- Kriminalfall in Bayern: Die elfjährige Shaloma soll von ihren leiblichen Eltern entführt worden sein, die Mitglieder der Sekte "12 Stämme" sind.
- Die Bewegung gilt als extrem fundamentalistische Glaubensgemeinschaft und lebt nach strengen Regeln.
- Was hinter den 12 Stämmen steckt und warum die Gruppe für Kinder so gefährlich ist, erklärt Experte Axel Seegers.
Noch ist die Suche nicht beendet, doch der Verdacht hat sich weiter erhärtet: Die vermisste Shalomah (11) aus Eppisburg im Landkreis Dillingen soll von ihren leiblichen Eltern entführt worden sein. Beim Joggen war das Mädchen aus Bayern am vergangenen Samstag verschwunden, Polizeihunde konnten ihre Spur bis zu einer Strasse verfolgen.
Die Vermutung: Dort ist Shalomah, die seit mehreren Jahren bei Pflegeeltern lebt, in das Auto ihrer leiblichen Eltern eingestiegen. Sie sind Anhänger der "12 Stämme" – eine Gruppe, die Polizei und Justiz schon seit Jahren beschäftigt. Shalomah gehe es gut, teilten die mutmasslichen Entführer den Pflegeeltern bereits per Mail mit.
Wer sind die "12 Stämme"?
Nach der Elfjährigen wird derweil weiter mit Hochdruck gefahndet, denn bei den "12 Stämmen" könnte das Mädchen in Gefahr sein. "Prügel-Sekte" ist nur eine von zahlreichen Bezeichnungen, die in der medialen Berichterstattung verwendet werden. Was aber steckt hinter der Gruppierung?
Theologe Axel Seegers ist Experte für Weltanschauungsfragen. Er sagt: "Die Bewegung wurde Anfang der 1970er-Jahre von Elbert Eugene Spriggs in den USA gegründet und ist eine extrem fundamentalistische Glaubensgemeinschaft". Der Gründer sei zuvor Anhänger der "Jesus People" gewesen, einer christlichen Gruppe, die sich aus der Hippie-Bewegung hervortat . Später habe er eine neue Religion gegründet.
Woran glaubt die Gemeinschaft?
"Die 12 Stämme selbst verstehen sich als christliche Gemeinschaft, die grossen christlichen Kirchen sehen das aber nicht so", sagt Seegers. Zu einem Mix aus alt- und neutestamentlichen Versatzstücken kämen eigene Glaubenssätze hinzu. "Die 12 Stämme versuchen die Bibel wortwörtlich auszulegen und haben ein klar dualistisches Weltbild", so der Experte.
Heisst: Sich selbst verstehen die Mitglieder als diejenigen, die die Bibel richtig verstanden haben, gottgemäss leben und gerettet werden. Alle anderen gehören zu einem sündhaften System, von dem sich die "12 Stämme" distanzieren.
Wie leben die "12 Stämme"?
Entsprechend strikt ist auch die Lebensweise: "Das Leben in kleinen Gemeinschaften ist typisch, alles wird wie in der Apostelgeschichte miteinander geteilt, auf persönliches Eigentum wird verzichtet und der Tagesablauf ist sehr strikt geregelt", weiss Seegers. Frauen kleideten sich häufig in langen Röcken, Männer tragen Bärte und langes Haar. In Deutschland waren die 12 Stämme vor allem in Bayern ansässig, lebten dort etwa in Wörnitz und Klosterzimmer auf Bauernhöfen, bevor sie nach Tschechien übersiedelten.
"Es gibt ein klares Rollenbild von Mann und Frau", sagt Seegers. Für die Frau seien Kirche, Kinder und Küche reserviert, sie seien den Männern untergeordnet. "In der Gemeinschaft gibt es Hierarchien, die Ältesten beschliessen beispielsweise Dinge, die die Gemeinschaft betreffen", erklärt Seegers. Manche Mitglieder fungierten als Sprecher und würden bei Konflikten nach aussen hin auftreten.
Warum ist die Gruppe für Kinder gefährlich?
Konflikte gab es in der Vergangenheit schon zuhauf: 2013 nahm die Polizei 40 Kinder in Obhut, den Eltern wurde das Sorgerecht entzogen. Ein "RTL"-Reporter hatte zuvor mittels heimlicher Videoaufnahmen die gewaltsamen Praktiken der "12 Stämme" aufgedeckt: Züchtigungen mit der Rute und Prügelstrafen gehören dazu. Die "12 Stämme" hatten ihre Kinder ausserdem von staatlichen Schulen ferngehalten und auch auf verhängte Zwangsgelder nicht reagiert.
Die hohen ethischen Prinzipien und das Ziel, eine bessere Welt zu schaffen, wollen die "12 Stämme" vor allem durch das Aufziehen einer "reinen" Generation erreichen. Dafür sind absoluter Gehorsam der Kinder Voraussetzung. "Der Wille der Kinder wird mit schwarzer Pädagogik gebrochen", weiss auch Experte Seegers. Die Kinder würden ausserdem stark isoliert, hätten wenig Kontakte nach aussen. "Durch die körperliche und psychische Gewalt ist das Kindeswohl gefährdet", sagt Seegers.
Warum ist das Jahr 2022 wichtig?
Er warnt jedoch davor, die Gruppe zu stigmatisieren und nur mit dem Finger auf sie zu zeigen. "Man sollte auch versuchen, die dahinterliegenden Sehnsüchte und Bedürfnisse zu verstehen, die die Gruppe stillt. In Umbruchphasen, wenn sie nach Antworten suchen, sind Menschen dafür besonders empfänglich", erklärt Seegers.
Die Gefahr, die von den "12 Stämmen" ausgeht, ist allerdings nicht auf den Fall Shaloma begrenzt: Der Antrieb für weitere Entführungen dürfte bei der Gruppe jetzt besonders stark sein. Denn Gründer Spriggs prophezeite 1972, die Gemeinschaft werde 50 Jahre lang aktiv sein, bis Jesus komme und die Kinder abhole. Bald schreiben wir das Jahr 2022 – die "12 Stämme" wollen die Kinder dann bereithalten.
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