Die Schweizer Berghilfe entstand zu Krisenzeiten, 1943. Heute, nach 75 Jahren, geht es der Stiftung blendend: Viele Städter spenden grosszügig. Warum ist die Schweizer Bevölkerung heute noch so solidarisch mit ihren Bergbauern?
Das Leben in den Schweizer Bergen ist hart und karg: Klima und Topographie eignen sich nur bedingt für die Landwirtschaft. Die Bergbevölkerung lebte lange Zeit in bitterer Armut. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts vermieteten manche Bergbauern aus der Not sogar ihre Kinder als Saisonarbeiter an deutsche Bauern.
Im Kriegsjahr 1943, als die meisten Bergbauern im Aktivdienst waren und Frauen, Kinder und Grosseltern die Höfe allein bewirtschaften mussten, sammelte eine Kommission unter dem Begriff "Berg-Hilfe" erstmals Spenden für die Bergbevölkerung. Die Idee war, dass die Städter den armen Berglern helfen.
Später entstand daraus ein Verein, der schliesslich in eine Stiftung umgewandelt wurde mit dem Zweck, die Existenzgrundlagen und Lebensbedingungen der Schweizer Bergbevölkerung zu verbessern.
Konkret kann das die Finanzierung eine Holzheizung sein, aber auch der Bau einer Forstseilbahn oder die Ausrüstung ehrenamtlicher Samariter mit Notfallmaterial (die Ambulanz hat in den Bergen zu lange Anfahrtswege) oder das Aufräumen nach Naturkatastrophen wie Stürmen, Überschwemmungen oder Lawinen.
Die Schweizer Berghilfe finanziert sich bis heute ausschliesslich aus Spenden.
Solidarität hat deutlich zugenommen
Laut Schweizer Berghilfe stellt das Klima die Bergbauern auch heute noch vor grosse Herausforderungen. Doch die Bergbevölkerung kann mehr denn je auf die Solidarität der Städter zählen: 2017 erhielt die Schweizer Berghilfe so viele Spenden wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Rund 56'000 Personen – vor allem aus den urbanen Gebieten – haben insgesamt 31,2 Millionen Franken gespendet.
Damit setzt sich ein Trend fort: "Die allermeisten Spenden – in den letzten Jahren immer über drei Viertel – stammen aus den Stadt- und Agglomerationsgebieten", sagt Ivo Torelli von der Schweizer Berghilfe.
Zwar sei seit der Gründung der Schweizer Berghilfe der Solidaritätsgedanke "Die Stadt hilft den Bergen" der Gleiche geblieben. Aber die Grössenordnung habe deutlich zugenommen: "Anfangs der 1980er-Jahre betrug das Spendenvolumen etwa 5 Millionen Franken, in den letzten 10 Jahren waren es rund 25 Millionen Franken pro Jahr."
Manche Städter lassen es nicht beim Spenden bewenden. Einige Hundert pro Jahr leisten sogar einen freiwilligen Arbeitseinsatz: Sie helfen auf einer Alp bei Rodungsarbeiten, schneiden Sträucher zurück, entfernen Steine oder unterhalten Bergwege.
Jeder Schweizer ein Bergler
Heute gehört die Schweiz zu den reichsten Ländern der Welt. Niemand ist gezwungen, in den rauen Bergen wohnen zu bleiben. Woher also kommt diese Solidarität der Stadtbevölkerung mit der Bergbevölkerung?
"Das hat viel mit der Schweizerischen 'Identität' zu tun, mit der Entstehungsgeschichte der Schweiz und mit der grossen Schweizer Tradition, dass man bereit ist, denjenigen, denen es nicht so gut geht, zu helfen", meint Torelli. "Will heissen, jede Schweizerin, jeder Schweizer, ist auch ein bisschen Bergler."
Dass der Identität und Heimatverbundenheit eine grosse Bedeutung für die Spendenbereitschaft an die Berghilfe zukommt, bestätigt auch die Soziologie-Professorin Katja Rost von der Universität Zürich. Viele Leute würden eigentlich gerne selbst in der schönen Natur der Berge leben, wenn es denn die Arbeit und das soziale Umfeld zulassen würden.
"Es ist traurig zu sehen, wie alle in den Städten wohnen und die Dörfer aussterben. Die traditionellen Beizen gehen zu Grunde. Es gibt keine Tante-Emma-Läden mehr. Und man wandert an verfallenen Geisterdörfern vorbei."
Die Soziologin betont, dass auch wirtschaftliche und moralische Überlegungen bei der Spendenbereitschaft eine Rolle spielen: "Gerade Personen mit einer starken Heimatortverbundenheit, und hierzu gehören Schweizer, wollen nicht in Folge mangelnder Infrastrukturen oder Einnahmen vertrieben werden. Das wäre auch traurig für ein Land, dem es dank der Städte, aber eben auch dank der Kultur, so gut geht. Die Dörfer sind ein Stück Schweizer Kultur und damit auch ein Stück Schweizer Erfolg. Man würde den eigenen Erfolg untergraben, wenn man dieses Stück Kultur einfach fallen lassen würde", ist die Soziologin überzeugt.
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