- Spanien ist von der Coronakrise stark betroffen.
- Die vom Tourismus abhängigen Balearen leiden unter den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie besonders.
- Auf Mallorca, Deutschlands liebster Urlaubsinsel, stieg die soziale Not zuletzt rasant.
Der Tourismus ist Mallorcas wichtigste Einnahmequelle. Mit dem Urlaubsgeschäft wird mehr als ein Drittel des Inselwohlstandes erwirtschaftet. 2019 lagen die Balearen noch auf Platz sechs der reichsten Regionen Spaniens.
Seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ist die Quelle jedoch weitgehend versiegt. Reisen wurden storniert, Flüge gestrichen und Hotels mussten schliessen. Tourismusarbeitskräfte werden seitdem nicht mehr gebraucht. Keine andere Region Spaniens wurde härter von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie getroffen als die Balearen. Nirgendwo sonst ging die Zahl der ausländischen Gäste so stark zurück.
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In 2020 kamen laut Statistikbehörde INE knapp 88 Prozent weniger ausländische Feriengäste als im Vorjahr. Statt 15 Milliarden Euro wie im Jahr 2019 gaben die Touristen auf den Balearen im abgelaufenen Jahr nur 1,8 Milliarden Euro aus.
Gleichzeitig stieg die Zahl der Arbeitslosen um 91 Prozent, gut 84.000 Menschen waren im Dezember arbeitslos gemeldet. Menschen, die sich vorher in Hotels um Gäste gekümmert oder Urlaubern anderweitig ihren Aufenthalt verschönert haben, sind jetzt in ihrer Existenz bedroht.
Mallorca und die Coronakrise: Not in allen sozialen Schichten
Mit dem Coronavirus kam die Not. Nach Berichten von NGOs und Medien werden die Schlangen vor den Tafeln und Suppenküchen der Mallorca-Hauptstadt Palma, aber auch in anderen Gebieten der Insel immer länger.
Bei den Bedürftigen stellen Obdachlose oder sozial Schwächere längst nicht mehr die Mehrheit. Betroffen sind auch viele Rentner und inzwischen Familien der Mittelklasse – sie haben vorher vom Tourismus gelebt, der jetzt fast komplett weggebrochen ist und sich so schnell auch nicht wieder erholen wird.
"Die Krise hat längst auch die Mittelschicht erfasst", bestätigt Jasmin Nordiek von der Hilfsorganisation Hope Mallorca im Gespräch mit unserer Redaktion. "Zu uns kommen alle Nationalitäten und Bildungsniveaus. Darunter Menschen, die durch Corona ihren Job verloren haben. Viele, die bei uns um Hilfe anstehen, sind zum ersten Mal in ihrem Leben in einer solchen Situation. Sie sind verunsichert und die Zukunft ist ungewiss."
Der gemeinnützige Verein Hope verteilt Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs. Gegründet wurde er im Mai 2020 durch drei langjährig auf der Insel lebende Deutsche. "Zu Beginn der Pandemie war da eine Art Schockstarre", erzählt Nordiek, "dann haben wir in die Hände gespuckt und losgelegt, denn Helfer und Spenden braucht Mallorca derzeit dringend." Die Krise sei für die Deutschen auch eine Chance, den Menschen auf der Insel etwas zurückzugeben. "Nicht nur Materielles, sondern vor allem Hoffnung."
Solidarität trotz Notlage
Hope erhält regional Zuwendungen und Sachspenden, Geld kommt aber auch aus Deutschland oder von deutschen Auswanderern. "Sie fühlen sich Mallorca sehr verbunden", sagt Nordiek.
Generell ist der Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn auf der Insel ausgeprägt. Wer kann, packt jetzt mit an. Bei Hope engagieren sich mehr als 100 ehrenamtliche Helfer in sechs Verteilstationen – darunter selbst bedürftige Kräfte aus dem Tourismussektor –, um die Versorgung von mehr als 2.000 Personen sicherzustellen.
Hilfe für die Mallorquiner kommt zwar auch von der Festlandregierung in Form von einer Kurzarbeiterregelung (ERTE) und der Grundsicherung für Menschen zwischen 23 und 65 Jahren, die keine Arbeit haben. Doch die Regelungen sind kompliziert, die Behörden langsam und es müssen viele Dokumente ausgefüllt werden, bevor man Unterstützung erhält. Das dauert, überfordert so manchen und ausreichend ist es bei Weitem nicht. Nur mit der Grundsicherung, die je nach Haushalt zwischen 460 und 1.000 Euro monatlich liegt, lassen sich die ortsüblichen Mieten kaum bezahlen, sagen viele.
Ein Viertel der Mallorquiner ist arm
Der 33 Jahre alte Hotelkoch Alejandro wohnt mit seiner Frau und zwei Kleinkindern in Cala Millor. Weil die Tourismussaison 2020 fast vollständig ausgefallen ist, konnte er keinen Job finden. Seiner Frau Inès erging es kaum besser. Gerade mal zwei Monate habe sie im vergangenen Jahr als Rezeptionistin arbeiten können.
Von der beantragten Sozialhilfe ist monatelang nichts auf dem Konto eingegangen. "Man wird nach vielen Unterlagen gefragt, und am Ende bekommt man lange nichts", sagt Inès. Die Rücklagen waren schnell aufgebraucht und die Miete im Rückstand. Damit es nicht zur Zwangsräumung kam, unterstützte sie Inès' Schwester Inmaculada, die in den Niederlanden lebt.
Vielen anderen Familien ergeht es ähnlich. Die Krise offenbart, wie abhängig die Insel vom Tourismus ist und wie dünn die Reserven vieler Familien sind. Nach einer Studie der Universität der Balearen (UIB) über die Auswirkungen des Coronavirus gelten rund 320.000 Einwohner der Inselgruppe als arm. Das ist mehr als jeder Vierte. 34.000 leben demnach in "extremer Armut" - doppelt so viele Menschen als noch vor der Pandemie.
Das Ergebnis einer kürzlich vorgestellten Studie der Complutense Universität in Madrid und der Universität Oxford zeichnet ein ähnliches Bild. Nirgendwo ist in Spanien die Armut angesichts der Corona-Pandemie derart deutlich gestiegen wie auf den Balearen und den Kanarischen Inseln.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass der Anteil armer Menschen in Spanien um zehn Punkte auf 25 bis 35 Prozent ansteigen könnte. Weil Mallorca und die Nachbarinseln besonders abhängig vom Tourismus sind, ist es hier sogar möglich, dass der Armenanteil sogar um 19 Prozent zunimmt.
Pleitewelle in Gastronomie und Einzelhandel
Sichtbar ist die neue Armut auf den ersten Blick nicht. Es lungern weder Bettler am Strand, noch werden leer stehende Hotels besetzt. Eher gespenstisch ist die Stimmung. Touristische Zentren wie El Arenal und Magaluf wirken wie Geisterstädte. Auch im geschäftigen Palma ist es merkwürdig ruhig. Immer mehr Ladenlokale sind verrammelt.
Die Situation derzeit ist existenzbedrohend für die Unternehmen und Selbstständige. Die Fixkosten in den gefragten Einkaufsstrassen der Inselhauptstadt sind hoch, einen finanziellen Ausgleich für die Verluste gibt es laut Auskunft von Inselmedien nicht.
Die Infektionszahlen sind zwar mittlerweile gesunken, doch Besucher gibt es kaum. Der Coronawelle folgt die Pleitewelle. "Vierzig Prozent werden es wohl nicht schaffen und machen nicht mehr auf", schätzt Helmut Clemens, selbst Gastronom und Vize-Vorsitzender des mallorquinischen Gastronomenverbands Restauración-PIMEM.
Vorsichtiger Optimismus
In diesem Szenario ist es für den spanischen Regierungschef Pedro Sánchez nicht einfach, Optimismus zu verbreiten. "Wir werden die Corona-Epidemie bezwingen", verspricht er, und damit bekomme man auch die Wirtschaftskrise in den Griff. Besonders der Impfbeginn gebe Hoffnung.
Auch die harten Massnahmen zeigen Wirkung: Im ganzen Land sind die Infektionszahlen gesunken, mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 Infektionen je 100.000 Einwohnern stehen die Balearen am besten da. Daher veranlasste Francina Armengol, Präsidentin der Balearen, auf Mallorca erste Lockerungen in der Gastronomie.
Restaurants und Bars dürfen wieder besucht werden, wenngleich mit einigen Einschränkungen: Das Bewirten auf Mallorca ist auf 50 Prozent der Tische im Aussenbereich begrenzt, bei einer Besetzung von vier Personen aus maximal zwei Haushalten. Um spätestens 17 Uhr müssen die Restaurants, Cafés und Bars wieder schliessen.
Hoffnung auf Belebung des Tourismus
Diese - wenn auch kleinen - Öffnungsschritte geben den Balearen wieder Hoffnung, dass auch die Hotels zum Sommer hin öffnen und Touristen beherbergt werden können.
Erste positive Stimmen sind bereits zu vernehmen. Damaris Weiss und ihr Mann sind seit vielen Jahren im Tourismus auf der Insel tätig. Beide sind fijos descontinous (FD), das heisst Saisonkräfte mit festen Verträgen. Sie kommen dank der staatlichen Unterstützung überraschend gut durch die Krise. "Wir sind darüber hinaus sehr zuversichtlich, dass im Sommer Urlauber nach Mallorca kommen. Es gibt viele Stammgäste und Liebhaber der Insel, die praktisch in den Startlöchern stehen, um Mallorca wieder besuchen zu können. Sobald es möglich ist, wird die Tourismus-Maschine langsam wieder an Fahrt aufnehmen."
Spanien macht sich für Impfpass stark
Auch der Tourismusverband und Experten sind überzeugt, dass die Nachfrage wieder rasant steigt, wenn es weniger Reisebeschränkungen gibt. Das zeigte schon der vergangene Sommer und erste Buchungszahlen aus Grossbritannien deuten an, dass viele den nächsten Balearen-Urlaub kaum erwarten können. Auch deshalb macht sich die spanische Regierung für einen Corona-Impfpass stark. Spanien will einen einheitlichen Standard und wirbt dafür bei den EU-Partnern sowie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Impfkampagnen, Reisekorridore und Impfzertifikate sollen der Schlüssel zur Wiederbelebung des Tourismus sein, damit wieder viele Menschen ungehindert auf Mallorca empfangen werden können.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Jasmin Nordiek
- Agencia Tributaria Islas Baleares (ATIB)
- dpa
- Studie: "The COVID-19 shock on the labour market: Poverty and inequality effects across Spanish regions."
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