- Trotz der anhaltenden Corona-Pandemie ist es dieses Jahr an Weihnachten erlaubt einige Familienmitglieder oder Freunde zu treffen.
- Doch schon, wenn es um die Regeln geht, die beim Fest zum gegenseitigen Corona-Schutz gelten sollen, können die Meinungen stark auseinandergehen.
- Wir erklären, wie man am besten mit möglichen familiären Uneinigkeiten in der Familie umgeht.
Weihnachten ist seit jeher eine typische Zeit, um sich zu streiten. Oft sind die Erwartungen an das Fest gross. Alles soll harmonisch sein, ein Fest der Liebe. Was dann aber recht häufig passiert: Nach einigen Tagen (oder schon Stunden) des Beisammenseins brechen alte Konflikte auf, es wird sich gezofft, jedes Jahr aufs Neue.
Für viele wird Weihnachten auch in diesem Corona-Winter ein Familienfest sein, nur in geringerem Umfang als gewohnt. Empfohlen wird, ganz zu Hause zu bleiben, aber kleine Zusammenkünfte sind erlaubt.
Einige Familien werden sich schon im Vorhinein darüber unterhalten, welche Regeln für das Weihnachtsfest aufgestellt werden: Sollten wir in bestimmten Situationen Maske tragen? Umarmen wir einander? Machen wir vorher einen Test? Wie oft lüften wir?
Corona wird Thema sein
"Das Thema Corona-Pandemie und Corona-Massnahmen wird sich an Weihnachten kaum vermeiden lassen", glaubt auch die Sozial- und Rechtspsychologin Pia Lamberty. Allein deshalb, weil sich diejenigen, die sich nun an Weihnachten treffen, davor möglicherweise eine ganze Weile nicht gesehen haben - eben wegen Corona.
Lamberty rät, sich erstens zu überlegen, wer in der Familie welche Einstellung zu Corona haben könnte, und sich zweitens schon vor dem Weihnachtstreffen mit den Beteiligten über etwaige Massnahmen und Regeln zu unterhalten.
Zum Beispiel also: "Mundschutz – ja/nein? Umarmen – ja/nein? " Man sollte also mal in die Runde fragen: "Können wir Regeln finden, mit denen sich alle wohlfühlen?", sagte Lamberty im Gespräch mit unserer Redaktion.
Corona-Leugner oder -Relativierer: Streit droht
Wenn sich in diesen Punkten alle einig sind, kann es trotz der Umstände ein schönes Fest werden. Kompliziert wird es aber, wenn es nicht so ist, wenn beim Familientreffen Corona-Leugner, Corona-Relativierer oder Anhänger einer der Coronavirus-Verschwörungserzählungen anwesend sind.
Dann wird es nicht nur beim Aushandeln der Regeln schwierig, sondern es wird sich kaum vermeiden lassen, dass über Masken und Lockdowns diskutiert und wahrscheinlich auch gestritten wird.
Auch wenn die Übereinstimmung zumindest gross genug ist, dass man gemeinsame Regeln gefunden hat, birgt es grosses Konfliktpotenzial, wenn Befürworter der Corona-Massnahmen mit Skeptikern zusammentreffen.
Weniger entgegnen, mehr zurückfragen
Bekanntermassen gibt es nicht wenige Menschen, die diese Massnahmen für übertrieben halten und das Coronavirus für keine grössere Gefahr als die Grippe. Der Bildungsforscher Klaus-Peter Hufer nennt Menschen mit dieser Einstellung "Corona-Relativierer". Sie sehen die Corona-Massnahmen als ein Mittel des Staates, seine Bürger zu "erziehen".
"In so einem Gespräch würde ich immer als erstes fragen: Mit welcher Absicht möchte der Staat deiner Meinung nach die Bürger erziehen und wer ist 'der Staat'?", sagte Hufer zu unserer Redaktion.
Überhaupt seien Gegenfragen ein gutes Mittel. Fragen wie: Woher weisst du das? Oder: Wie würdest du das denn machen? Wie sähe deine Lösung aus?
Vielleicht fallen dem Gegenüber so Widersprüche in seiner oder ihrer Argumentation auf. Zumindest aber regen solche Gegenfragen zum Nachdenken an, und das Gespräch bleibt sachlich und auf Augenhöhe.
Denn was - auch in einem x-beliebigen anderen Gespräch - nicht passieren sollte: Dass sich ein Gesprächspartner über den anderen erhebt und vielleicht sogar spöttisch wird. Das drängt das Gegenüber in die Defensive und eine solche Drucksituation kann aggressiv machen.
Faktendiskussion bringt wenig
Aggression gilt es aber zu vermeiden, wenn das Weihnachtsfest nicht in einem Riesenstreit untergehen soll. Droht die Unterhaltung zu eskalieren, sollte man sie abbrechen. "Man könnte dann zum Beispiel sagen: Du, wir haben unterschiedliche Haltungen zu dem Thema, aber lass uns für den Moment mal eine Pause machen und über etwas anderes reden", rät Lamberty.
Überhaupt sollte man sich bei dem Thema Zeit lassen und nicht versuchen, einen Corona-Skeptiker um jeden Preis zu missionieren. "Aus der Kommunikationsforschung weiss man, dass Gespräche auch noch Wochen nachwirken können - etwa wenn der Inhalt oder die Argumente mit einem neuen Erlebnis verknüpft werden", sagt Klaus-Peter Hufer.
Die Versuchung ist sicher gross, jedes einzelne Argument eines Skeptikers mit Fakten zu kontern. Die Frage ist nur, ob man Gehör findet. "Ich würde eine Faktendiskussion eher vermeiden und würde beim Persönlichen bleiben", sagt Lamberty. Den Menschen, zu dem man ja in der Regel eine (enge) Beziehung hat, etwa zu fragen: Wie ist es dir in letzter Zeit ergangen? Leidest du unter der Situation?
Grundgefühl: Frustration
Denn ein Grund, dass Menschen eine aggressive "Die da oben"-Haltung entwickeln, ist Frustration, wie auch Klaus-Peter Hufer sagt. Gegen dieses Gefühl helfen Fakten nach der Erfahrung der Experten eher wenig. Mehr bringt es, zum Beispiel über die Strategien zu sprechen, die Verschwörungstheoretiker anwenden, um ihre Thesen zu verbreiten: Nämlich über Emotionen an die Menschen heranzukommen, etwa indem sie Ängste schüren. Was ausserdem in solchen Gesprächen hilft, sind Interesse und Empathie.
Ein Ansatz, den auch die App "Talk To Me" der Kommunikationsdesignerin Victoria Schrank hat. Schrank hat ein Online-Spiel entwickelt, das anhand verschiedener Dialog-Optionen durchspielt (und erklärt), warum eine gewaltfreie, eher fragende Kommunikation in solchen Gesprächen der beste Weg ist - und Argumente beim Gegenüber eher nicht verfangen. Die App steht kurz vor der Veröffentlichung, es gibt eine Demo-Version.
Sonderfall Verschwörungstheoretiker
Gewaltfreie Kommunikation, Fragen, Interesse und Empathie: All das gilt bis zu einem gewissen Grad sogar für die Verschwörungstheoretiker unter den Corona-Skeptikern. "Allerdings hat man es hier mit Leuten zu tun, die oft fast schon wahnhaft einer Idee anhängen und zum Teil rassistische und antisemitische Thesen vertreten", so Hufer.
Hier sollte, das finden Hufer und Lamberty gleichermassen, das Verständnis seine Grenzen haben.
"Bei Rassismus, Antisemitismus, Vergleichen mit der Zeit des Nationalsozialismus sollte man klar sagen: Das will ich hier nicht haben", sagt Hufer.
Schweigend dabeizusitzen, wenn das Infektionsschutzgesetz als "Ermächtigungsgesetz" bezeichnet wird oder die Medien als "gleichgeschaltet", sei keine Lösung. "Denn wer schweigt, stimmt zu."
Was mit überzeugten Verschwörungstheoretikern auch nicht geht: über gemeinsame Schutzmassnahmen beim Fest zu sprechen. Hier müsse man gründlich abwägen, sagt Lamberty. "Wenn jemand zum Weihnachtsfest kommt, der tief in einer Verschwörungsideologie drin ist und sich jeglichen Massnahmen verweigert, muss man sich fragen: Will ich trotzdem hinfahren oder ist mir das gesundheitliche Risiko zu gross?"
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Pia Lamberty, Sozial- und Rechtspsychologin.
- Telefoninterview mit Klaus-Peter Hufer, ausserplanmässiger Professor an der Universität Duisburg Essen.
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