Mitten in der Krise mit Russland hat ein Londoner Gericht die neuerlicher Untersuchung um einen der mysteriösesten Todesfälle der jüngeren Geschichte angeordnet. Führen die Spuren zu den Drahtziehern tatsächlich in den Kreml?

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Er hat den Kampf gegen den Kreml verloren. Die Bilder von dem völlig abgemagerten, blassen und haarlosen Mann in einem Londoner Krankenbett gingen damals um die Welt. Drei Wochen lang kämpfte der Russe, der als früherer KGB-Agent zu einem der grössten Gegner Wladimir Putins wurde, mit dem Gift in seinem Körper. Sein Mörder hatte es ihm in den Tee gemischt, vermutet der britische Secret Service. Jetzt wird der Fall neu aufgerollt, ein Londoner Gericht hat die Untersuchung angeordnet. Denn bis heute weiss niemand, wer Alexander Litwinenko auf dem Gewissen hat.

Einen Schuldigen benannte der Vergiftete noch auf dem Sterbebett: "Sie werden es vielleicht schaffen, einen Mann zum Schweigen zu bringen", schrieb er in einem Abschiedsbrief, den ein Freund später veröffentlichte: "Aber der Protest aus aller Welt wird in Ihren Ohren nachhallen, Herr Putin, für den Rest Ihres Lebens."

Litwinenko stirbt durch radioaktives Gift

Kaum ein anderes Schicksal hat die Öffentlichkeit so gefesselt wie das des 43-Jährigen, der im November 2006 an einer Vergiftung durch radioaktives Polonium-210 erlag. Spät, zu spät erkannten die Ärzte, worum es sich bei der seltsamen Krankheit handelte, die Litwinenko förmlich auffrass. Bis er in das Koma fiel, aus dem er nie mehr aufwachen sollte, muss er unvorstellbare Schmerzen erlitten haben. Denn der radioaktive Stoff zerfrisst zuerst das Verdauungssystem. Einmal in die Blutlaufbahn geraten greift das Gift das Knochenmark an, zerstört das Immunsystem und löscht weisse Blutkörperchen aus.

Kurz vor seinem Tod hatte sich Litwinenko mit einem italienischen Geheimdienstexperten, Mario Scaramella, getroffen. Beide recherchierten über den russischen KGB und tauschten Informationen aus. Litwinenko untersuchte den Mord an Anna Politkowskaja, nur wenige Wochen bevor er selbst sterben musste. Scaramella soll ihm eine Todesliste gezeigt haben, die er von einem ehemaligen russischen Geheimagenten erhalten haben will. Darauf stand auch neben seinem eigenen Namen auch der Litwinenkos. Und der Politkowskajas.

Wer liess Politkowskaja ermorden?

Zwar sind im Fall der Kreml-kritischen Journalistin die Mörder gefasst, doch bis heute ist unklar, wer ihr Auftraggeber war. 2004 soll sie einem Giftanschlag nur knapp entronnen sein. Auch Politkowskaja hat offenbar wie Litwinenko Tee getrunken, bevor sie ohnmächtig wurde. Doch der Anschlag misslang, die damals 46-Jährige konnte in einem Krankenhaus behandelt und gerettet werden. Zwei Jahre später, am 7. Oktober 2006, wurde sie im Treppenhaus vor ihrer Wohnung erschossen. Es ist der Geburtstag von Präsident Wladimir Putin.

Der mutmassliche Todesschütze, Rustam Machmudow, der auf dem Video einer Sicherheitskamera zu sehen sein soll, konnte sich ins Ausland absetzen. Weitere Beteiligte sollen der Oberstleutnant des Geheimdienstes FSB Pawel Rjagusow sowie der Offizier im Innenministerium Sergej Chadschikurbanow gewesen sein. Sie wurden zwar zunächst mit zwei weiteren Verdächtigen, den Brüdern von Machmudow, festgenommen, schlussendlich endete der Prozess allerdings im Februar 2009 mit einem Freispruch für alle. Einen Monat, nachdem der Rechtsbeistand von Politkowskaja ermordet worden war. Erst sechs Jahre später wurde Dmitri Pawljutschenko, ein ehemaliger Oberst der Kriminalpolizei, als Drahtzieher präsentiert und zu elf Jahren Straflager verurteilt.

Über die wahren Auftraggeber kursieren bis heute verschiedenste Theorien. Der Kreml wertete die Tat als Provokation gegen ihn und Ramsan Kadyrow, den Präsidenten der Tschetschenischen Republik. Denn Politkowskaja hatte als eine der wenigen Journalisten immer wieder kritisch über den Tschetschenienkrieg berichtet und sich damit mächtige Feinde geschaffen. Kadyrow sah in Boris Beresowski den Drahtzieher hinter ihrer Ermordung.

Auch Kreml-Kritiker Beresowski auf Todesliste

Der Oligarch lebte im Exil in London, war mit Litwinenko bekannt. Der Milliardär, der zu Zeiten der Privatisierungen zum Ende der Sowjetunion sein Vermögen machte, gehörte zu den einflussreichsten Personen in Russland – zu Zeiten Boris Jelzins. Doch bei Wladimir Putin fiel er in Ungnade und floh nach Europa. Vor zwei Jahren wurde er in seinem Londoner Büro tot aufgefunden. Dort soll man Spuren von Polenium-210 gefunden haben – jenem Gift, das auch Litwinenko das Leben kostete. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt. Eine vorläufige Untersuchung deutete auf Erhängen hin, die folgende gerichtliche Untersuchung konnte die Todesursache letztlich aber nicht zweifelsfrei feststellen. Ein Tötungsdelikt konnte ebenso wenig ausgeschlossen werden wie ein Selbstmord.

Doch auch Beresowski soll auf jener Todesliste gestanden haben, die Scaramella Litwinenko kurz vor dessen Vergiftung gezeigt habe. Viele Jahre zuvor, 1994, hatte Litwinenko, damals noch als KGB-Agent, ein Bombenattentat auf den Kreml versucht. Den Attentatversuch hatte Beresowsi damals nur knapp überlebt. Nur wenige Jahre später wurde Litwinenko gemeinsam mit weiteren Agenten mit dem Mord des Finanziers von Jelzin beauftragt: Es sei wohl am besten, "ihn zu beseitigen", hiess es damals. Doch der warnte seinen Freund. Weil dem Kreml kurz darauf ein Tonband der Unterredung zugespielt worden war, entschloss sich Litwinenko, an die Öffentlichkeit zu gehen. 1998 legte er in einer Pressekonferenz den Mordauftrag offen und beschuldigte einige Agenten der Korruption. Damals war Wladimir Putin gerade der neue Leiter des Geheimdienstes geworden. Zwei Jahre später wählte man ihn zum neuen Präsidenten. Ein Präsident, der Oligarchen wie Beresowski loswerden wollte.

Im Londoner Exil holte der Milliardär andere Kreml-Kritiker zu sich, darunter auch Litwinenko. Doch auch dort waren sie nicht sicher. Andrej Lugowoi heisst der Mann, der Litwinenko das Gift in die Teekanne geschüttet haben soll. Der frühere Geheimdienstler arbeitete zeitweise als Leibwächter für Beresowski, später war er Geschäftsmann. Mit ihm hatte sich Litwinkeno in London getroffen, kurz vor seinem Tod. Doch Russland weigert sich, Lugowoi auszuliefern. Denn schliesslich ist der Geschäftsmann in der Sicherheitsbranche im Dienst des Staates: als Parlamentsmitglied der russischen Duma.

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