"Handeln statt Hoffen“: Der Titel von Carola Racketes Buch sagt viel über die Überzeugungen der jungen Aktivistin. Sie will die Klimakrise stoppen – und nicht auf ihren umstrittenen Einsatz als Flüchtlingshelferin reduziert werden.
Als Kapitänin des privaten Seenotretters "Sea Watch 3“ hat die Deutsche Carola Rackete in diesem Sommer in ganz Europa polarisiert. Dass ihr Leben seitdem "auf 21 Tage reduziert wird“, missfällt der 31-Jährigen. "In den vergangenen Monaten ist eine Symbolfigur erschaffen worden, die mit mir persönlich wenig zu tun hat“, sagt sie in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Rackete versteht sich vor allem als Umweltaktivisten. Dass Menschen ihre Heimat verlassen, hängt für sie unmittelbar mit der Klimakrise zusammen. Darüber, was sie antreibt, schreibt sie in ihrem Buch "Handeln statt Hoffen. Aufruf an die letzte Generation“, das am 4. November im Droemer-Knaur-Verlag erscheint.
Ärger mit Matteo Salvini
Carola Rackete wird Ende Juni über Nacht bekannt. Die Kapitänin der "Sea Watch 3“ steuert mit 40 Geflüchteten an Bord den Hafen von Lampedusa an – ohne Erlaubnis der italienischen Behörden. Beim Anlegemanöver streift ihr Schiff ein Schnellboot der Küstenwache. Matteo Salvini, damals italienischer Innenminister, bezeichnet die deutsche Kapitänin als kriminell. Er lässt sie festnehmen, kurzzeitig steht sie unter Hausarrest. Rackete räumt ein, zwar italienisches Recht gebrochen, aber ein anderes befolgt zu haben: Nach internationalem maritimen Recht müssten gerettete Menschen in einen sicheren Hafen gebracht werden. Gegen Rackete wird weiter wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung sowie Widerstands gegen ein Kriegsschiff ermittelt. Doch auch sie setzt sich juristisch zur Wehr und verklagt Salvini: Rackete wirft ihm schwerwiegendes diffamierendes Verhalten und Anstiftung zu einem Verbrechen vor.
Reaktionen: Bewunderung und Hass
Carola Rackete bekommt viel Unterstützung: von Hilfsorganisationen, von Politikern, von Prominenten, aus der Bevölkerung. Die Moderatoren Jan Böhmermann und
Genau wie der jungen schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg schlägt Carola Rackete aber auch viel Kritik bis hin zu offenem Hass entgegen: Schon bei der Ankunft im italienischen Hafen wird sie beschimpft, unter anderem als Menschenhändlerin. Moderator Jörg Thadeusz wirft der Kapitänin in einem Beitrag in der Berliner Morgenpost etwa moralische Überheblichkeit vor, ein Kommentator der Schweizer NZZ einen "unerhörten Rechtsverstoss“ und "geradezu die Verhöhnung der italienischen Staatsautorität“. Vor allem Flüchtlingsgegner finden ihr Handeln verantwortungslos – und in sozialen Netzwerken wird sie besonders aus dem rechten Spektrum hart angegangen. Dort kursieren Falschmeldungen, Drohungen, sogar Todeswünsche. Rackete selbst ist bei Portalen wie Facebook oder Instagram gar nicht vertreten.
Nautik-Studium nach dem Abi
Carola Rackete kommt im Mai 1988 in der Nähe von Kiel zur Welt. Gemeinsam mit einer älteren Schwester wächst sie im niedersächsischen Hambühren auf, einer Gemeinde mit rund 10.000 Einwohnern. Der Vater Ekkehart Rackete war Oberstleutnant bei der Bundeswehr, arbeitete später in der Wehrtechnik, auch in der Rüstungsindustrie. Nach dem Abitur in Celle entscheidet sich die junge Frau für ein Nautik-Studium an der Seefahrtschule im niedersächsischen Elsfleth. Dort macht sie den Bachelor und heuert anschliessend als nautische Offizierin auf dem Forschungsschiff "Polarstern“ an, das im Auftrag des Alfred-Wegener-Instituts unterwegs ist. Unter anderem fährt sie auch für die Naturschutzorganisation Greenpeace auf See. 2015 beginnt sie ein weiteres Studium im englischen Ormskirk: Naturschutzmanagement.
"Welt steht kurz vor dem Kollaps“
Sie selbst versteht sich viel mehr als Umweltaktivistin denn als Flüchtlingshelferin. Zuletzt tritt sie häufiger als Teil der Bewegung Extinction Rebellion (XR) auf, die mit zivilem Ungehorsam auf die Klimakrise aufmerksam macht und ein radikales Umdenken fordert. Anfang Oktober spricht sie dort etwa bei Protest-Blockaden an der Berliner Siegessäule. Im "politischen Fragebogen“ der Zeit spricht sie über ihr Engagement: Dort erklärt die Kapitänin, dass 9/11 sie geprägt hat. Vor den Anschlägen unter anderem auf das New Yorker World Trade Center habe Politik in ihrem Leben nicht stattgefunden. Sie betont mehrfach, dass die Welt kurz vor dem Kollaps stehe. Die Gesellschaft müsse weg vom Wirtschaftswachstum – und das klare Problem mit Rechtsextremisten auch als solches benennen.
Umfeld beschreibt sie als besonnen
"Carola vertritt ihre Angelegenheiten gerade und ohne Schnörkel“, sagt Ekkehart Rackete im Juni im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur über seine Tochter. Sie mache vieles um der Sache willen. "Und das sehr gründlich.“ Er charakterisiert Rackete als analytisch und abwägend. Auch ehemalige Kollegen beschreiben sie als ernsten, zurückhaltenden, empathischen Menschen. Der ehemalige Kapitän der "Polarstern“, Uwe Pahl, der sie auf ihren ersten Fahrten begleitet hat, sagt der dpa: "Sie hat ruhig, konzentriert und besonnen gearbeitet.“
Ruhig – aber gleichzeitig rastlos: Schon seit Jahren hat Carola Rackete keinen eigenen festen Wohnsitz. "Ich lebe in Frankreich, England, ein paar Monate im Jahr auf dem Mittelmeer“, sagt sie der Zeit. Gemeldet ist sie bei ihren Eltern. Ihr Vater berichtet ebenfalls von ihrer Abenteuerlust: "Sie hat auf der Chinesischen Mauer gezeltet und ist durch mehrere Länder in Südamerika getrampt.“ Die junge Frau war in Pakistan, China und Russland. Und vor dem Sea-Watch-Einsatz hat sie in Schottland in einem Nationalpark gearbeitet. Ein Zuhause, sagt Rackete der Zeit, hat sie nicht.
Quellen:
- Buchvorstellung auf der Verlagswebseite
- Deutsche Presse-Agentur: "Gerade und ohne Schnörkel" – Carola Rackete im Porträt
- Zeit: Carola Rackete: "Mein Leben wird auf 21 Tage reduziert“
- Zeit: Der politische Fragebogen – 30 Fragen an Carola Rackete
- Stern extra: Zeit für Helden – Carola Rackete
- Panorama: Exklusiv: Was geschah an Bord der "Sea Watch 3“?
- Tagesschau Faktenfinder: Falschmeldungen und Drohungen im Netz
- MDR: Wer ist Carola Rackete?
- Tweet von
Jan Böhmermann zur Spenden-Kampagne - NZZ-Kommentar: Kapitänin Rackete steht nicht über dem italienischen Gesetz
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