In der Schweiz wurde ein selbsternannter "Bussprediger" verurteilt, der Homosexualität als "Unzucht im Namen des Herrn" bezeichnete. Ein schwieriger Rechtsfall zwischen strafbarer Abwertung und Meinungsfreiheit. So sieht die Rechtslage in Deutschland aus.
Seit etwa einem Jahr gibt es in Deutschland den Straftatbestand "Verhetzende Beleidigung". Bestraft wird, wer an eine Person gegen deren Willen einen Inhalt gelangen lässt, der dazu geeignet ist, diese in ihrer Menschenwürde anzugreifen. Dazu muss die Person einer bestimmten Gruppe angehören. Geschützt sind nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Orientierung.
Neue Regeln für verächtlich machen
Wer also Personen mit einer bestimmten Weltanschauung (liberale, linke oder rechte Gesinnung) oder ethnischen Herkunft (Ostfriesen, Bayern, Deutsche oder Niederländer) mit einer Äusserung verächtlich macht, die geeignet ist, die Würde zu verletzen, der wird bestraft.
Die Tat begeht man durch unaufgefordertes "Gelangenlassen" an Dritte per Zusenden, Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen. Das ist schriftlich, per SMS oder E-Mail und natürlich auch durch einen Post in einem Sozialen Netzwerk möglich.
Bizarres Ergebnis bei Rechtsanwendung
Da ein Angriff wegen des Geschlechts von der Norm nicht geschützt wird, ist es so gesehen in Ordnung, wenn man sagt: "Frauen sind Menschen zweiter Klasse!". Wer aber "Ausländer raus!" postet, hat zu Recht ein Problem. Die Aussage grenzt eine Menschengruppe wegen ihrer Herkunft aus und spricht ihr das Existenzrecht im Staat ab.
Das ist als Angriff auf die Menschenwürde zu werten. Weil das Gesetz alle Weltanschauungen gleichermassen schützt, sind, wenn man die nationalsozialistische Ideologie nicht aus dem Kreis der Weltanschauungen ausgrenzen will, von der Norm allerdings auch Nazis geschützt. Die Aussage "Nazis raus!" müsste konsequenterweise strafbar sein – ein bizarres Ergebnis.
Ein Blick in die Schweiz: Busspredigt als Straftat?
Diese Fälle sind noch Theorie. Die Schweiz kennt eine ähnliche Strafrechtsnorm. Wegen "Diskriminierung und Aufruf zum Hass" wird bestraft, wer "öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft". Die Neue Züricher Zeitung berichtet über eine erste Verurteilung. Sie betrifft die Religionsfreiheit.
Ein 63-jähriger selbsternannter "Bussprediger" behauptet im Namen Gottes, die gleichgeschlechtliche Liebe sei eine Sünde, die vor Gott keine Gültigkeit habe. Sie sei eine böse Lust und schändliche Begierde. Damit hat er laut Anklageschrift zu Diskriminierung und Hass gegen Homosexuelle aufgerufen.
Der Angeklagte gestand und plädierte zugleich auf nicht schuldig. Eine "Busspredigt", so sein Argument, dürfe man nicht mit Hass und Volksverhetzung verwechseln. "Homosexualität ist Unzucht im Namen des Herrn" predigte er laut NZZ vor Gericht.
Religion darf kein Deckmantel für Diskriminierungen sein
Die Richter führten aus, dass auch Aussagen aus religiöser Überzeugung für Betroffene herabsetzend und diskriminierend sein können. Auch diese können daher gegen ein gesetzliches Diskriminierungsverbot verstossen. Diesem Argument der Urteilsbegründung ist beizupflichten.
Die Strafbarkeit macht vor der Religionsfreiheit nicht Halt. Sie darf ebenso wie die Kunstfreiheit kein Deckmantel für Diskriminierungen sein.
Das Problem des "Busspredigers" stellt sich auch hierzulande. Gehört er zum Beispiel einer Religion an, in der ein interner Streit darüber herrscht, ob schwule oder lesbische Menschen sich mit dem lieben Gott anlegen, wenn sie anders leben als der tradierte Wertekanon der Religion es vorschreibt, dann stellt sich die Frage, wann eine lauthals geäusserte Ablehnung der Lebensform zur diskriminierenden Abwertung wird.
Ausübung von Religion geniesst Grundrechtsschutz
Rechtlich ist die Äusserung religiöser Überzeugungen Ausdruck möglicherweise der Religionsfreiheit, jedenfalls aber der Meinungsfreiheit. Letztere ist für das Bundesverfassungsgericht die Grundlage jeder Freiheit überhaupt. Das Grundgesetz gewährt sie nicht etwa, sondern es setzt sie voraus.
Traditionelle Religion lebt in einer modernen Gesellschaft und muss deren Kritik an ihren Lehren aushalten. Umgekehrt muss die moderne Gesellschaft ein traditionelles Religionsverständnis aushalten, einschliesslich einer daraus resultierenden religiös motivierten Gesellschaftskritik.
Die Grenze zwischen Denken und Tun
Klar ist aber auch: Die Grenze zwischen strafbarem, nicht bloss gedachtem, sondern gelebtem homophoben Hass und einer religiös geprägten, noch erlaubten Handlung muss durch das Recht gezogen werden. Diese Grenzziehung ist brisant, denn das subjektive Gefühl, verletzt zu sein, kann die Strafbarkeit einer Handlung kaum begründen.
Das Bundesverfassungsgericht stellt stattdessen massgeblich auf den objektiven Verständnishorizont ab. Wäre das subjektive Gefühl, diskriminiert zu sein, massgeblich, dann hätte der "Gefühlsstaat" den Rechtsstaat abgelöst. Ein gefühlter Rechtsstaat ist ein Paradoxon.
Rechtsstaat muss vor Abwertung schützen
Der Rechtsstaat steht vor der schwierigen Herausforderung, die Grenze des zulässigen Verhaltens so zu definieren, dass Menschen effektiv vor Abwertungen geschützt werden, ohne das scharfe Schwert des Strafrechts allzu schnell einzusetzen.
Andernfalls wird – letztlich vom Bundesverfassungsgericht – die Frage zu beantworten sein, ab wann die Ausdehnung der Strafbarkeit die Meinungsfreiheit verletzt.
Schere im Kopf schadet der Freiheit
Die neuen Vorschriften in Deutschland und der Schweiz können bei konsequenter Anwendung sicherlich disziplinierend wirken. Das mag positive Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Diskurs haben. Es könnte aber durch ein Gefühl der Unsicherheit erkauft werden, das zu einem weit vorgelagerten Vermeideverhalten – der vielzierten Schere im Kopf - führt, bloss um nur denkbaren Problemen aus dem Weg zu gehen.
Kein Strafrecht gegen moralisch fragwürdige Meinungen
Für eine Gesellschaft, die die Meinungsfreiheit zu Recht hochschätzt, ist das kein erstrebenswerter Zustand. Meinungsäusserungen, so sehr sie moralisch betrachtet abzulehnen sind, dürfen nicht mit unzumutbarem strafrechtlichem Druck unterbunden werden.
Wo das Strafrecht in bester Absicht grenzenlos schützen will, wird es zum grenzenlos verfassungswidrigen Instrument. Das würde der Absicht, die Menschenwürde effektiv zu schützen, einen Bärendienst erweisen.
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