Der Prozess gegen Sebastian Edathy (SPD) wegen des angeblichen Besitzes von kinderpornografischem Material hat noch nicht richtig begonnen, da wurde er auch schon vertagt. Am Montag wird er zwar fortgesetzt, könnte gegen die Zahlung einer Geldauflage jedoch eingestellt werden - auch weil die gesetzliche Lage nicht vollkommen eindeutig ist. Aus moralischer Sicht ist sie das jedoch.
Der Heidelberger Sexualtherapeut Peter Fiedler definiert das Phänomen Pädophilie: Es, so steht es in seinem Lehrbuch, "bezeichnet das Unvermögen von Erwachsenen zu sexuellen Beziehungen mit anderen Erwachsenen und/oder dem Verlangen, solche Beziehungen mit Kindern aufzunehmen". Allerdings trifft Fiedler auch die Unterscheidung in ausschliesslich und nicht ausschliesslich pädophile Personen. Und damit beginnt nicht nur für Laien bereits das Problem.
Wissenschaftlichen Daten zufolge sind nur ungefähr 40 Prozent der Missbrauchsfälle an Kindern auf einen pädophilen Motivationshintergrund zurückzuführen. Die anderen 60 Prozent stellen sogenannte Ersatzhandlungen persönlichkeitsgestörter Täter dar. Ihr sexuelles Interesse ist nicht auf Kinder begrenzt. Betroffene Personen schauen sich beispielsweise kinderpornografisches Material an, "weil sie Minderwertigkeitskomplexe haben oder von bestimmten Machtgefühlen getrieben sind", erklärt Klaus Böhm vom Karlsruher Verein Opferschutz Behandlungs-Initiative (BIOS).
Nicht genug Hilfsangebote
Für "echte" Pädophilie gilt das nicht. Denn sie ist laut Weltgesundheitsorganisation eine Krankheit, die sich nicht heilen lässt, aber behandelt werden kann. "Sexuelle Neigungen sucht man sich nicht aus", sagt Jens Wagner von dem Präventivnetzwerk der Berliner Charité "Kein Täter werden". Pädophilie, darin ist sich die Forschung einig, ist Schicksal und nicht Wahl – "aber jeder ist verantwortlich für sein sexuelles Verhalten". "Und", gibt Wagner zu bedenken, "nicht jeder Pädophile begeht einen Missbrauch und nicht jeder Sexualstraftäter ist pädophil".
Pädophile stehen unter einem hohen Leidensdruck. Sowohl in Berlin als auch in Karlsruhe bemüht man sich deshalb um Präventivmassnahmen und Hilfsprogramme. Bei beiden Einrichtungen gibt es kostenlose Therapiesitzungen. Betroffene können sich anonym an Spezialisten wenden, wobei natürlich die ärztliche Schweigepflicht gilt. Derzeit sind 80 Betroffene in Karlsruhe in Behandlung – auch solche, die nicht als pädophil gelten, aber mitunter bereits Kinderpornografie konsumiert haben.
Das Netzwerk "Kein Täter werden" wiederum, das auch klinische Forschung betreibt, ist derzeit in zehn Bundesländern in je einer Stadt vertreten. Zu wenig, findet Wagner, bei bundesweit mindestens 250.000 Fällen von Pädophilie.
Die Politik muss sich kümmern
Das Problem liegt wie so oft am Geld. Gefördert werden Angebote, die sich überwiegend an bereits straffällig gewordene, registrierte Pädophile richten, um Wiederholungstaten zu verhindern. Um an subventionierten Präventionsmassnahmen teilnehmen zu können, müssen sich auch nicht straffällig gewordene Pädophile zu erkennen geben. "Was aber viele aufgrund des damit verbundenen Stigmas nicht tun. Damit sorgt man dafür, dass diese sich isolieren", beklagt Wagner.
Eine erfolgreiche Prävention würde damit verhindert, beklagt Wagner. Mit dramatischen Folgen: "Wenn sich die betroffenen Menschen nicht öffnen und keine Hilfe in Anspruch nehmen, wächst das Risiko, dass sie ihrer Neigung nachgehen".
Nicht nur bestehende Opferinitiativen, sondern auch die CDU-Bundestagsfraktion fordert in einem Positionspapier deshalb: Weil die gesetzlichen und privaten Versicherer psychotherapeutische Behandlungen nur im Rahmen der Regelversorgung anbieten, müssen alternative Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden. Vor allem aus Mitteln von Bund und Länder. Derzeit diskutieren das Justiz- und Familienministerium, wie ein bundesweites Angebot zu realisieren ist.
Unklare Rechtslage
Was bedeutet das alles für den Fall Edathy? Für Böhm von der Initiative BIOS kommt es nicht auf die Diagnose Pädophilie an. Aus welchen Gründen auch immer kinderpornographisches Material konsumiert wird - "ein solches Verhalten ist moralisch nicht zu akzeptieren. Darum muss es der Gesetzgeber unter Strafe stellen". Nur dann käme seiner Meinung nach eine ausreichende Verbotswirkung zustande.
"Hinzu kommen muss aber auch noch eine Aufklärung der Bevölkerung", sagt Böhm. Denn momentan würden viele denken, dass das blosse ansehen von Bildern nichts Schlimmes sei. Immerhin hat Paragraph 184 des Strafgesetzbuches bislang lediglich Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte, also Darstellungen sexueller Handlungen an und mit Kindern verboten.
Eine Verschärfung des Sexualstrarechts, das auch Posingbilder, auf denen Kinder in einer eindeutig sexualisierten Weise dargestellt werden, unter Strafe stellt, wurde Ende des vergangenen Jahres auf den Weg gebracht.
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