Journalistin, Mutter, Terroristin – heute wäre Ulrike Meinhof 80 Jahre alt geworden. Doch nicht nur ihr Geburtstag, auch das legendäre RAF-Mitglied selbst gerät immer mehr in Vergessenheit. Dabei gibt es noch immer offene Fragen zu ihrer Person.
Als Ikone und Märtyrerfigur der Linken wurde sie bezeichnet. Aber bevor sie zu einer der meistgesuchten Terroristinnen wurde, war Ulrike Marie Meinhof zuallererst Mutter zweier Töchter und eine der bekanntesten deutschen Journalistinnen der Bundesrepublik. Meinhof wurde vor ihrer Radikalisierung von vielen Lesern als Vordenkerin angesehen, die verkrustete Gesellschaftsstrukturen kritisch in Frage stellte. Heute gelten kritische Fragen ihrer eigenen Person.
Wie kam Ulrike Meinhof zur RAF?
Die Ehe zu Klaus Rainer Röhl, dem Herausgeber der linksgerichteten Zeitschrift Konkret, für die auch Meinhof arbeitete, war 1967 am Ende. Konkret ging es wirtschaftlich schlecht, es gab privat wie beruflich Unstimmigkeiten zwischen Röhl und Meinhof. Beim Prozess über die Kaufhaus-Brandstiftungen im April 1968, über den Meinhof berichtete, lernte sie die späteren Mitbegründer der Roten Armee Fraktion (RAF) Andreas Baader und Gudrun Ensslin kennen und schätzen. Meinhof wurde radikaler und kompromissloser. Sie schrieb: "Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht". Im Juni 1970 gründete die 35-Jährige mit Baader, Ensslin und weiteren Verbündeten schliesslich die RAF.
Warum haben sich gerade Studenten und Menschen aus dem Mittelstand der RAF angeschlossen?
Die Wiederbewaffnung Deutschlands, 20 Jahre Vietnamkrieg, ehemalige Nazi-Funktionäre in den höchsten Staatsämtern – es gab vieles, wogegen insbesondere Studenten in der noch jungen BRD auf die Strasse gingen und dann zu Tausenden inhaftiert wurden. Spätestens nach dem Attentat auf den Studentensprecher Rudi Dutschke 1968 radikalisierten sich – wie Meinhof selbst – deshalb auch ehemals friedliche Demonstranten. Ihren Widerstand gegen die vom Staat ausgehenden Repressalien sahen sie als legitim und überfällig an.
An welchen Aktionen war Meinhof im Rahmen der RAF beteiligt?
Nach der Befreiung Baaders 1970 war Meinhof im Untergrund neben mehreren Banküberfällen 1972 an insgesamt fünf Bombenanschlägen beteiligt. Dabei wurden vier Menschen getötet und über 50 verletzt. In den Jahren 1971 und 1972 formulierte sie drei Kampfschriften im Namen der RAF und begründete damit die ideologische Basis des "bewaffneten Kampfs".
Wie kam es zu Meinhofs Tod?
Am 9. Mai 1976 findet ein Justizbeamter der Justizvollzugsanstalt Stuttgart Meinhof in ihrer Zelle: Sie hängt mit einem in Streifen gerissenen und verknoteten Handtuch am Zellenfenster. Laut dem ersten offiziellen Obduktionsbericht handelt es sich um Suizid. Eine zweite, von Meinhofs Schwester Wienke Zitzlaff in Auftrag gegebene Untersuchung kommt zu ebendiesem Schluss, obwohl Zitzlaff selbst nicht an die Selbstmord-These glaubt. "Es gibt ein Foto, auf dem Ulrike hängt, aber ein Bein auf einem Stuhl steht", erzählt die mittlerweile 83-Jährige. "So hängt man nicht." Auch eine von Zitzlaff initiierte internationale Untersuchungskommission wies auf die Widersprüche hin. Sie kam zu dem Ergebnis, dass es keinen zweifelsfreien Beweis für einen Suizid gebe, dafür aber zahlreiche Hinweise, dass Meinhof zum Zeitpunkt des Aufhängens bereits tot gewesen sein könnte.
Hätte sie theoretisch nach ihrer Zeit in Haft resozialisiert werden können?
Durch Untersuchungen an Meinhofs Gehirn konnten Magdeburger Professoren 1976 eine Schädigung im Bereich der Amygdala festgestellt, die aufgrund einer 1962 versuchten, aber erfolglosen Entfernung eines gutartigen Tumors zustande gekommen war. Die Amygdala ist an der Entstehung von Angst beteiligt und spielt damit eine wichtige Rolle, wenn es um die Bewertung von möglichen Gefahren geht. Diesen Hirnschaden zugrunde gelegt, sind Experten bereits damals von einer wahrscheinlich verminderten Schuldfähigkeit Meinhofs ausgegangen. Die Autopsieergebnisse in diesem Zusammenhang wurden jedoch nicht veröffentlicht. Doch auch dessen ungeachtet gab es immer wieder Versuche, wie etwa durch den Journalisten Stefan Aust, Meinhof zu rehabilitieren. Meinhof haftete ohnehin der Mythos des gefallenen Engels an. Immerhin hat - man muss wohl sagen bis heute – niemand so recht verstanden, wie aus der bekennenden evangelischen Christin eine Terroristin werden konnte.
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