primarschule unterrichtet.

Bis ins 19. Jahrhundert sprachen die Bewohner der französischsprachigen Schweiz (ausser im Kanton Jura) frankoprovenzalische Dialekte. Es handelt sich dabei nicht etwa um einen französischen Dialekt, sondern um eine romanische Sprache, die ähnlich eigenständig ist wie Rätoromanisch.

Schweiz will Dialekt wahren

Das Hochfranzösisch verdrängte Frankoprovenzalisch. Heute wird es nur noch im Kanton Freiburg und im Unterwallis gesprochen – und zwar von älteren Menschen. Mit einer Ausnahme: Der frankoprovenzalische Dialekt "Patois d'Evolène" konnte sich im Walliser Val d’Hérens erstaunlich gut halten und wird sogar an der Primarschule unterrichtet.

Mehrere Hörproben finden Sie im "Atlas linguistique audiovisuel du Valais romand".

Frainc-Comtou ist ein Dialekt der Langue d’oïl, einer Gruppe von Romanischen Sprachen. Er wurde in Teilen Frankreichs und im Schweizer Kanton Jura gesprochen. Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Sprache fast verschwunden. Sowohl in Frankreich wie auch in der Schweiz werden Bemühungen unternommen, den Dialekt zu bewahren. Dennoch sprechen wohl kaum mehr als 3800 Personen in Frankreich und der Schweiz Frainc-Comtou.

Romanes ist die Sprache der Sinti und Roma – die ursprünglich aus Indien eingewanderten Fahrenden. Romanes gehört wie Urdu und Hindi zur indoarischen Sprachfamilie. Heute leben schätzungsweise 50’000 bis 80'000 Roma in der Schweiz. Sie kämpfen um Anerkennung des Romanes als Minderheitensprache.

Sondersprache mündlich überliefert

Manche Schweizer Fahrende sprechen nebst Schweizerdeutsch auch Jenisch. Diese Sondersprache wird mündlich tradiert. Sie ist eine Varietät der deutschen Sprache – wobei es in der Schweiz, Österreich, Deutschland, den Benelux-Staaten und Frankreich unterschiedliche Jenisch-Dialekte gibt. Der Wortschatz des Jenischen ist sprachhistorisch eng mit dem Rotwelsch verwandt – einer im Mittelalter im deutschen Sprachraum benutzten Geheimsprache von Bettlern.

Weil die Schweiz den Jenischen zwischen 1926 und 1973 systematisch die Kinder weggenommen hat, geriet Jenisch arg in Bedrängnis. Manche Jenische müssen die Sprache heute neu lernen. Wie viele Schweizer noch Jenisch sprechen, wird nicht erhoben.

Mattenglisch im Berndeutsch

Das unter europäischen Juden entwickelte Jiddisch ist keine einheitliche Sprache, sondern besteht aus vielen Dialekten und einer künstlichen Hochsprache (Yivo). Im aargauischen Surbtal – wo Schweizer Juden bis Mitte des 19. Jahrhunderts leben mussten – entwickelte sich eine Schweizer Variante (Surbtaler oder Endinger Jiddisch), doch diese starb Ende des 20. Jahrhunderts aus. Nur einzelne Wörter wurden ins Schweizerdeutsche übernommen – zum Beispiel "Stuss" für "Unsinn".

Einige Nachkommen der Anfang des 20. Jahrhunderts aus Osteuropa eingewanderten Juden sprechen noch ostjiddische Dialekte. Dies vor allem in orthodoxen Familien.

Mattenenglisch ist eine ausgestorbene Sonder- und Geheimsprache, welche im Mattequartier in Bern und von der Stadtberner Unterschicht gesprochen wurde. Der Soziolekt entwickelte sich auf der Grundlage des Matteberndeutsch – wobei die Worte nach komplizierten Regeln umgebaut wurden: Die ersten Buchstaben eines Wortes wurden bis und mit dem ersten Vokal abgetrennt und hinten ans Wort gehängt. An den Wortanfang kam immer der Buchstabe "i".

Und am Schluss des Wortes wurde der Vokal zu "e" umgebaut. Die Sprache enthielt auch Wörter aus dem Französischen, Rotwelschen, Hebräischen und Jenischen. Viele mattenenglische Ausdrücke sind ins Berndeutsche übernommen worden.  © swissinfo.ch

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