Die Polizei hat am Morgen des 21. April den mutmasslichen Drahtzieher des Anschlags auf den BVB-Mannschaftsbus verhaftet. Der 28-jährige Deutsch-Russe Sergej W. aus Rottenburg am Neckar soll aus Habgier gehandelt haben. Es soll um Aktienwetten im grossen Stil gegangen sein - ein Kriminalfall, der in Deutschland seinesgleichen sucht.

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Am Abend des 11. April 2017 zerreissen drei Sprengsätze Teile der rechten Flanke des Mannschaftsbusses von Borussia Dortmund. Das Team fährt gerade vom Hotel L'Arrivée ab und war auf dem Weg zum Signal Iduna Park. Der Dortmund-Verteidiger Marc Bartra wird am Arm verletzt, ein Polizist erleidet ein Knalltrauma. Der Anschlag erschüttert nicht nur die Fussballwelt.

Zehn Tage später ist nun ein Verdächtiger, der mutmassliche Drahtzieher des Anschlags, von einem GSG 9-Kommando festgenommen worden. Zivilfahnder verfolgten den Verdächtigen auf dem Weg zu seiner Tübinger Arbeitsstelle, dann erfolgt der Zugriff durch die Anti-Terror-Einheit.

Am Abend erging Haftbefehl gegen ihn. Der Mann sei dringend tatverdächtig, hiess es in einer Mitteilung der Behörde.

Wer ist der Verdächtige?

Bei dem mutmasslichen Drahtzieher handelt sich um einen gelernten Elektrotechniker aus dem Raum Tübingen. Der 28-jährigen Deutsch-Russe Sergej W., der den Sprengsatz gelegt und gezündet haben soll, handelte vermutlich vom Hotel aus.

Seine Familie stammt aus dem Ural, er hat die doppelte Staatsangehörigkeit und kommt aus Freudenstadt im Schwarzwald.

Die Generalbundesanwaltschaft attestierte dem Bombenbauer ein hohes Mass an Professionalität. Die Sprengsätze seien "zeitlich optimal geschaltet" gewesen und wurden einzeln aus der Ferne gezündet.

Dem Verdächtigen traut man dieses Wissen zu: Er ist ein auszeichneter Elektroniker und hatte einen Preis dafür auf seiner Berufsschule gewonnen.

Unsicher ist noch, woher sein Wissen um Sprengstoff kommen soll. Er leistete nach "Spiegel"-Informationen 2008 zwar ein halbes Jahr Wehrdienst, aber in einem Lazarettregiment zur Instandsetzung technischer Geräte.

Bislang gehen die Behörden von keinen Mittätern aus, wie die Sprecherin der Bundesanwaltschaft, Frauke Köhler, in Karlsruhe mitteilte. Es werde aber dennoch in alle Richtungen ermittelt.

Hunderte Beamte von GSG9, Bundeskriminalamt und der Landespolizei Baden-Württemberg durchsuchten insgesamt vier Häuser in Freudenstadt, Rottenburg, Tübingen und Haiterbach und stellten dabei Kommunikationsmittel sicher.

Erste Spuren vom Finanzsektor

Die am Tatort aufgefundenen, widersprüchlichen Bekennerschreiben mit teils islamistischem, teils antifaschistischem, teils rechtsradikalem Hintergrund wurden rasch von der Polizei als wenig glaubhaft klassifiziert. Sie sollten die Behörden wohl nur auf möglichst zahlreiche falsche Fährten führen.

Die ersten ernsthaften Hinweise auf den mutmasslichen Täter erfolgten vom Finanzsektor, wo verdächtige Bewegungen am Aktienmarkt beobachtet wurden. Ausserdem meldeten sich Mitarbeiter des Onlinebrokers Comdirect wegen des Verdachts auf Geldwäsche bei den Behörden.

Diese ersten Spuren führten die Beamten auf die Spur des aus Freudenstadt stammenden Verdächtigen, der zur fraglichen Tatzeit im Hotel der Mannschaft abgestiegen war.

Ein Steak nach dem Anschlag

Bereits seit dem 13. April waren die Ermittler dem Verdächtigen auf der Spur. Angestellten des Mannschaftshotels, in welchem auch Sergej W. eingecheckt hatte, fiel der 28-Jährige unmittelbar nach den Explosionen auf.

Nach Informationen der "Bild" wirkte er geradezu entspannt, während die anderen Hotelgäste aufgeregt umher liefen. Er sei ins Restaurant gegangen und habe sich dort ein Steak bestellt.

Am 11. März hatte der Verdächtige für die Zeiträume vom 9. bis 13. April und 16. bis 20. April Reservierungen vorgenommen. Das wären die damals möglichen Zeiträume für die noch nicht feststehende Partie des BVB gewesen.

Als sicher gewesen sei, dass das Spiel auf den 11. April fällt, besuchte Sergej W. den späteren Anschlagsort zwischen dem 7. und 9. März. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, könne dies darauf hindeuten, dass Sergej W. zu diesem Zeitpunkt Hotel und Tatort auskundschaftete: von welchem Zimmer aus er Sicht auf den Bus haben würde und wo die Sprengsätze am besten zu platzieren seien.

Am 9. April soll Sergej W. nach Berichten der "Bild" das erste ihm zugewiesene Zimmer abgelehnt haben, weil er von dort aus nicht auf die Strasse hätte sehen können. Laut "Spiegel Online" nahm er schliesslich ein Zimmer im Dachgeschoss.

Aktienoption auf den Tod

Von seinem Hotelzimmer aus orderte Sergej W. online insgesamt 15.000 Optionen für 79.000 Euro in drei verschiedenen Derivaten auf die Aktie von Borussia Dortmund.

Das Geld hatte er sich über einen Verbraucherkredit geliehen. Bei den Derivaten handelte es sich um sogenannte Put-Optionen, Aktienderivate, mittels derer man auf fallende Kurse wettet.

Die makabere Logik dahinter: Je tiefer die BVB-Aktien fallen, umso höher wäre sein Profit gewesen. Wie viel ihm die Optionen im Maximalfall eingebracht hätten? Dieses Video spielt das Szenario durch:

Kursverlauf BVB-Aktie
Der Screenshot von der Website von Borussia Dortmund zeigt den Kursverlauf der BVB-Aktie. © dpa / website Borussia Dortmund

Jeder tote, verkrüppelte oder verletzte Spieler war für den mutmasslichen Täter also bares Geld wert. Der Sprengsatz war darauf ausgerichtet, maximalen Schaden anzurichten. NRW-Innenminister Ralf Jäger sprach von einem klaren Kalkül, zu töten.

Ob die Rechnung tatsächlich aufgegangen wäre, kann aber auch bezweifelt werden. Es handelt sich bei den Aktien eines Fussballvereins nicht um reine Spekulationsobjekte. Viele sind in Händen von Fans, die sich ihrem Verein gerade in Krisenzeiten verbunden fühlen. Tatsächlich gab der Kurs nach, er fiel aber auch nicht ins Bodenlose.

Wieso passierte nichts Schlimmeres?

Das die drei Explosionen am ungepanzerten Bus und der Mannschaft verhältnismässig wenig Schaden verursachten, lag wohl vor allem am zu hohen Standort der mittleren und wichtigsten Bombe in der Mitte des Busses. Sie detonierte in einem Meter Höhe, von wo aus sie kaum Schaden verursachen konnte.

Die Sprengkraft an sich war laut Bundesanwaltschaft immens: Bis zu 250 Meter weit flogen die Metallstifte, mit denen der Täter die Bomben gespickt hatte, um maximalen Schaden anzurichten. Die Fenster zerbarsten teilweise. Trotz Sicherheitsglas bohrte sich ein Splitter in eine Kopfstütze.

Unklar ist noch die Art des verwendeten Sprengstoffs, da dieser restlos verbrannt ist. Kriminaltechnische Untersuchungen durch Bodenproben sollen Klarheit bringen.

De Maizière: "Besonders widerwärtige Form der Habgier"

Innenminister Thomas de Maizière nannte die Tat eine "besonders widerwärtige Form der Habgier", BVB-Sportdirektor Michael Zorc betonte vor allem die grosse Erleichterung der Mannschaft. Auch Trainer Thomas Tuchel wünscht sich jetzt vor allem wieder Normalität, ohne ständig "Waffen sehen zu müssen".

Der Verdächtige Sergej W. wird nun dem Haftrichter vorgeführt. Es geht um 20-fachen versuchten Mord, schwere Körperverletzung und Herbeiführung einer Sprengsatzzündung. Im Falle eines Schuldspruchs erwartet den Angeklagten eine mehrjährige Haftstrafe.

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