Wie kann man sich vor Gericht für Terroristen, Vergewaltiger und Mörder einsetzen? Einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger nennt Gründe – und erklärt, wo er die Grenze zieht.
Warum er ausgerechnet diesen Fall übernehme, wurde der Anwalt Wolfgang Heer vor rund vier Jahren gefragt. "Weil es mein Beruf ist", sagte Heer. Eine simple Antwort – aber seine Mandantin war nicht irgendwer, sondern Beate Zschäpe, angeklagt wegen Mitgliedschaft im "NSU" genannten Terrortrio, das mindestens zehn Morde begangen haben soll. Die Art, wie sich Heer und seine Kollegen – die ausgerechnet Stahl und Sturm heissen – in der Öffentlichkeit präsentierten, mit schicken Fotos, auf denen die Anwälte schwarze Sonnenbrillen tragen, liessen schnell Zweifel an ihren Motiven aufkommen: Gierten hier nicht doch eher relativ junge Strafverteidiger nach Aufmerksamkeit?
Es sind Fragen, die sich die Öffentlichkeit in vielen Prozessen stellt: Wie ist es, sich für Terroristen, Mörder oder Vergewaltiger einzusetzen? Wie ist es, der sprichwörtliche Advocatus Diaboli zu sein, der Anwalt des Teufels?
Steffen Ufer weiss das. Er gehört zu Deutschlands bekanntesten Strafverteidigern, hat
Frage: Herr Ufer, wer war der schlimmste Mandant, den Sie je vertreten haben?
Ufer: Da gab es einige, die besonders herausstechen, die ich in meinem Buch beschrieben habe. Der eine wollte der grösste Mörder im Internet werden. Der hatte schon eine Frau auf fürchterlichste Art und Weise umgebracht, nur um dem völlig irrsinnigen Wunsch nachzulaufen, wenigstens im Internet bedeutsam zu sein, wenn er schon sonst im Leben der totale Versager war, der immer wieder aus der Realität flüchtet.
Warum haben Sie diesen Fall übernommen?
Die Eltern haben angefragt. Ich wollte darstellen, dass der Junge psychisch krank ist, was auch das Gutachten ergeben hat – er hat also eine Jugendstrafe bekommen, plus Einweisung in eine Heilanstalt. Das habe ich für vertretbar gehalten: dass man einem Menschen wenigstens soweit hilft, dass man seine Fehlsteuerung als krankhaft anerkennt, ihn aber gleichzeitig verwahrt, jedenfalls so lange, bis eine hundertprozentige Besserung eingetreten ist. Allerdings hat der Mandant sich nach einiger Zeit umgebracht, weil man ihm wohl die Hoffnung genommen hat, auf absehbare Zeit entlassen zu werden.
Unter welchen Bedingungen kann man Mörder verteidigen?
Solche Leute kann man entweder auf der Basis vertreten, dass die keine Angaben machen – oder auch, wenn die Tat als solche vertretbar war, weil es ein Stück Notwehr oder sagen wir mal das Ende einer langen Affektstau-
Geschichte war. Aber ich habe es nicht zugelassen, dass jemand dumm lügt, dann habe ich das Mandat einem anderen überlassen.
Wenn man als Anwalt einen Menschen verteidigt, der andere umgebracht hat – wie erledigt man da seinen Job richtig?
Ich habe meinen Job richtig gemacht, wenn einer, dessen Schuld auch nur ein bisschen zweifelhaft war, freigesprochen wird. Oder wenn ich einen Schuldigen dazu gebracht habe, ein reuiges Geständnis abzulegen und die Entstehungsgeschichte einer schrecklichen Tat so plausibel zu machen, dass er ein angemessenes Urteil bekommt. Dann setzt er sich auch damit auseinander und kommt damit besser klar, auch in der Haft. Wer immer bestreitet, wird nie vorzeitig entlassen, bekommt nie Vollzugslockerungen, weil man sagt: Bei dem fehlt die Reue, die Einsicht, der ist wiederholungsgefährdet.
Gibt es Fälle, in denen Sie Mandanten zu einem Geständnis überredet haben?
Die gibt es natürlich. Wenn im Prozess der Mandant bereit war, ein vernünftiges Geständnis abzulegen, habe ich auch darauf hingewirkt – das gehört zu meiner Aufgabe als Verteidiger, um der Gerechtigkeit zu helfen. Damit hilft man aber auch gleichzeitig dem Mandanten.
Es ist übrigens erstaunlich: Die Hemmschwelle bei Tötungsdelikten haben nahezu alle Menschen, ich habe höchstens ein oder zwei erlebt, die diese natürliche Hemmschwelle nicht hatten. Alle anderen hatten, auch wenn sie schlimme Sachen angestellt haben, das Bedürfnis, es mindestens mir zu erzählen. Dann haben wir versucht, es den Ermittlungsbehörden verständlich rüberzubringen. Dieses Bedürfnis, sich zu entlasten, quasi eine Beichte abzulegen, das habe ich immer wieder erlebt.
Sie schreiben im Buch über einen Trickdieb, den sie immer wieder verteidigen. Warum belassen sie es nicht bei solchen Fällen? Was reizt sie an schwierigen Fällen?
In dem Moment, in dem ich jemanden als einen psychisch total kranken, durch eine schreckliche Fehlentwicklung gesteuerten Menschen sehe, kann ich ihn vertreten. Aber nur auf der Schiene, um darzustellen, dass er ein bedauernswerter Kranker und kein kriminelles Monster ist - mit dem Ziel, ihn in eine Heilanstalt bringen zu lassen um zu sehen, ob er soweit heilbar ist, dass er quasi wieder auf die Menschheit losgelassen werden kann.
Wo liegt ihre Grenze?
Bei Vergewaltigungen habe ich noch nie jemanden verteidigt, der aus dem Busch heraus eine wildfremde Frau vergewaltigt hat. Da habe ich eher Partnerschaftskonflikte übernommen, die mit Vergewaltigungsanzeigen geendet haben. Da ist die Frage: Wer sagt die Wahrheit, wird hier nicht vielleicht nur ein Partnerschaftskrieg auf strafrechtliche Ebene gezogen und persönliche Rache geübt?
Wenn wir den Fall Zschäpe als Beispiel heranziehen – da könnte man schon den Eindruck bekommen, es gibt Anwälte, die das Rampenlicht suchen.
Die gibt es absolut. Es gibt auch sehr viele, die nach dem Motto handeln: Geld stinkt nicht. Es gibt aber auch viele, die es nötig haben. In vielen deutschen Grossstädten gibt es ein anwaltliches Proletariat. In München sind wir im Laufe der letzten 50 Jahre in der Anwaltschaft von 800 auf 20.000 gewachsen. Da gibt es Kollegen, die nebenher Taxi fahren und natürlich auf jede Pflichtverteidigerschaft angewiesen sind und auch die schlimmsten Geschichten machen müssen, um sich über Wasser zu halten.
Und was den Fall Zschäpe anbelangt: Ich will mich über die Motive der Kollegen nicht äussern, aber das wäre ein Fall, den ich nicht hätte machen können. Die Geschichten, die da Gegenstand des Verfahrens sind, sind so grauenvoll, nicht nur für die Familien und die Betroffenen, sondern auch eine solche Schande für unser ganzes Land, dass mich da nicht mit Engagement hätte hinstellen könnte.
Haben Ihnen Kollegen schon einmal von Gewissensbissen berichtet?
Es gibt sicherlich Fälle, wo man mal Gewissensbisse hat, wo man mit den Kollegen so etwas diskutiert. Aber das ist eher selten, weil der Grundsatz gilt: Jeder Beschuldigte hat ein Recht auf einen Verteidiger. Es gibt nur wenige Kollegen, die sich ihre Mandate aussuchen können. Ich hatte das Glück, dass ich nie in wirtschaftlicher Not handeln musste und deswegen zum Beispiel Leute, die Kinder misshandelt haben, nicht verteidigen musste. So etwas hätte ich wegen meiner Kinder und heute wegen meiner Enkel niemals fertiggekriegt. Solche Leute habe ich weitergeschickt und gesagt: Wenden Sie sich an den oder den, die machen alles, die müssen das aus wirtschaftlichen Gründen tun. Sie haben auch das Recht auf einen Verteidiger, aber nicht auf mich.
Könnte es auch sein, dass manche wegen des Prestige gern besonders schlimme Fälle verteidigen?
Ich weiss es nicht. Unter Kollegen gilt der als guter Jurist, der gut taktieren kann, rhetorisch brilliert und sich vor Gericht durchsetzen kann. Sicher wird man durch spektakuläre Fälle bekannt und bekommt einen Ruf, der nicht immer verdient sein muss. Manche Kollegen halten sich selber für prominent, wenn sie irgendwelche C-Promis vertreten haben, und stellen sich mit ihrem Privatleben vor die Boulevardzeitungen. Das muss nicht sein, da schaut auch der normale Kollege herunter auf so einen, aber es passiert in unserer medienbestimmten Zeit immer häufiger.
Hat sich da etwas geändert, seit sie angefangen haben?
Ganz sicher. Die Bedeutung der Medien haben zunächst die wenigsten erkannt. Mein Lehrmeister und Kollege Rolf Bossi war wohl der erste, der gesehen hat, wie wichtig es sein kann, das Spiel mit den Medien zu beherrschen. Man darf eben nicht nur Polizeireporter und Pressesprecher der Staatsanwaltschaft gewähren lassen, die gern vorverurteilen – man muss frühzeitig dagegen halten, während des Prozesses Kontakt zu Journalisten suchen, um die eigene Position darzustellen. Dieses Bewusstsein ist stärker geworden. Und natürlich benutzen nun viele Kollegen die Medien, um eine gewisse Bekanntheit zu erreichen - und sei es im Bereich der C-Promis -, um damit Geld zu verdienen.
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