Tag für Tag werden neue Coronafälle bekannt - doch wer erfasst eigentlich die weltweiten Erkrankungen? Wir geben die Antwort.

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Fast stündlich werden die Fallzahlen nach oben korrigiert. Forscher der John-Hopkins-Universität im US-Bundesstaat Maryland führen auf einer Live-Karte die Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO sowie von Gesundheitsämtern, Behörden und Instituten aus den USA, China und Europa zusammen. Auf der Homepage der Universität können die weltweiten Zahlen auf einer Realtime-Karte abgerufen werden.

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Das Problem: In verschiedenen Ländern werden die Zahlen teilweise unterschiedlich erfasst. Bei der WHO zählt als Fall, wenn ein positiver Labortest vorliegt, unabhängig von Krankheitsanzeichen.

China hat seine Erfassungsmethode kürzlich geändert. Die Frage ist, wie die chinesischen Zahlen in die Statistik integriert werden sollen. Denn um den Verlauf einer Epidemie zu erkennen und analysieren zu können, braucht die WHO vergleichbare Zahlen. Experten gehen ausserdem von einer hohen Dunkelziffer aus, da viele Erkrankungen mild verlaufen und nicht bemerkt werden.

Ausweitung der Meldepflicht in Deutschland

Ende Januar 2020 wurde die Meldepflicht für das Coronavirus auf Verdachtsfälle ausgedehnt. Die Meldepflicht gilt seither für Verdachts-, Krankheits- und Sterbefälle.

Mittels des PCR-Tests werden nur akute Verdachtsfälle getestet. Wer getestet wird, entscheiden Ärzte und Kliniken gemäss den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Ein begründeter Verdacht muss dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet werden.

Die Nachverfolgung sei das zentrale Tool, so Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Die deutschen Gesundheitsämter sind vorbereitet und entsprechend gut aufgestellt.

In einem Interview des ZDF "Heute-Journals" kritisiert Professor Alexander Kekulé, Virologe am Universitätsklinikum Halle an der Saale, dass Deutschland die Bedrohung durch das Virus zu lange ausgesessen hat. Bereits im Januar hatte man die Chance, Kontrollen einzurichten und damit den Import nach Europa zu reduzieren.

Den Vorsprung, den man am Anfang gegenüber anderen Ländern wie China hatte, verspiele man jetzt. Denn steigen die Infektionszahlen, könnte es problematisch werden; eine hohe Zunahme an Infizierten setze das deutsche Gesundheitssystem unter Stress. Um alle Verdachtsfälle zu testen, stünden dann unter Umständen nicht ausreichend Test-Kits zur Verfügung.

Änderung der Erfassungsmethode in der chinesischen Provinz Hubei

Ausgerechnet das Land, das als Zentrum der Corona-Epidemie gilt, hat seine Erfassungsmethode relativ unvermittelt geändert.

Zunächst wurden in China die Infektionen in die Statistik aufgenommen, bei denen ein positiver Labortest vorlag. Mittlerweile werden aber auch diejenigen Patienten in der Statistik erfasst, bei denen Symptome wie Fieber, Atemwegs-Infektionen oder eine Lungenentzündung diagnostiziert wurden.

Das führte dazu, dass Erkrankte, obgleich bereits vor längerem infiziert, im Nachhinein anhand ihrer Symptome identifiziert wurden, was zu einem Anstieg der "Neuerkrankungen" um das Zehnfache führte. Auch die Zahl der Todesopfer stieg so um mehr als 50 Prozent.

Geändert wurden die Zählweise auch dahingehend, dass Patienten, die positiv getestet wurden, aber keine klinischen Symptome zeigen, nicht mehr gezählt werden.

Infografik Ausbreitung des Coronavirus im Überblick
© 1&1 Mail und Media

Die Gesundheitsbehörde in Hubei begründete die Änderung mit besseren Kenntnissen über die Krankheit und mehr Erfahrung in der Diagnostik - was zutreffen mag, bedenkt man, dass das Virus in der Provinz Hubei seinen Anfang nahm, man zu diesem Zeitpunkt jedoch noch wenig darüber wusste und Vergleichsmöglichkeiten fehlten.

Denkbar ist auch, dass zu wenig Tests vorrätig waren oder sind, um die vielen Verdachtsfälle abzudecken. Ausserdem gibt es Hinweise, dass die Tests nicht alle Fälle rechtzeitig erkennen, und es eindeutige Erkrankungen gab, die erst nach mehreren Tests nachgewiesen werden konnten.

Auswirkungen des Gesundheitssystems der USA in Bezug auf Corona

Die USA haben offenbar relativ spät damit begonnen, Verdachtsfälle grossflächig auf Corona zu testen. Es gibt vergleichsweise wenig Infizierte, aber prozentual viele Tote.

Professor Kekulé führt dies unter anderem auf das amerikanischen Gesundheitssystem zurück: Wer genug Geld hat, um sich eine private Krankenversicherung zu leisten, ist hervorragend versorgt. Zahlreicher Bürgerinnen und Bürger leben jedoch mit schlechter medizinischer Versorgung.

Menschen ohne Krankenversicherung haben Hemmungen, zum Arzt zu gehen, weil der Arztbesuch Geld kostet. Das hat zur Folge, dass viele Fälle unerkannt bleiben.

Vorbildliches Krisenmanagement in Südkorea und Taiwan

Südkorea leidet nach China statistisch am meisten unter dem Coronavirus. Aber es verfüge über sehr gut aufgestellte Gesundheitsbehörden, betont Professor Kekulé.

Das ganze Land ist elektronisch perfekt vernetzt, und das politische System greife rigide durch. Südkorea findet Infizierte am schnellsten, nicht zuletzt dank Massnahmen wie sogenannter "Drive-in-Schnelltests".

Obwohl Taiwan nur 160 Kilometer von China entfernt ist und ein hoher Reiseverkehr zwischen beiden Ländern besteht, ist die Zahl der Infizierten laut taiwanischem Gesundheitsministerium niedrig. Durch die Zusammenlegung der nationalen Gesundheitsdatenbank mit den Reisedatenbanken Taiwans entstand ein Echtzeit-Frühwarnsystem, das auf der Basis von Reisebewegungen und klinischen Symptomen potenzielle Corona-Infizierte herausfiltern kann.

Zudem gibt es Online-Portale, über die Patienten Reisen und gesundheitlichen Beschwerden übermitteln können. Diese Portale werden dann für die Risikoeinordnung genutzt, und es wird unter Umständen eine Quarantäne verhängt. In Taiwan werden ausserdem fast alle Grenzübertritte kontrolliert, so dass entsprechende Massnahmen an Schiffs- oder Flughäfen gezielt erfolgen können.

Italien hat die Gefahr zu spät erkannt

Während Südkorea geradezu beispielhaft für die Virusbekämpfung ist, hinkt Italien massiv hinterher. Dass es in Italien so viele Tote gibt, liege laut Professor Kekulé in der hohen Dunkelziffer von nicht erkannten Fällen.

Es dürfte in Italien viermal so viele unerkannte Fälle wie erkannte Fälle geben. Und genau das dürfte der Grund sein, warum scheinbar der Anteil der Verstorbenen so hoch ist.

Verwendete Quellen:

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