- Fast 14 Jahre nach der Tat kann ein Verurteilter in Bayern Hoffnung schöpfen.
- Das Landgericht München I hat die Wiederaufnahme des Verfahrens im sogenannten Badewannen-Mord von Rottach-Egern angeordnet.
- Zudem wurde der 62-Jährige mit sofortiger Wirkung aus der Haft entlassen.
- Ein Blick auf einen möglichen Justizirrtum.
Im Oktober 2008 stirbt eine 87-Jährige in einem Haus in Rottach-Egern im oberbayerischen Kreis Miesbach. Eine Pflegedienst-Mitarbeiterin findet sie tot in der Badewanne. Im Mai 2010 wird der Hausmeister zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Die zuständige Kammer des Landgerichts München II ist überzeugt: Er hat die alte Dame ertränkt, weil er zwei schwere Kopfverletzungen vertuschen wollte, die er ihr zuvor zugefügt habe.
Jetzt hat der Fall eine spektakuläre Wendung genommen. Manfred G. ist – vorerst – ein freier Mann. Das Landgericht München I hat die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet. Der Grund: Es gibt neue Sachverständigengutachten, die den Verurteilten möglicherweise entlasten. 2010 hätten die verwendeten Methoden noch nicht zur Verfügung gestanden.
Auch ein Sturz könnte zum Tod geführt haben
So haben ein Thermodynamiker und eine Rechtsmedizinerin erstmals die Wassertemperatur beim Auffinden der Leiche ungefähr errechnen können. "Auf dieser Grundlage konnte sodann eine neue ungefähre Eingrenzung der Leichenliegezeit und damit des Todeszeitpunkts erfolgen", erläuterte das Landgericht. Dieser liege erheblich ausserhalb des vom verurteilenden Gericht angenommenen Zeitfensters.
Einfacher ausgedrückt: Manfred G. scheidet mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent als Täter aus. So fasste es die "Süddeutsche Zeitung" (kostenpflichtiger Inhalt) zusammen.
Ausserdem liegt inzwischen eine neue computergestützte biomechanische Simulation vor, wonach auch ein Sturz als Ursache des Todes der Seniorin infrage komme. Zuvor hatte ein Gerichtsmediziner noch ausgeschlossen, dass die tödlichen Verletzungen Folge eines Sturzes sein konnten.
Das erste Urteil gegen den damals 52-Jährigen ist nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes seit Oktober 2012 rechtskräftig. Er war zuvor für den Tod seiner Bekannten wegen Mordes und vorsätzlicher Körperverletzung zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Auch in einem ersten Prozess im Jahr 2010 wurde er als Täter verurteilt.
Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil jedoch auf und wies den Fall an eine andere Münchner Strafkammer zurück. Mit der Anordnung der Wiederaufnahme kommt es nun erneut zur Hauptverhandlung.
Staatsanwaltschaft suchte lange vergeblich nach einem Motiv
Der Hausmeister hatte die Tat stets bestritten. Auch ein Motiv fehlte, weil er sich mit der 87-Jährigen immer gut verstanden haben soll. Die Staatsanwaltschaft unterstellte ihm Habgier. Doch dann stellte sich heraus, dass er der Frau kein Geld gestohlen hatte, wie es die Ankläger vermuteten.
Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge präsentierte der Staatsanwalt vor der Verurteilung von G. dann ein anderes Motiv: "Ich glaube, die haben sich gestritten, weil Frau K. erzürnt darüber war, dass G. nicht mit seiner Frau und dem kleinen Sohn zu ihr zum Kaffeetrinken kommen wollte", sagte er in seinem Plädoyer. Das war ein fragwürdiges Motiv - doch das Gericht hielt es offenbar für überzeugend.
Anwältin: "Der muss das erst verarbeiten, all die gestohlenen Jahre"
Auf jeden Fall ist Manfred G. nun auf freiem Fuss – erstmals seit seiner ersten Inhaftierung im Februar 2009. Die Entscheidung kam plötzlich und auch für ihn und seine Rechtsvertreterin sehr überraschend.
"Ich glaube nicht, dass er das schon richtig fassen kann. Der muss das erst verarbeiten, all die gestohlenen Jahre", sagte seine Anwältin Regina Rick in einem Interview mit dem "Münchner Merkur". Ihr Mandant ist dreifacher Vater. Sein jüngstes Kind ist der Anwältin zufolge 13 – er hat es praktisch nicht aufwachsen sehen.
Manfred G. habe die Justizvollzugsanstalt mit einem Rollkoffer, zwei Tüten und einem uralten Handy verlassen, seine Frau und dann die Anwältin umarmt. Mit den Gedanken war er offenbar noch in der Haftanstalt, erzählte Regina Rick: "Er machte sich Sorgen, wie die in der Wäscherei auskommen sollen ohne ihn."
Erinnerung an Gustl Mollath
Falls der Hausmeister nach mehr als 13 Jahren Haft doch noch freigesprochen wird, wäre das nicht der erste spektakuläre Justizirrtum in Bayern: Sein Schicksal erinnert an den Fall von Gustl Mollath. Der heute 65-Jährige wurde sieben Jahre lang als gemeingefährlich eingestuft und in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht, bis er 2014 freigesprochen wurde.
Wann die neue Hauptverhandlung gegen Manfred G. beginnt, steht noch nicht fest. Der Gerichtsreporter Hans Holzhaider schreibt aber in der "Süddeutschen Zeitung": "Nachdem die zuständige Strafkammer nach eingehender Prüfung aller Beweismittel keinen dringenden Tatverdacht mehr sieht, erscheint eine erneute Verurteilung sehr unwahrscheinlich." (fab)
Verwendete Quellen:
- dpa
- Merkur.de: Mann kommt nach fast 14 Jahren aus Gefängnis frei – "Die Justiz hat einfach was erfunden"
- Sueddeutsche.de: Justiz in Bayern: Wie holt man ein verlorenes Leben nach?
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