Seit dem Ausbruch von Corona hat die Weltwirtschaft mit den Folgen zu kämpfen - und die Prognosen sehen immer düsterer aus. Wie wird sich die Krise auf die deutsche Wirtschaft auswirken? Und weiter: Geraten internationale Arbeitsteilung und Globalisierung an ihre Grenzen? Oliver Holtemöller, Stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, hält im Gespräch mit unserer Redaktion solche Schlüsse für verfrüht.

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Herr Holtemöller, die rasante weltweite Verbreitung des Coronavirus sorgt für grosse Beunruhigung - bei der Bevölkerung, aber auch in den Märkten. Wie sehr kann COVID-19 die deutsche Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen?

Oliver Holtemöller: Das ist nur sehr schwer quantitativ zu beurteilen. Für unsere Prognosen nutzen wir normalerweise Daten aus der Vergangenheit – aber wenn es um die ökonomischen Folgen einer Pandemie geht, sind wir präzedenzlos. Es gibt einfach kein Modell dafür – wenn wir nicht gerade Daten über die spanische Grippe im Jahr 1918 verwenden wollten.

2002 hat sich die weltweite SARS-Pandemie auch in Deutschland ausgewirkt…

Ja, aber sie kann nicht als Modell dienen, weil die Ausbreitung von COVID-19 völlig anders verläuft – viel schneller. Seriöse Konjunkturprognosen lassen sich nicht so schnell erstellen. Mit der Arbeit an unserer aktuellen Prognose, die wir am 12. März veröffentlicht haben, haben wir Mitte Februar begonnen, als die umfassenden Konsequenzen der Corona-Krise noch nicht absehbar waren.

Welche vorläufige Prognose können Sie trotzdem abgeben?

Das momentane Szenario ist ein wirtschaftlicher Einbruch in China, Südkorea und Italien wegen des Coronavirus, der sich über Verflechtungen auf die Weltwirtschaft auswirkt. Wir rechnen daher für das erste Quartal 2020 mit einem stagnierenden Bruttoinlandsprodukt in Deutschland. Für das zweite Quartal erwarten wir einen Rückgang – eine erhebliche Dämpfung der Konjunktur. Danach wird sich die Situation wieder verbessern, wenn es gelingt, die Ausbreitung des Virus zeitnah einzudämmen.

Sie rechnen mit einer schnellen Verbesserung schon vom dritten Quartal an?

In China und Südkorea stabilisieren sich die Infektionsraten ja schon, deshalb gehen wir von einer weltweiten Erholung aus, die für Deutschland in einem positiven Ergebnis resultieren wird. Insgesamt wird das Jahr 2020 wegen der Viruskrise trotzdem deutlich schlechter verlaufen als man es nach den ursprünglichen Prognosen erwarten durfte.

Die deutsche Wirtschaft ist in hohem Mass von Lieferungen aus dem Ausland, zum Beispiel aus China, abhängig. Wenn die Lieferkette ins Stocken gerät, funktioniert vieles nicht mehr. Bringt Corona die Globalisierung ins Stocken?

Als Lehre aus dieser Krise werden die Unternehmen wohl an der einen oder andere Stelle die Lieferketten robuster gestalten. Man kann auch die Just-in-Time-Konzepte – also, dass Produkte erst unmittelbar vor der Verwendung geliefert werden – überdenken. Aber die internationale Arbeitsteilung ist die wichtigste Triebfeder unseres Wohlstands seit dem zweiten Weltkrieg. Die Aufgabe dieser Arbeitsteilung würde Wohlstandseinbussen bringen. Vielleicht passiert sogar das Gegenteil: Globale Gefahren kann man ja gar nicht mit nationalen Lösungen bekämpfen, das würde nicht helfen – viel­leicht sollten wir eher noch besser zusammenarbeiten.

Es wird sich also gar nichts ändern?

So wie die Grossbanken nach den vergangenen Krisen schon gute Krisenpläne entwickelt haben, werden sich jetzt sicher mehr Unternehmen auf zukünftige Krisen vorbereiten. Vielleicht hat Corona am Ende sogar einen positiven Produktivitätseffekt, weil man Prozesse hinterfragt: Braucht man wirklich jedes Meeting, muss man wirklich so viel reisen? Aber das ist reine Spekulation, niemand weiss, ob so etwas wirklich eintritt.

Für umfangreiche Konzepte ist es im Moment wohl erst einmal zu spät. Was lässt sich tun, um die Krise abzumildern?

Man kann den derzeitigen wirtschaftlichen Einbruch nicht mehr verhindern. Es ist ja sinnvoll, Kontakte zwischen den Menschen zu reduzieren, um die Infektionsrate zu bremsen – das muss man ökonomisch hinnehmen. Wichtig ist, dass die anschliessende Erholung unterstützt wird. Die Chancen dafür stehen gut. Das Szenario ist überhaupt nicht mit der Weltwirtschaftskrise von 2005 zu vergleichen. Es wird keine lange anhaltende tiefere Rezession geben – vorausgesetzt, wir bekommen die Krankheit in den Griff.

Ist das nicht Zweckoptimismus? Argumentieren Sie möglicherweise so optimistisch, weil Sie die Panik nicht anheizen wollen?

Wir sind ein unabhängiges Institut. Unsere Reputation beruht darauf, dass wir im Mittel zutreffende Prognosen stellen und man uns vertraut. Unsere Prognosen werden gebraucht, beispielsweise weil der Staat für seine Ausgabenpolitik auf Steuerschätzungen angewiesen ist. Er braucht eine solide, unverzerrte Einschätzung der Entwicklung. Geschönte Ergebnisse würden niemandem nützen.

Trotzdem sollte niemand glauben, dass wir Ökonomen die Zukunft kennen. Wir Prognostiker laufen tatsächlich manchmal der Entwicklung hinterher. Wir wissen nicht, wie das Virus sich ausbreiten wird, welche Massnahmen notwendig werden. Wenn es zu massiven Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens kommt, werden wir eine Rezession bekommen. Und dann wäre auch die anschliessende schnelle Erholung gefährdet.

Was kann die Politik momentan tun?

Die Bundesregierung hat schnell Massnahmen beschlossen, etwa in Bezug auf Kurzarbeit. Hinzu kommt, dass die öffentlichen Finanzen in Deutschland solide sind. Das ist nützlich für eine vernünftige Reaktion auf die Krise. Deutschland ist mehr oder weniger finanziell unbegrenzt handlungsfähig – das können nicht alle Staaten von sich sagen, das ist für uns anders als zum Beispiel für Italien.

Jetzt geht es auch darum, sich auf das Nachlassen der Krise vorzubereiten und beispielsweise zu verhindern, dass Restaurants pleitegehen, bevor die Gäste wiederkommen. Die Ausweitung der Kurzarbeitsregelung ist schon sehr hilfreich. Man muss aber auch an andere Kosten denken: an Kredit- und Mietkosten zum Beispiel, die weiterlaufen. Wir sollten ein gutes Prozedere haben, um zielgenau zu unterstützen. Es geht nicht darum, pauschal jedem Unternehmen einen Scheck ausstellen.

Der Volkswirt Professor Dr. Oliver Holtemöller ist Stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und lehrt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
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