Der Angriff war heimtückisch und grausam: Die beiden obdachlosen Männer schlafen auf ihrem Lager an einem belebten Bahnhof im Osten Berlins, als der Täter sich am späten Sonntagabend nähert. Er giesst eine Flüssigkeit über seine Opfer, greift zum Feuerzeug oder zu Streichhölzern und zündet die Männer an.
Zeugen aus einem benachbarten Imbiss eilen zu Hilfe und bekämpfen die Flammen mit einem Feuerlöscher. Vermutlich retten sie den Obdachlosen knapp das Leben. Trotzdem werden die beiden Männer im Alter von 47 und 62 Jahren nach Angaben der Polizei lebensgefährlich verletzt.
Ein Opfer liegt im Schutzkoma
Alarmierte Sanitäter leisten Erste Hilfe. Dann werden die Opfer ins Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) gebracht. Dort werden sie seit der Nacht behandelt, wie ein Sprecher sagte. Die Klinik ist auf die Behandlung von Brandwunden spezialisiert.
Am Montag lag einer der beiden Männer im sogenannten Schutzkoma, einem künstlichen Tiefschlaf, das den Körper schont. Bei Brandwunden könne die Gesundung Wochen und in schweren Fällen auch Monate dauern, sagte der UKB-Sprecher. Das hänge von der Art der Verletzungen, dem Grad der Verbrennung und den betroffenen Körperteilen ab.
Der Leiter der Bahnhofsmission Berlin-Zoologischer Garten, Dieter Puhl, reagierte am Montag unmittelbar. "Wir empören uns über die Übergriffe gegenüber obdachlosen Menschen, die uns bekannt werden", schrieb Puhl, der seit Jahren Obdachlose in Berlin betreut, bei Facebook und betonte: "Die Dunkelziffer ist doch leider deutlich höher. Nötigungen, Beleidigungen, Körperverletzungen, Gewalt, Vergewaltigungen - vieles wird doch gar nicht zur Anzeige gebracht."
Mordkommission ermittelt
Die Polizei geht nach den ersten Ermittlungen von einem Täter aus. Dieser entkommt nach dem Angriff, der sich gegen 23.00 Uhr am Bahnhof Schöneweide ereignete. Noch in der Nacht untersuchen Experten von der Kriminalpolizei in weissen Overalls den Tatort. Sie suchen in dem zum Teil verbrannten Lager der Obdachlosen zwischen Einkaufswagen, Decken, Kissen und Kleidungsstücken nach Spuren.
Eine Mordkommission übernimmt die Ermittlungen und befragt Zeugen. Die Polizei prüft auch, ob der Bahnhofsplatz mit Kameras überwacht wird. Falls sich der Täter im Gebäude aufhielt, könnte er von den dortigen Kameras gefilmt worden sein.
Hinweise zu dem Täter oder einem Motiv waren zunächst nicht bekannt, auch weitere Fragen waren offen. Ob es sich bei der brennbaren Flüssigkeit um Benzin, Brennspiritus oder um hochprozentigen Schnaps handelte, war zunächst unklar, ebenso wie die verwendete Menge.
War die Tat geplant?
Dass der Täter überhaupt Flüssigkeit dabei hatte und einsetzte, könnte auf eine geplante Tat hinweisen. Stammt der Täter aus einem rechtsextremen Umfeld, gehört er zu einer aggressiven, aber unpolitischen Szene junger Männer oder selbst zum Obdachlosenmilieu? Diese Fragen versucht jetzt die Polizei zu beantworten.
Beide Opfer haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Mehr Informationen zu ihrer Identität gab es zunächst nicht. Die beiden lagerten an einem Fahrstuhlschacht auf dem Bahnhofsvorplatz, der zwischen dem Bahnhofsgebäude, einem grossen Einkaufszentrum, einer Hauptverkehrsstrasse und Imbissen liegt. Der Tatort war von allen Seiten sehr gut zu sehen.
In Berlin gibt es nach Schätzungen zwischen 4000 und bis zu 10 000 Menschen, die auf der Strasse oder in Parks leben. Angriffe auf sie geschehen immer wieder, auch weil die Obdachlosen oft wehrlos und betrunken erscheinen. Täter sind oft aggressive junge Männer.
Fall erinnert an Tat von 2016
Unmittelbar erinnert der aktuelle Fall an Heiligabend 2016, als eine Gruppe Jugendlicher in einem Berliner U-Bahnhof versuchte, einen schlafenden Obdachlosen mit einem Feuerzeug anzuzünden. Die Tat wurde eher spontan verübt wegen Langeweile der jungen Flüchtlinge am Weihnachtsabend und einer gefährlichen Gruppendynamik.
Einen Mordversuch sah das Gericht nicht. Der Haupttäter wurde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Allerdings gibt es Unterschiede: vor allem wegen der Flüssigkeit, die die Verletzungen verursachte und auf einen gezielten Anschlag hindeuten könnte. © dpa
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