Im Netz kursieren Spekulationen und Desinformationen zum Ursprung des mysteriösen Coronavirus. Wir klären, was dran ist.
Jeden Tag steigen die Zahlen der Infizierten durch das neue Coronavirus, das im Dezember in China ausgebrochen ist. Die chinesische Gesundheitsbehörde meldet 4.515 bestätigte Fälle und 106 Todesopfer (Stand 28. Januar). Ausserhalb Chinas waren am 27. Januar laut WHO bisher 37 Fälle bestätigt.
Inzwischen gibt es auch offiziell einen Fall in Deutschland. Wenn die Nachrichten bedrohlich wirken, Medien weltweit berichten und sich die Lage so rasant verändert wie in diesem Fall, dann gedeihen auch Falschinformationen im Netz prächtig.
Coronavirus: War ein Fleischmarkt in Wuhan die Quelle?
Manchmal liegt die Desinformation in mutmasslich vorschnellen Urteilen, die in Medien wie zum Beispiel der "Bild"-Zeitung, "Business Insider" oder der Website "Unser Planet" weiterverbreitet werden.
So war die vermeintliche Quelle des Virus schnell ausgemacht: ein Fleischmarkt in Wuhan, der Huanan Seafood Market. Er wurde direkt nach der Seuchenwarnung am 31. Dezember geschlossen. Auf dem Markt sollen exotische Tiere verkauft worden sein, darunter Zibetkatzen und Kamelfleisch.
Die britische Daily Mail behauptete, es gebe eine Verbindung zu Fledermaussuppe, die dort angeboten worden sei.
Es klingt plausibel, dass das Virus auf dem Markt auf Menschen übertragen wurde – schliesslich war es ähnlich bei den anderen bekannten Coronaviren, SARS und MERS.
SARS soll durch Zibetkatzen auf Menschen übertragen worden sein, MERS durch Dromedare. Den Ursprung sollen sie bei Fledermäusen gehabt haben. Auch bei einer Pressekonferenz der chinesischen Regierung hiess es, es sei bestätigt, dass das neue Coronavirus auf dem Markt von Tieren übertragen wurde.
Nach wissenschaftlichen Untersuchungen stellte sich jedoch heraus, dass nur 27 der 41 ersten bestätigten Fälle im Dezember Kontakt zu dem Fleischmarkt in Wuhan hatten. Der allererste Fall am 1. Dezember wies keine Verbindung auf. Die Behauptung, der Markt sei die Quelle des Virus, ist daher noch unbelegt.
Was ist mit der Fledermaussuppe?
Und was ist mit der Fledermaussuppe? Auf Nachfrage sagte uns WHO-Experte David Heymann, durch gekochtes Fleisch könne man sich nicht infizieren. Direkter Kontakt mit Blut oder Verzehr von rohem Fleisch sei nötig.
Bisher sehe es zudem danach aus, als würde das Virus von Mensch zu Mensch nur durch intimen Kontakt oder Speicheltröpfchen übertragen.
War das Virus bereits patentiert?
Ein weiteres Thema, über das unterschiedliche Behauptungen kursieren, betrifft Patente. Es gibt eine Vielzahl angemeldeter Patente, die sich mit Coronaviren befassen. Auch ein von
Allerdings wird dieser Bereich nicht von der Bill & Melinda Gates Stiftung gefördert, sondern ein anderer. Die Behauptung ist falsch – wäre die Art des Virus schon bekannt und patentiert, wäre es kein neues Coronavirus.
Ist das neue Virus schlimmer als das SARS-Virus?
In einem Youtube-Video des Kanals "Odysseus", das bisher mehr als 530.000 Aufrufe hat, wird behauptet, das neue Coronavirus sei viel schlimmer und gefährlicher als das SARS-Virus von 2003. Auch dafür gibt es keine Belege.
Die Zahlen zu Todesfällen verändern sich täglich, deshalb lässt sich zu der Sterblichkeitsrate noch nichts sagen. Sie scheint aber bisher niedriger zu liegen als bei SARS. Laut WHO wurden von November 2002 bis Juli 2003 weltweit 8.096 SARS-Fälle bekannt. 774 Menschen seien gestorben.
Das Robert-Koch-Institut teilt jedoch mit, dass durch das neue Coronavirus bisher vor allem ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen starben. Das deckt sich mit den Ergebnissen der ersten Studien von chinesischen Wissenschaftlern. Beim SARS-Virus seien dagegen Menschen aller Altersklassen gestorben, sagte uns WHO-Experte David Heymann, und auch Experten aus China halten das neue Virus derzeit für weniger gefährlich als SARS.
Belügen uns die Medien über die wirkliche Gefahr durch das Virus?
In dem oben genannten viralen YouTube-Video, das sich vor allem über WhatsApp zu verbreiten scheint, wird ausserdem kräftig Stimmung gegen konventionelle Medien gemacht. Sie würden "lügen", die "wirkliche Gefahr", die durch das Virus ausgeht, verschweigen und beispielsweise nicht über die Abriegelung mehrerer Städte in der Region Hubei in China berichten.
Das stimmt nicht, sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Medien berichten mindestens seit dem 6. Januar regelmässig über das Virus, mögliche Gefahren und die Lage der Menschen in der Region, darunter die Quarantäne. So auch die Tagesschau am 23. Januar, dem Tag, an dem das Video hochgeladen wurde.
Im Gegenteil werden im Video aber auch eine Menge Dinge behauptet, welche die tatsächliche Situation übertreiben. Bereits der Titel des Videos führt in die Irre, denn von einer "Pandemie" kann laut Experten bislang noch nicht gesprochen werden. Die Begrifflichkeit bezeichnet laut Robert-Koch-Institut eine weltweite Epidemie. Die Gefahr für weltweit auftretende Fälle wird laut der World Health Organisation aktuell aber als "hoch" eingestuft. Einen internationalen Gesundheitsnotstand hat sie jedoch noch nicht ausgerufen.
Auch das Ärzte "nichts" für die Betroffenen tun könnten und machtlos seien, stimmt so nicht. Tatsächlich gibt es laut Experten derzeit noch keine antiviralen Behandlungsmöglichkeiten, die Symptome können jedoch behandelt werden. Derzeit wird laut Medienberichten in Wuhan etwa in wenigen Tagen zudem ein Krankenhaus mit über 1.000 Betten gebaut, um Betroffenen zu helfen. Die Darstellung, Ärzte oder die chinesische Regierung seien machtlos, ist demnach übertrieben.
Der Sprecher im viralen YouTube-Video gibt ausserdem Handlungsempfehlungen, so sollten Menschen öffentliche Plätze und implizit den Kontakt mit eingereisten Menschen aus Asien meiden. Diese Empfehlungen stimmen nicht mit denen der offiziellen Stellen World Health Organisation und Auswärtiges Amt überein, laut diesen Stellen soll derzeit vor allem Hygiene geachtet werden, darunter regelmässiges Händewaschen, auf die Husten- und Nies-Etikette geachtet werden und der Kontakt mit wilden Tieren vermieden werden.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.