Seit über einem Jahr sitzt WikiLeaks-Gründer Julian Assange im Hochsicherheitsgefängnis in London - verurteilt wurde er hingegen nur zu einer Haftstrafe von einem knappen Jahr. Bei Auslieferung in die USA drohen ihm dort bis zu 175 Jahre Haft. Laut Aussage seines Psychiaters ist Assange akut suizidgefährdet.
Julian Assange (49) befindet sich seit über einem Jahr im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Die US-Justiz hat einen Antrag auf Auslieferung gestellt. Sie wirft
Enthüllungen von WikiLeaks deckten unter anderem Kriegsverbrechen durch amerikanische Soldaten auf. Assange drohen 175 Jahre Haft, sollte er ausgeliefert und in den USA verurteilt werden. Im Moment läuft vor einem Londoner Gericht die Anhörung zum Auslieferungsantrag. Eine Rekonstruktion:
Die Anklagepunkte
In den USA ist Julian Assange der Spionage in 17 Fällen und des Computermissbrauchs angeklagt. Unter anderem habe er der Whistleblowerin Chelsea Manning geholfen, Staatsgeheimnisse zu veröffentlichen.
Ausserdem lag gegen Assange 2010 in Schweden ein europäischer Haftbefehl wegen Vergewaltigungs- und Nötigungsvorwürfen vor; die Ermittlungen wurden jedoch eingestellt. Es gibt Mutmassungen, dass die Vorwürfe von staatlichen Stellen konstruiert wurden, um einen Auslieferungsvorwand zu haben.
Julian Assange - Gründer und Sprecher von WikiLeaks
Julian Assange wurde 1971 in Townsville, Queensland geboren. Der 49-jährige Australier, von Beruf Journalist, ist Gründer und Sprecher der Enthüllungsplattform WikiLeaks.
Ziel der Plattform ist es, geheim gehaltene Dokumente für jedermann verfügbar zu machen. Unter anderem veröffentlichte WikiLeaks Geheimdokumente von US-Streitkräften und US-Behörden und enthüllte mutmassliche Kriegsverbrechen und Korruption.
Angriff auf die Pressefreiheit
Die Veröffentlichung geheimer Dokumente der US-Regierung, die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beinhalteten, sowie die Militärberichte in der Sammlung "Afghan War Diary" waren Resultat einer engen Kooperation von WikiLeaks mit internationalen Medien wie "New York Times", "The Guardian", "Le Monde", "El Pais" und "Der Spiegel".
Assange und seine Anwälte berufen sich auf die Pressefreiheit. Die Anklage sei "eine Kriegserklärung gegen den investigativen Journalismus", so
Geschichte einer Odyssee
2010 hatte Schweden wegen Vergewaltigungs- und Nötigungsvorwürfen einen internationalen Haftbefehl ausgestellt. Grossbritannien plante die mögliche Überstellung, Assange wurde jedoch auf Kaution freigelassen.
Um einer möglichen Auslieferung in die USA zuvorzukommen, floh Assange 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London. Ecuador gewährte ihm politisches Asyl, er erhielt die ecuadorianische Staatsbürgerschaft. Als politischer Flüchtling lebte Assange sieben Jahre in der Botschaft in Isolation und auf engstem Raum. Man vermutet, dass er dort mittels eines privaten spanischen Sicherheitsdienstes durch die USA ausgespäht wurde.
Im April 2019 entzog ihm der neue ecuadorianische Präsident Moreno sowohl Asylrecht als auch Staatsbürgerschaft. Assange wurde in der Botschaft von der britischen Polizei festgenommen und zu 50 Wochen Haft verurteilt, da er gegen Kautionsauflagen verstossen und sich durch seine Flucht in die Botschaft der Justiz entzogen hatte.
Die USA haben Grossbritannien um Auslieferung ersucht. Aufgrund des Auslieferungsantrags der USA bleibt Assange auch nach Verbüssung der 50-wöchigen Haftstrafe weiterhin in Haft.
Die aktuelle Situation Assanges
Nach siebenjährigem Asyl befindet sich Assange nunmehr seit anderthalb Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, zumeist in Isolationshaft. Der Schweizer Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter und Inhaber eines Lehrstuhls für humanitäres Völkerrecht an der britischen Universität in Glasgow, konnte Assange 2019 zusammen mit zwei Ärzten besuchen.
Melzer verwies auf den kritischen Gesundheitszustand von Assange. Seiner Ansicht nach weise er Anzeichen von Folter auf. Assange sei weder körperlich in der Lage, seine Verteidigung vorzubereiten, noch hätten seine Anwälte die Möglichkeit, dies mit ihm gemeinsam zu tun. Melzer forderte Haftentlassung, da Assange in ein Krankenhaus gehöre.
Die Suizidabsichten Assanges
Der behandelnde Psychiater Michael Kopelman, emeritierter Professor für Neuropsychiatrie am King's College in London, hat Assange rund 20 Mal in der Untersuchungshaft besucht. Vor dem Londoner Old-Bailey-Gericht berichtete er vergangene Woche, dass er Assange für akut selbstmordgefährdet halte. Assange verfolgten wohl schon seit längerem Halluzinationen, er höre Stimmen, die sagten: "Du bist Staub, du bist tot, wir kommen, um dich zu holen."
Assange leide schon seit längerem unter Depressionen. Diese seien laut Kopelman einerseits familiär bedingt, da es im familiären Umkreis Depressionen und Selbsttötungen gegeben habe, andererseits auf die jahrelange Isolation zurückzuführen.
Weiterhin wurde bei Assange eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert, die mit einer erhöhten Tendenz für Suizidgedanken einhergeht. Eine mögliche Auslieferung in die USA könnte laut Kopelman einen Suizidversuch auslösen.
Verwendete Quellen:
- Welt: "Hohes Risiko", dass Assange sich das Leben nehmen will, 22.09.2020
- Zeit Online: Psychiater hält Julian Assange für suizidgfährdet, 22.09.2020
- Süddeutsche: Psychiater hält Wikileaks-Gründer für suizidgefährdet, 22.09.2020
- Tagesspiegel: Der Aufklärer Assange als Unperson, von Günter Wallraff und Sigmar Gabriel, 11.09.2020
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