Schüsse, brennende Autos, Panik: Culiacán im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa erlebt kriegsähnliche Szenen. Die Verhaftung eines namhaften Verdächtigen geht schief. Die Regierung muss sich nun vorhalten lassen, vor dem organisierten Verbrechen zu kapitulieren.
Mexikanische Sicherheitskräfte haben wegen massiver Gegenwehr die Verhaftung eines Sohns des früheren Drogenbosses Joaquín "El Chapo" Guzmán abgebrochen. Es gab mindestens acht Tote. Der wegen Rauschgifthandels in den USA gesuchte Ovidio Guzmán López wurde nach Angaben der Regierung am Donnerstagnachmittag in einem Haus in der Stadt Culiacán identifiziert. Dann tauchten demnach schwer bewaffnete Gangster auf - vermutlich gehörten sie dem Sinaloa-Drogenkartell von "El Chapo" an. Die rund 30-köpfige Einheit von Armee und Nationalgarde war den Angaben zufolge in der Unterzahl und zog sich daher zurück.
Die Bewaffneten hielten die Hauptstadt des nordwestlichen Bundesstaates Sinaloa anschliessend etwa sechs Stunden lang in Atem und befreiten 55 Insassen einer Haftanstalt. Augenzeugen berichteten von Szenen wie im Krieg. In Videos waren Vermummte mit schweren Waffen, brennende Fahrzeuge und auf dem Boden kauernde Autofahrer zu sehen. Mindestens acht Menschen starben und 16 wurden verletzt, wie der mexikanische Verteidigungsminister Luis Cresencio Sandoval mitteilte. Schulen und Unis blieben am Freitag geschlossen.
Sicherheitskräfte wollten Blutbad verhindern
Er habe die Entscheidung der Sicherheitskräfte unterstützt, sich zurückzuziehen, um ein Blutbad zu verhindern, erklärte Staatspräsident Andrés Manuel López Obrador bei einer Pressekonferenz am Freitag. "Viele Bürger waren in Gefahr", meinte er. "Einen Kriminellen zu fassen, kann nicht mehr wert sein als die Leben der Menschen."
López Obrador sagte, der Einsatz der Soldaten habe auf die Festnahme eines mit Haftbefehl gesuchten Verbrechers abgezielt. Er widersprach damit den Angaben seines Sicherheitsministers Alfonso Durazo vom Vorabend, wonach die Sicherheitskräfte Ovidio Guzmán bei einer Routine-Patrouille entdeckt hatten. Der mutmassliche Gangster sollte nach Worten des Präsidenten ausgeliefert werden.
Der Einsatz sei schlecht geplant gewesen, sagte Verteidigungsminister Sandoval am Freitag in Culiacán. Die Fähigkeit des Kartells, viele Leute zu mobilisieren, sei unterschätzt worden.
Bis zum Freitagmorgen (Ortszeit) herrschte Unklarheit darüber, ob Guzmán López alias "El Ratón" (Die Maus) in Gewahrsam war. Dies dementierte ein selbst ernannter Anwalt von dessen in den USA inhaftierten Vaters "El Chapo" Guzmán im Fernsehen. Die Familie habe zeitweise den Kontakt zu dem 28-Jährigen verloren, dieser habe sich aber inzwischen telefonisch gemeldet. Es gehe ihm gut.
In mexikanischen - traditionellen wie sozialen - Medien wurde kritisiert, dass die Gangster in Culiacán, der Wiege des einst von Guzmán angeführten Sinaloa-Kartells, offensichtlich mächtiger seien als der Staat. "Culiacán: eine unerklärliche Kapitulation", lautete die Überschrift eines Beitrags des Journalisten Jorge Fernández Menéndez in der Online-Ausgabe der Zeitung "Excelsior".
13 tote Polizisten
So ging eine Woche allmählich zu Ende, die damit begonnen hatte, dass mutmassliche Angehörige des Kartells Jalisco Nueva Generación am Montag einen Konvoi der Polizei im westlichen Bundesstaat Michoacán angriffen und 13 Polizisten umbrachten - weil sie ihnen vorwarfen, mit rivalisierenden Banden unter einer Decke zu stecken.
Der erst seit Dezember regierende Linkspopulist López Obrador war mit dem Versprechen angetreten, die seit vielen Jahren schlimme Gewalt einzudämmen - mit einer gelockerten Drogenpolitik und der Förderung von Bildung und Arbeitsplätzen, aber auch mit der Schaffung der Nationalgarde. In den vergangenen zwei Jahren erlebte das lateinamerikanische Land jeweils neue Höchstmarken bei der Anzahl der Morde - 2018 waren es fast 36 000.
"El Chapo" Guzmán wurde im Juli in New York zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem er in Mexiko gefasst und Anfang 2017 in die Vereinigten Staaten ausgeliefert worden war. Guzmán soll mit mehreren Frauen mindestens neun Kinder haben. Einige seiner Söhne gelten als wichtige Figuren im Machtkampf um die Kontrolle des Sinaloa-Kartells. (dpa/fra)
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