Während der Krieg im Sudan mittlerweile seit elf Wochen wütet, warnt Kenias Präsident William Ruto vor einem Bürgerkrieg, der das Land vollständig zu zerstören droht. Das Land droht zu kollabieren, Frieden ist nicht in Sicht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von David Bieber sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Einen möglicherweise entscheidenden Sieg in Sudans Bürgerkrieg könnte die paramilitärische Miliz RSF, Rapid Support Force, errungen haben. In Sudans Hauptstadt Khartum soll Medienberichten zufolge die RSF, kommandiert vom ehemaligen Vizepräsidenten Hamdan Daglo Hametti, am Montag die Einnahme einer der wichtigsten Zentralen des sudanesischen Sicherheitsapparates vermeldet haben. Demnach soll es sich um das Hauptquartier der "Central Reserve Police (CRP)" im Süden von Khartum sowie das benachbarte Militärlager Awad Khogali handeln, berichtet etwa die "taz".

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"Hunderte" Regierungssoldaten sollen getötet oder gefangengenommen worden sein. Zudem sollen auch 14 Zivilisten getötet worden sein. Die Schlacht um die Polizeizentrale zählt damit zu den schwersten seit Ausbruch des Kriegs Mitte April. Die RSF hält den Grossteil Khartums, die Regierungsarmee geht immer wieder mit Luft- und Artillerieangriffen gegen RSF-besetzte Wohnviertel vor.

Bürgerkrieg im Sudan: Kein Frieden in Aussicht

Während der Krieg zwischen Sudans Armee um General Abdel Fattah Burhan und der Miliz RSF um General Hametti mittlerweile seit elf Wochen wütet, warnt Kenias Präsident William Ruto in einem Video vor einem Bürgerkrieg, der das Land vollständig zu zerstören droht.

Ähnlich sieht es auch Wissenschaftlerin Hannelore Kusserow von der FU Berlin. "Meine persönliche Einschätzung ist wenig positiv", sagt sie unserer Redaktion auf Anfrage. "Ich sehe wenig Möglichkeiten, den Krieg im Sudan zu beenden. Beide Rivalen und Lager werden wohl nicht schnell zum Verhandlungstisch zurückkehren, ausser vielleicht Prigoschin wird in Russland kaltgestellt."

Aber auch dann würden die Kampfhandlungen, Vertreibungen und Morde in der Krisenregion Darfur, wo die RSF ihren Ursprung hat, weitergehen. "Möglicherweise ist Khartum noch zu retten, aber auch das kann keiner mit Bestimmtheit sagen. Und die Gefahr eines Auseinanderbrechens des Sudan wird von Tag zu Tag grösser", sagt Kusserow. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind seit Kriegsbeginn auf der Flucht, die Zahl der zivilen Toten geht in die Tausenden.

Da angestossene Friedensverhandlungen und ein Mediationsprozess erfolglos blieben und andererseits die skrupellose russische Söldnertruppe Wagner seit Jahren in dem Land aktiv ist, stellt sich die Frage nach den internationalen Verstrickungen und Abhängigkeiten in dem Krieg, der sich schnell von einem bewaffneten Machtkampf zweier verfeindeter Generäle zu einem brutalen Bürgerkrieg entwickelt hat.

Ist der Krieg im Sudan eine Fortsetzung des Konflikts in der Ukraine?

Dass die Wagner-Gruppe weit mehr als nur eine Söldnertruppe in Afrika ist, zeigt sich auch in Sudan. "Sie vertritt politische, wirtschaftliche und militärische Interessen vor Ort", analysiert die Hanns-Seidel-Stiftung. Kann der blutige Krieg in Sudan auch als eine Art Fortsetzung des Ukraine-Kriegs auf einem anderen Schauplatz betrachtet werden?

"Nein", sagt Gerrit Kurtz, Wissenschaftler bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) mit Sitz in Berlin. "Der Krieg in Sudan ist definitiv keine 'Fortsetzung' des Ukraine-Kriegs'." Der Ursprung des Kriegs liegt laut Kurtz nicht im russischen Imperialismus, sondern in der Konkurrenz im sudanesischen Sicherheitssektor.

Anders hatte dies noch vor Kurzem der Leiter der Welthungerhilfe für Sudan, Michael Gabriel, gedeutet. "Der Konflikt hier ist irgendwie eine Fortsetzung der russischen Invasion der Ukraine, denn im Sudan sehen wir auch die Rolle der Wagner-Gruppe und den Versuch Russlands, den Sudan zu kontrollieren, um einen Hafen an der Küste des Sudan in die Hand zu bekommen", sagte Gabriel im Gespräch mit unserer Redaktion.

Wagner-Söldner mit Verbindungen zu beiden Seiten

Laut Wissenschaftler Kurtz, der der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der SWP angehört, hatte Wagner nicht nur zur RSF, sondern in der Vergangenheit auch zur Armee gute Verbindungen. "Wagner mag einige Waffen zu Anfang des Kriegs an die RSF geliefert haben; kriegsentscheidend ist diese Unterstützung nach allem, was wir wissen, jedoch bei weitem nicht."

Daher lässt sich laut Kurtz keine Parallele ziehen zwischen dem Krieg in der Ukraine, wo der Westen die Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland unterstützt, und dem Sudan-Krieg. "Bisher wird der Krieg in Sudan vor allem von Faktoren innerhalb des Landes getrieben, auch wenn Drittstaaten dort natürlich Interessen verfolgen."

Vor allem Russland, repräsentiert durch Wagner, hegt Interessen in Sudan, das wie Kamerun, Mali oder die Zentralafrikanische Republik reich an Bodenschätzen ist. Zugleich gilt vor allem der Sudan als seit Jahrzehnten instabil und dessen Bewohner als leicht empfänglich für russische Staatspropaganda und Desinformationen. Aber auch der Westen verfolgt - ökonomische - Interessen, was wesentlich weniger in der medialen Berichterstattung in Deutschland zum Ausdruck kommt.

Die Maschinerie hinter den Söldnern

Eine neue Studie im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung zeigt die militärische, ökonomische und politische Rolle, die Russlands Söldnergruppe in Afrika spielt. Demnach arbeitet die Wagner-Gruppe immer auf dieselbe Art und Weise. "Im Gegenzug für militärische Beratung oder die Entsendung von Söldnern sichern sich Wagner-Firmen den Zugang zu Bodenschätzen", erklärt der Vorsitzende der CSU-nahen Stiftung, Markus Ferber.

Und nicht nur das: Die Gruppe kann auch auf ein russisches Netzwerk der organisierten Kriminalität zurückgreifen, das sich über Jahrzehnte auf dem afrikanischen Kontinent ausgebreitet hat. Zugleich agieren Firmen, die mit der Wagner-Gruppe in Zusammenhang stehen, aber auch ganz legal in vielen Ländern Afrikas. Das ursprüngliche Ziel von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und Russlands Präsident Putin fasst die Hanns-Seidl-Stiftung so zusammen: "Den Einflussbereich Russlands auszuweiten, die Interessen Russlands durchzusetzen und westliche Werte und Interessen zurückzudrängen. Jegliche Instabilität kommt dabei Russland entgegen."

Krieg im Sudan: Wie reagiert der Westen?

Der Westen beobachtet mit grosser Sorge Russlands Einfluss und die Machenschaften der Wagner-Gruppe in Afrika und speziell in Sudan. Dabei hält sich der russische Einfluss in den meisten afrikanischen Wirtschaftssektoren (ausser Waffen und Logistikgüter) im Vergleich zur EU, zu China und zu den USA in Grenzen. "Russland dominiert nur bei den Waffenexporten und liegt hier mit 44 Prozent aller Importe nach Afrika deutlich vorn", teilt die Hanns-Seidl-Stiftung mit.

Folglich hat auch politisches Gewicht, wer wirtschaftlich dominant ist. Hier dürfte Russland auf jeden Fall mehr Einfluss haben als etwa die wirtschaftlich für den Sudan kaum relevante "Friedensgruppe" aus Kenia, Südsudan, Äthiopien und Dschibuti, die, wie der Tschad, im Gegenzug Flüchtlinge aus Sudan aufnehmen. Genauso wenig wie die USA und Saudi-Arabien, deren Wort wegen wirtschaftlicher Abhängigkeiten mehr Gewicht hat, hat die Gruppe es bisher geschafft, einen Frieden zu vermitteln.

Von EU und Deutschland ist bis dato auch keine Initiative gekommen; man hat vielmehr das Gefühl, die EU bevorzuge es, sich aus dem Krieg bewusst herauszuhalten. Dazu passt auch der Umstand, dass sich Pässe sudanesischer Staatsbürger zur Vergabe von Visa noch immer in europäischen Botschaften in Khartum befinden. Die Sudanesen könnten ihre Pässe derzeit wegen der unsicheren Lage für Botschaftsmitarbeiter nicht zurückerhalten, meinte das Auswärtige Amt auf die schriftliche Anfrage der Bundestagsabgeordneten Clara Bünger (Die Linke) von Ende Mai. Es handle sich um etwa 600 einbehaltene Pässe. Die Menschen sind somit gezwungen, im Land zu bleiben oder zu flüchten, was ohne Pass jedoch viele Hürden und Risiken birgt.

Zur Person: Gerrit Kurtz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe "Mittlerer Osten und Afrika" bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik mit Sitz in Berlin.

Verwendete Quellen:

  • taz.de: "RSF-Miliz rückt in Khartum vor"
  • Hanns-Seidel-Stiftung: "Neue Studie: Russlands militärisches, paramilitärisches und kriminelles Engagement in Afrika"
  • Hanns-Seidel-Stiftung: "Die Gruppe Wagner: Russlands Söldner in Afrika"
  • youtube.com: France 24, "Kenya's President William Ruto: 'There are already signs of genocide in Sudan"
  • Schriftliche Anfrage an Priv.-Doz. Dr. Hannelore Kusserow. Sie ist Naturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf den Ländern der Sahel-Zone und den Sudan an der FU Berlin. Sie forscht seit vielen Jahren zu Desertifikation, Ressourcenschutz, Krisenfrüherkennung und Sicherheitspolitik in der Sahel-Zone und im Sudan
  • Schriftliche Anfrage von Clara Bünger (MdB "Die Linke") aus dem Mai 2023.
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