Die Brandstiftung in der Kathedrale von Nantes eröffnet eine Debatte über einen verschwiegenen Kulturkampf. Seit einiger Zeit mehren sich in Mitteleuropa Attacken auf christliche Symbole. Kirchen, Kapellen, Friedhöfe, sogar Gipfelkreuze sind betroffen. In der Bevölkerung wächst der Ärger und die politisch heikle Beobachtung, dass häufig junge Migranten dahinter stecken.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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"Nach Notre-Dame steht die Kathedrale Saint-Pierre-et-Saint-Paul im Herzen von Nantes in Flammen", schrieb Emmanuel Macron auf Twitter. Dass gotische Kathedralen - Inbegriffe nationaler Identität in Frankreich - brennen, wühlt die Volksseele auf. Innenminister Gérald Darmanin und Kulturministerin Roselyne Bachelot-Narquin eilten wenige Stunden nach Ausbruch des Feuers nach Nantes. Notre-Dame oder die Kathedrale von Nantes sind "ein Teil von uns", betont Macron.

Nach dem Grossbrand geht die Polizei von gezielter Brandstiftung aus. Es seien drei unterschiedliche Brandherde im Kirchenraum ausgemacht worden.

In Frankreich wühlt der Brand von Nantes die politischen Gemüter auf, weil es hinter den spektakulären Grossbränden seit Monaten hunderte von kleineren Angriffen durch Zuwanderer auf christliche Symbole gibt. Tatsächlich zählt das Innenministerium jährlich mehr als 1.000 antichristliche Verbrechen, dabei handelt es sich in erster Linie um Vandalismus und Diebstähle in Kirchen und auf Friedhöfen.

Angriffe auf Kirchen in Frankreich haben sich seit 2008 vervierfacht

Die Zahl dieser Verbrechen wird seit 2008 erfasst, bis 2019 haben sich die Angriffe auf Kirchen vervierfacht. Bei den Tätern handelt es sich häufig um muslimische Jugendliche, die alkoholisiert ihre Feindbilder attackieren. 45.000 Kirchen stehen in Frankreich, laut Innenministerium werden jeden Tag zwei von ihnen gewaltsam beschädigt.

Der amerikanische Journalist Richard Bernstein, Frankreich-Korrespondent der New York Times, berichtet: "Die Gemeinden sind schockiert und fühlen sich verwundbar. Die Angriffe haben sich in den vergangenen Jahren auf dramatische Weise vervielfacht und ereignen sich praktisch in allen Teilen Frankreichs: auf dieselbe Weise im städtischen und ländlichen Raum, in grossen Städten und kleinen Dörfern."

Der parteilose Bürgermeister Henri Lemoigne, seit 1983 Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Créances in der Normandie, spricht von "echter Bestürzung" im Land, nachdem dort Unbekannte in die Kirche eingedrungen waren, den Tabernakel aufgebrochen und die konsekrierten Hostien auf den Boden geworfen hatten.

Viele Priester in Frankreich hätten schlichtweg Angst, seitdem Abbé Jacques Hamel 2016 in Saint-Étienne-du-Rouvray am Altar von islamischen Terroristen die Kehle durchgeschnitten worden war. Bei den Mördern handelte es sich um Anhänger des sogenannten Islamischen Staates (IS).

Die Zeitung Le Figaro mahnt die Politik, es handele sich bei den Serienangriffen "nicht um das Werk von Kleinkriminellen". Es gehe um systematisch Übergriffe gegen Christen. Schon im Februar 2019, zwei Monate vor dem Feuer von Notre Dame, waren innerhalb einer Woche fünf wichtige Kirchen des Landes beschädigt worden. Seitdem geschieht dies regelmässig.

Der Vandalismus betrifft ganz Mitteleuropa

Die Übergriffe auf christliche Symbole treffen nicht nur Frankreich. Eine Website aus Wien sammelt neuerdings Meldungen von Übergriffen, in den vergangenen Wochen vor allem aus Italien.

In ganz Mitteleuropa häufen sich derartige Berichte. Nach Einschätzung des Kunstexperten der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Jakob Johannes Koch, sind Kirchen in Deutschland derzeit stärker von kriminellen Übergriffen bedroht als noch vor zehn Jahren. "Vandalismen an religiösen Stätten haben in Deutschland krass zugenommen – krass nicht nur im Ausmass, sondern auch in der Qualität", schlägt der Kulturreferent der Bischofskonferenz Alarm.

Der Experte verwies dabei auf Jesuskind-Diebstähle aus Weihnachtskrippen im vergangenen Jahr, eingeworfene Kirchenfenster an Silvester in Leipzig und beschädigte Gipfel- und Grabkreuze. "Dass Täter in Weihwasserbecken Fäkalien hinterlassen, ist ebenfalls belegt", so Koch.

Nach Informationen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) liegt die Zahl der Diebstähle und Einbrüche in Kirchen jährlich über der 2.000er-Marke. Ermittelt werde in 90 bis 95 Prozent aller Fälle aber nur wegen Sachbeschädigung, berichtet Koch. Hinweise auf ideologische Hintergründe würden bei den Ermittlungen häufig übersehen. Die Enthauptung einer Christus- oder Heiligenstatue oder das Hinterlassen von Exkrementen an liturgischen Orten sei aber vielmehr ein Religionsdelikt im Sinne des Strafgesetzbuches.

"Potenziellen Tätern muss von Staat und Polizei offensiv klargemacht werden, dass so ein Angriff auf Kirchen aufgrund des grundgesetzlich verbürgten Schutzes der Religionen eine besonders schwere und deshalb massiv strafbewehrte Straftat und nicht bloss Sachbeschädigung ist", fordert Koch.

Aggressivität hat auch in Deutschland zugenommen

Auch in Bayern werden wöchentlich Fälle von Kirchenschändung angezeigt. Professor Friedrich Wilhelm Graf (Ludwig-Maximilian-Universität, München) beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit religiöser Gewalt. Angriffe auf religiöse Symbole gab es schon immer, sagt er. Doch in letzter Zeit beobachtet er eine Veränderung. "Das Klima ist zweifellos aggressiver geworden, sowohl was Hassparolen gegen Andersdenkende betrifft, als auch was Ausgrenzungs-Mechanismen betrifft. Ja, die Aggressivität hat einfach zugenommen."

Im Gefolge der Medienberichte über zerstörte Gipfelkreuze melden nun auch andere Gegenden in Deutschlands ähnliche Angriffe auf christliche Symbole. Im saarländischen Bous hat die evangelischen Kirchengemeinde in Bous einen privaten Wachdienst engagiert, "damit wenigstens unsere Gottesdienste ohne vorherige Reinigungsaktion stattfinden können", so die Pfarrerin Juliane Opiolla.

Im Landkreis Coesfeld sind Marienfiguren, Heiligenstatuen und Wegkreuze Zerstörungsattacken zum Opfer gefallen. Wie der Westdeutsche Rundfunk unter Berufung auf die Polizei berichtete, wurden in sieben Fällen Beschädigungen gemeldet. Die Standorte der Figuren liegen alle im Grossraum Dülmen. Einigen Statuen wurden die Finger oder Nasen abgeschlagen. Gezielt suchen die Zerstörer aber auch nach symbolträchtigen Häuptern des Christentums. So wurde eine Statue des heiligen Franziskus vor dem Altenzentrum Clara-Stift in Lüdinghausen geköpft, und bei einer Madonnenfigur vor der St. Agatha-Kirche in Dülmen-Rorup wurde das Jesuskind enthauptet.

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