Im Jahr 2000 wurde in Hamburg die erste Babyklappe in Deutschland eröffnet. Seitdem hat sich viel für Mütter getan – aber genutzt werden die Einrichtungen noch immer. Insgesamt gibt es rund 90 ihrer Art in Deutschland.
Dieser Anblick war ein Schock: Zwischen Stapeln von Altpapier auf einem Fliessband entdeckten die Mitarbeiter einer Recyclinganlage in Hamburg im November 1999 ein totes Neugeborenes. Es war damals schon das vierte Neugeborene, das in jenem Jahr in der Stadt ausgesetzt oder getötet aufgefunden worden war.
Als Reaktion darauf eröffnete der damalige Verein Sternipark in Hamburg am 8. April 2000 die erste Babyklappe in Deutschland. Das Ziel war und ist bis heute, verzweifelten Müttern eine anonyme und sichere Möglichkeit zu bieten, ihre Neugeborenen abzugeben.
Die Idee dahinter ist, Kindstötungen und das Aussetzen von Kindern zu verhindern.
Gut 90 Babyklappen in Deutschland
Heute – 25 Jahre später – gibt es gut 90 solcher Einrichtungen in Deutschland, die Babyklappe, Babyfenster oder Babytür heissen. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, da Babyklappen nicht offiziell erfasst werden.
Deshalb gibt es auch keine verlässlichen Zahlen dazu, wie viele Kinder in Deutschland jedes Jahr insgesamt in einer Babyklappe abgegeben werden.
Sternipark, der inzwischen kein Verein mehr, sondern ein Kita-Träger ist, betreut insgesamt drei Babyklappen, zwei in Hamburg – in der Georgsstrasse in Altona und in der Schönenfelder Strasse im Stadtteil Wilhelmsburg – sowie eine weitere Klappe in Lübeck.
Kinder werden schnell medizinisch betreut
30 Zentimeter hoch und 72 Zentimeter breit sind die Klappen in Hamburg, die das Leben von Mutter und Kind in den meisten Fällen für immer verändern. Dahinter steht ein Wärmebett bereit, das konstant auf einer Temperatur von 37 Grad gehalten wird.

Wird ein Neugeborenes hineingelegt, kann die Mutter die Klappe selbst schliessen. Bis sie ganz geschlossen ist und sich automatisch verriegelt, kann die Mutter die Babyklappe noch wieder von aussen öffnen. Danach wird das Schloss zum Schutz des Kindes verriegelt.
Gleichzeitig werden Ehrenamtliche darüber informiert, dass die Klappe geöffnet worden ist. "Sie nehmen das Kind liebevoll in Empfang und sorgen dafür, dass es medizinisch untersucht und versorgt wird", sagt Leila Moysich, Geschäftsführerin von Sternipark.
Nach dieser Untersuchung kommt das Kind dann entweder in eine Pflegefamilie oder aber bleibt für ein bis zwei Tage im Krankenhaus, wo es weiter versorgt wird. Die Kinder sind oft nur wenige Stunden oder Tage alt. "Das Alter lässt sich recht gut am Zustand des Nabels erkennen", erklärt sie.
Mütter können Kind acht Wochen lang zurücknehmen
60 Neugeborene sind in den Babyklappen von Sternipark seit dem Jahr 2000 abgegeben worden. 17 Mütter entschieden sich später dafür, ihr Kind doch bei sich aufwachsen zu lassen. "Ich hatte das grosse Glück, alle 17 Frauen kennenzulernen, die sich später für das Leben mit ihrem Kind entschieden haben", sagt Moysich.
Acht Wochen lang haben Frauen die Möglichkeit, ihr Kind nach der Abgabe doch wieder zu sich zu nehmen. "Die Frauen, die ihre Kinder abgeben, sind in einer grossen Notlage", weiss Moysich. "Sie bringen ihr Kind ohne medizinische Hilfe auf die Welt und leisten dabei Unermessliches."
Schon zuvor haben sie in der Regel ihre Schwangerschaft vor ihrem Umfeld verborgen.
Die Situation der Mütter
Die Gründe, sein Kind in einer Babyklappe abzugeben, sind vielfältig. "Oft handelt es sich um Frauen, die Anfang oder Mitte 20 sind", sagt Moysich. Entgegen gängigen Vorteilen handele es sich dabei oft um besser situierte Frauen in einer Notlage, aber auch um Alleinerziehende und um Frauen mit Gewalterfahrungen.
Nun hatte die gesellschaftliche Situation vor 25 Jahren für Eltern, als die Babyklappen eingerichtet wurden, noch zusätzliche Härten: "Es gab kein Recht auf einen Krippenplatz ab dem ersten Lebensjahr, keine Elternzeit und kein Elterngeld", erinnert sich die Geschäftsführerin.
Die Situation für Mütter war dadurch noch weitaus schwieriger als heute. "Ich erinnere mich zum Beispiel an eine junge Bankangestellte, die fast fertig mit ihrer Ausbildung und schwanger war", sagt Moysich. "Ihr war klar, dass sie die Ausbildung eigentlich gleich noch einmal von vorne machen kann, wenn sie nun erst einmal drei Jahre mit ihrem Kind zu Hause bleibt."
Mütter können dem Kind einen Namen geben
Doch wenn eine Frau sich nun innerhalb der acht Wochen umentscheidet und ihr Kind wieder zu sich nehmen möchte: Wie kann sie nachweisen, überhaupt die Mutter des jeweiligen Kindes zu sein? "Es gibt Fragen, die nur die leibliche Mutter des Kindes beantworten kann", erläutert Moysich.
Dadurch lässt sich oft schon eingrenzen, ob eine Frau die Mutter sein kann, zum Beispiel: Wann genau hat sie ihr Kind abgeben? Welche Kleidung hat das Kind getragen? "Und im Zweifelsfall gäbe es auch weitere, medizinische Indikatoren, die eine Mutterschaft belegen können."
Frauen haben auch immer die Möglichkeit, dem Kind etwas Persönliches mitzugeben und es mit die Babyklappe zu legen, beispielsweise einen Namenswunsch. "Wir haben es auch schon erlebt, dass Mütter zwar nicht in der Lage waren, ihre Kinder zurückzunehmen, aber sich trotzdem nach einigen Tagen bei uns gemeldet haben, um zu fragen, wie es dem Baby geht."
Dann bietet der Kita-Träger mit dem "Projekt Findelbaby" für Mütter in Not an, die Frau zum Arzt zu begleiten, damit sie nach der Geburt untersucht wird. "Wir fragen auch, ob die Mutter einen Namenswunsch für das Kind hat", sagt sie. "Die meisten sind dann ganz erstaunt, dass das überhaupt möglich ist. Dabei ist das so wichtig für das Kind, für später, für die eigene Identität."
Im Fenster der Babyklappe liegt auch Material zu Hilfsangeboten in mehreren Sprachen aus, etwa zu Beratungsstellen oder zur Möglichkeit, sich bei der Geburt anonym medizinisch begleiten zu lassen.
Mütter können sich jederzeit melden
Klar sollte sein: Keine Frau gibt ihr Kind leichtfertig in einer Babyklappe ab. Und doch ist damit oft eine Stigmatisierung verbunden – oder sie wäre es, wenn es über die Frau bekannt würde.
Leila Moysich ärgert das. "Eine Frau kann sich bis zur zwölften Woche für eine Abtreibung entscheiden, wenn sie ein Kind nicht bekommen möchte, und das bekommt dann oft noch nicht einmal jemand in ihrem Umfeld mit. Wieso wird dann so hart über Frauen geurteilt, die 40 Wochen schwanger waren, ihr Kind oft allein und ohne Hilfe auf die Welt gebracht haben und dann dafür sorgen, dass es versorgt wird?"
Mütter können sich auch später noch bei Sternipark melden. Niemand verurteilt sie. Im Gegenteil: "Wir freuen uns über jede Mutter, die Kontakt aufnimmt", sagt Moysich . "Wir fragen nicht nach dem Warum, sondern wie wir helfen können."
Neben der Babyklappe bietet Sternipark auch rund um die Uhr Hilfe an, über eine bundesweite Notfallnummer, über persönliche Beratung oder auch mit der Begleitung bei einer anonymen Geburt (08004560789).
Babyklappen trotz Möglichkeit zur vertraulichen Geburt
Rechtlich und ethisch sind Babyklappen durchaus umstritten: So haben Recherchen des Deutschen Ethikrates und weitere Untersuchungen die Hoffnung nicht belegen können, dass dadurch Kindstötungen verhindert werden.
Schwer wiegt auch: Das Kind erfährt in den meisten Fällen nichts oder nur sehr wenig über seine eigene Herkunft – denn wenn die Mutter sich nicht meldet, bleibt unbekannt, wer sie ist. Das Recht, etwas über die eigene Herkunft zu wissen, leitet sich aber aus dem Grundgesetz ab.
In Deutschland gibt es deshalb seit 2014 die vertrauliche Geburt. Das Angebot richtet sich an Frauen, die ihr Kind anonym zur Welt bringen, dabei aber medizinisch betreut werden möchten. Zugleich geben sie ihrem Kind die Chance, später einmal seine Herkunft zu erfahren. Vermittelt wird die vertrauliche Geburt in den meisten Fällen über Beratungsstellen.
Die Frau wählt dafür ein Pseudonym, also einen Decknamen, unter dem sie das Kind zur Welt bringt. Sie wird dabei medizinisch so behandelt wie jede andere Gebärende.
Das Krankenhaus weiss zum Beispiel, dass es sich um eine vertrauliche Geburt handelt, es erfährt aber nicht den echten Namen der Frau. Die Beratungsstelle wiederum dokumentiert die echten Personalien der Frau verschlossen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Ab dem 16. Lebensjahr hat das Kind das Recht, die Identität seiner Mutter zu erfahren, sofern keine schwerwiegenden Gründe dagegen sprechen.
Alternative Angebote erreichen nicht alle Frauen
Allerdings gibt es auch Hinweise darauf, dass mit diesem Angebot nicht alle schwangeren Frauen in Notlagen erreicht werden – etwa, weil sie nicht von dieser Möglichkeit wissen oder ihre Daten nicht hinterlegen möchten.
Die Zahl der Kinder, die in Babyklappen abgegeben wurden, scheint verschiedenen Berichten zufolge seit der Möglichkeit der vertraulichen Geburt 2014 zurückgegangen zu sein – aber sie ist nicht bei Null. In Hamburg beispielsweise wurde noch im November 2024 ein neugeborenes Mädchen in die Babyklappe gelegt.
"Solange auch nur ein einziges Kind im Jahr durch eine Babyklappe gerettet werden kann, brauchen wir sie", sagt Moysich. Auch wenn sich seit dem Jahr 2000 viel für Mütter verändert hat – Elterngeld, Elternzeit, Anspruch auf einen Betreuungsplatz – bleibe der Druck hoch, besonders für junge Frauen.
Oft kaum genutztes, aber wichtiges Angebot
Dass die vertrauliche Geburt eine wichtige Ergänzung zum Angebot ist, steht ausser Frage. Doch nicht jede Frau nutzt sie – aus Unwissenheit, Angst oder schlicht, weil sie keine Spuren hinterlassen will. Das glaubt auch Christian Schindlbeck, Chefarzt der Gynäkologie am Klinikum Traunstein in Oberbayern. An den beiden Standorten des Klinikums gibt es im Jahr rund 2.000 Geburten, davon waren in den vergangenen zehn Jahren zwei oder drei vertraulich.
Zusätzlich zur Möglichkeit der vertraulichen Geburt gibt es auch an dieser Klinik seit gut drei Jahren eine Babyklappe. Sie wurde eingerichtet, nachdem vor drei Jahren im 15 Kilometer entfernten Ruhpolding ein totes Neugeborenes in der Nähe eines Wanderparkplatzes entdeckt worden war.
Bislang wurde noch kein Kind in der Babyklappe abgegeben. Und doch: Sie bleibt. "Die Babyklappe ist wichtig", sagt Schindlbeck. Sie werde rund um die Uhr überwacht, das medizinische Personal sei sofort einsatzbereit.
Infozettel in mehreren Sprachen klären auf, auch die anonyme Weiterbehandlung der Mutter wird angeboten. "Ich würde mir ein flächendeckendes Angebot wünschen", sagt er. "Mein Eindruck ist, dass Babyklappen zuletzt eher wieder abgebaut werden. Aber wir wollen einfach vorbereitet sein." Denn selbst, wenn die Babyklappe am Klinikum noch nicht genutzt worden ist – sollte sie einmal benötigt werden, weil eine Frau keinen anderen Ausweg mehr sie, dann ist sie da.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Leila Moysich, Geschäftsführerin des Kita-Trägers Sternipark Hamburg
- Gespräch mit Professor Dr. Christian Schindlbeck, Chefarzt der Frauenklinik des Klinikums Traunstein