1995 wird Brigitta Jacobi erstochen, der Täter entkommt unerkannt. Erst 25 Jahre später bringt eine DNA-Analyse die Wahrheit ans Licht: Der angesehene Manager Hartmut M. wird als ihr Mörder überführt. Doch die Justiz steht vor einer Herausforderung.

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Es ist Freitag, der 14. Juli 1995, ein warmer Sommertag. Brigitta Jacobi pendelt wie gewohnt mit der S-Bahn nach Sindelfingen. Dort will sie auf ihr Fahrrad steigen und die letzten zwei Kilometer bis zur Arbeit radeln. Doch als sie ankommt, bemerkt sie, dass ihr Fahrrad kaputt ist. Ihr bleibt keine Wahl – sie muss den Weg zu Fuss zurücklegen.

Die 35-jährige Brigitta ist freischaffende Künstlerin, nimmt aber gelegentlich Aushilfsjobs an, um sich finanziell über Wasser zu halten. So auch in dieser Woche. Die Vorbereitungen für eine Modemesse laufen, der Arbeitstag in der Textilfirma ist stressig und länger als geplant. Erst um 23:28 Uhr stempelt Brigitta aus. Eine Kollegin bietet ihr an, eine Mitfahrgelegenheit zur S-Bahn zu organisieren. Doch Brigitta möchte niemandem zur Last fallen. Der Weg ist kurz, die Nacht lau. So beschliesst sie, die Strecke durch das Industriegebiet allein zurückzulegen.

Eine fatale Entscheidung.

Der Mord an Brigitta Jacobi

Auf halbem Weg, in der Tilsiter Strasse, wird Brigitta plötzlich von einem Mann angegriffen. Was genau in den ersten Sekunden des Überfalls geschieht, bleibt im Dunkeln. Fest steht, dass Brigitta auf offener Strasse mit einem Messer attackiert wird. Der Täter sticht 23-mal auf sein Opfer ein.

Zwei Soldaten der US Navy, die mit ihrem Auto vorbeifahren, bemerken den Kampf und halten ihn zunächst für einen harmlosen Streit zwischen einem Paar. Doch als sie genauer hinsehen, erkennen sie die grausame Realität. Sie wenden ihr Fahrzeug, fahren zurück – doch es ist zu spät. Brigitta liegt bereits schwer verletzt auf der Strasse. In der Dunkelheit und der chaotischen Situation gelingt dem Täter die Flucht.

Weitere Zeugen vermuten einen Verkehrsunfall und rufen den Rettungsdienst. Wenige Minuten später trifft der Notarzt ein, doch für Brigitta Jacobi kommt jede Hilfe zu spät. Sie stirbt noch am Tatort.

Die Landespolizeidirektion Stuttgart bildet die Sonderkommission "Tilsit" und fahndet in alle Richtungen, doch eine heisse Spur bleibt aus. Zeugen beschreiben den Täter, ein Phantombild wird angefertigt. Hinweise gibt es viele, doch keiner führt zum Durchbruch.

Eine vielversprechende Spur ist ein schwarzer Honda CRX, den Zeugen am Tatort gesehen haben wollen. Die Ermittler überprüfen alle Fahrzeughalter dieses Wagentyps in der Umgebung. Darunter ist auch ein gewisser Hartmut M., ein erfolgreicher Topmanager, der angibt, zur Tatzeit mit einem Kollegen in einem Biergarten gewesen zu sein. Sein Alibi wird nicht weiter überprüft – ein schwerer Fehler, wie sich später herausstellen wird. Denn wäre sein Alibi genau verifiziert worden, hätte sich gezeigt, dass der Biergarten zur Tatzeit längst geschlossen war.

Eine DNA-Mischspur unter den Fingernägeln des Opfers wird zwar gesichert, doch die Analysetechnik steckt 1995 noch in den Kinderschuhen.

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Ein weiteres Opfer und die späte Aufklärung

Sechs Jahre nach dem Tod von Brigitta Jacobi, im September 2001, wird eine weitere Frau Opfer eines Verbrechens. Magdalena Heinrich ist mit ihrer Landfrauengruppe auf einem Ausflug nach Ungarn unterwegs, als sie wegen eines abgelaufenen Reisepasses an der österreichisch-ungarischen Grenze abgewiesen wird.

Ein Geschäftsmann bietet ihr an, sie zurück nach Deutschland zu nehmen. Magdalena steigt gutgläubig in das Fahrzeug des Fremden. Der Fahrer, Hartmut M., bringt sie auf ein abgelegenes Areal, fesselt sie und sticht mehrfach auf sie ein. Ihre Leiche wird erst eine Woche später an der A70 entdeckt.

Dieses Mal wird der Täter gefasst und wegen Totschlags zu 12,5 Jahren Haft verurteilt. Nach aussen ein angesehener Geschäftsmann, entpuppt sich Hartmut M. als eiskalter Mörder.

Als Hartmut M. 2017 erneut in Freiheit ist, scheint der Fall Jacobi in den Tiefen des Justizsystems verloren. Doch nicht für Nicola M., die Schwester der ermordeten Brigitta. Sie gibt nicht auf und setzt sich jahrelang für die Wiederaufnahme des Falls ein. Erst als sie einen Anwalt einschaltet, kommt Bewegung in die Ermittlungen.

Der entscheidende Durchbruch gelingt 2020: Die Polizei nimmt sich erneut der 25 Jahre alten DNA-Spur an, die damals am Körper des Mordopfers gesichert wurde – und diesmal liefert die moderne Forensik ein eindeutiges Ergebnis. Der genetische Fingerabdruck führt direkt zu Hartmut M., dem Mann, der bereits für den Mord an Magdalena verurteilt wurde – und nun endgültig als Mörder von Brigitta Jacobi überführt ist.

Späte Gerechtigkeit – Mord verjährt nicht

Im Februar 2020 nehmen Spezialkräfte den mutmasslichen Mörder fest. Der Prozess beginnt im Herbst. Zehn Monate lang wird in Stuttgart verhandelt. Die Staatsanwaltschaft steht vor einer grossen Herausforderung. Sie muss nachweisen, dass es sich nicht um Totschlag, sondern um Mord handelt – eine juristische Feinheit, die über Verjährung oder späte Gerechtigkeit entscheidet.

Ein psychiatrischer Gutachter bezeichnet Hartmut M. als hochgradig gefährlich. In seiner Wohnung werden Hunderte Fotos und Videos mit sadistischen Inhalten sichergestellt, seine Ex-Frau berichtet von brutalen sexuellen Praktiken, zu denen er sie gezwungen hatte.

Im Juli 2021 fällt das Urteil: lebenslange Haft wegen Mordes. Doch der Bundesgerichtshof zweifelt an der Heimtücke als Mordmerkmal. Ein Revisionsprozess folgt, aber ohne Erfolg für den Täter. 2023 wird Hartmut M. erneut verurteilt und wandert lebenslang hinter Gitter.

Für Nicola M. ist das Urteil eine lang ersehnte Erleichterung. "Alles andere wäre eine Zumutung gewesen. Meine Schwester ist tot und bleibt tot", sagt sie nach der Urteilsverkündung. Doch die Frage, die bleibt, ist die nach dem Motiv des Mörders. War es Lust am Töten? Ein sexueller Übergriff? Hartmut M. schweigt bis heute zu den Taten.

Verwendete Quellen

  • Aktenzeichen XY Retro 95 – "Mord auf offener Strasse"
  • RTL News: "Der tiefe Fall eines Topmanagers: Hartmut Methling soll eiskalter Frauenkiller sein"
  • Stuttgarter Zeitung: "Der lange Schatten der toten Schwester"
  • SWR-Podcast Sprechen wir über Mord?!: "Tödlicher Topmanager – True Crime I Der Fall Brigitta Jacobi"