Im Jahr 1999 wird in Kolumbien ein Mann von der Polizei festgenommen - und gesteht kurze Zeit später den Mord an mindestens 140 Kindern. Im Laufe der Ermittlungen stellt sich heraus, dass die Zahl deutlich höher ist. Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke lernte den Serienmörder persönlich kennen.

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Bei seiner Festnahme im April 1999 ahnte die Polizei in Kolumbien noch nicht, dass sie einen Mann gefasst hatte, der unzählige Kinder getötet hat. Luis Alfredo Garavito gilt als einer der brutalsten Serienmörder der jüngeren Kriminalgeschichte. Vor 25 Jahren gestand der als "La Bestia" bekannt gewordene Mann den Mord an 140 Kindern im Alter von 8 bis 16 Jahren. Später stellte sich heraus, dass er mindestens 189 Kinder entführt, missbraucht und ermordet hatte.

Die tatsächliche Zahl seiner Opfer könnte deutlich höher sein, wie der Kriminalist Dr. Mark Benecke weiss. Er durfte als einer der wenigen Menschen Anfang der 2000er-Jahre den inhaftierten Garavito im Gefängnis besuchen.

"Niemand wollte mit ihm reden. Meine Kolleginnen und Kollegen in Bogotá meinten zu mir, er sei ein Monster, kein Mensch", erinnert sich Benecke auf Anfrage unserer Redaktion. Die höhere Opferzahl kenne der Kriminalbiologe aus polizeilichen Akten. Neben Kindern habe Garavito auch mögliche Zeugen getötet. Vor Gericht sei allerdings nur angeklagt worden, was gut darzulegen war. Auch stand die Polizei in ungutem Licht da – denn Garavito wurde bei seiner Festnahme nicht sofort erkannt.

Benecke: Garavito wurde "durch Zufall" enttarnt

Die Polizei begann bereits 1998 mit Ermittlungen, nachdem in der Stadt Pereira die Leichen von 36 ermordeten Jungen gefunden worden waren. Im April 1999 nahmen Behörden dann den damals 42-jährigen Garavito wegen der Vergewaltigung eines kleinen Jungen unter einem falschen Namen fest. "Er ist nur durch Zufall aufgeflogen", so Benecke.

Am 28. Oktober 1999 gab Garavito laut Medienberichten überraschend ein umfassendes Geständnis ab, als ihn ein Untersuchungsrichter fragte, ob er etwas mit 114 Kindern zu tun habe, deren Leichen in verschiedenen kolumbianischen Städten gefunden wurden. Der zuständige Ermittlungsrichter Pablo Gonzales sprach von einer "bestürzenden Gefühlskälte" des Täters, als der sich zunächst zu 140 Morden bekannte.

Laut Benecke liegt die fehlende Reue darin begründet, dass es sich bei Garavito um einen antisozialen Narzissten und Psychopathen handelte. "[Sie] haben im Gehirn eine Veränderung, die es ihnen unmöglich macht, Reue zu empfinden, wie sie 'normale' Menschen kennen". Garavito habe beispielsweise Mitleid für einen Jungen geäussert, der Missbrauch in der Kindheit erlebt hatte, und ihn danach dennoch zu Tode gefoltert. Benecke habe Garavito besucht, um mehr über die mögliche Prävention von Serienmördern zu lernen.

Der Fall Garavito traumatisierte Kolumbien

Das Geständnis Garavitos vor 25 Jahren löste in Kolumbien eine Welle der Wut und Trauer aus - und eine Debatte über das angebrachte Strafmass für den Mörder. Die Todesstrafe ist in dem Land verboten, der damalige Polizeichef General Rosso Jore Serrano forderte damals öffentlich, über eine mögliche Änderung zu sprechen.

Benecke lernte den Staatsanwalt des Falles als schwer traumatisiert kennen. Auch die Polizisten, die zum Teil den Müttern der verschwundenen Kinder anfangs nicht geglaubt hatten, hätten schwere Schuldgefühle gehabt.

Garavito tötete in elf Bundesstaaten - und half dann der Polizei

Der 1957 in Quindio in Kolumbien geborene Luis Garavito bereiste elf Departements des Landes, das insgesamt aus 32 Bundesstaaten besteht. Dort lockte er Kinder und Jugendliche an versteckte Orte, um sie zu foltern, vergewaltigen und mit einem Schnitt durch den Hals zu töten oder sogar zu enthaupten. Aufgrund der häufigen Wechsel seiner Aufenthaltsorte und Arbeitsplätze und verschiedener falscher Identitäten konnte Garavito auch nach seiner Festnahme nicht sofort mit der Vielzahl von Morden in Verbindung gebracht werden.

Nach seinem Geständnis gab Garavito offenbar bereitwillig Details zu seinen Taten preis, in einem Notizbuch fand sich eine Liste seiner Opfer. Der Serienmörder verwies die Polizei später an Tatorte in weiten Teilen Kolumbiens. Die Richter in den elf kolumbianischen Bundesstaaten, in denen Garavito mordete, erhöhten nach Angaben der AFP die Zahl der Morde im Zuge der Ermittlungen von 140 auf 189.

Bewährung für einen Serienmörder?

Wegen des Missbrauchs und Mordes an den Kindern zwischen 1992 und 1999 rechnete sich Garavitos Strafe auf rund 2.600 Jahre Haft auf. Die Gesetzgebung Kolumbiens begrenzte zu dieser Zeit die Höchststrafe im Gefängnis allerdings auf 40 Jahre.

In den letzten Jahren vor seinem Tod galt eine Entlassung Garavitos als theoretisch möglich, da er drei Fünftel seiner Strafe verbüsst hatte und so nach kolumbianischem Recht ein Ende der Haft auf Bewährung möglich gewesen wäre.

Im Jahr 2021 lehnte der damalige Präsident Iván Duque diese Möglichkeit allerdings ab und versicherte der Bevölkerung, dass Garavito "während seiner Amtszeit" inhaftiert bleibe. Auch für Benecke wäre eine Freilassung auf Bewährung unrealistisch gewesen, "da er sich unmöglich irgendwo hätte eingliedern können". "Er wäre draussen in Tagesfrist tot gewesen, wenn er erkannt worden wäre", sagt Benecke. "Vermutlich wäre er blitzschnell abgetaucht. Darin war er sehr gut und es ist in Kolumbien wegen der weiten Gebiete und des Chaos' auch einfach."

Zu einer tatsächlichen Verhandlung über eine Freilassung des Serienmörders sollte es nie kommen. Am 13. Oktober 2023 starb Garavito in einem Krankenhaus in Valledupar im Norden Kolumbiens.

Verwendete Quellen

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