Facebook steht nach der Lockerung der Communityregeln für bezahlte politische Werbeanzeigen in der Kritik. Eine Überprüfung auf den Wahrheitsgehalt findet nicht statt. Ein Politikwissenschaftler erklärt die Folgen der lascheren Regulierung.

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US-Präsident Donald Trump bezichtigt seinen demokratischen Konkurrenten Joe Biden ganz unverblümt der Korruption – in bezahlten Werbeanzeigen auf Facebook. Möglich macht das die Lockerung der Gemeinschaftsstandards für Politiker. Mark Zuckerberg hatte unlängst erklärt, Facebook wolle sich nicht in inhaltliche Aussagen von Wahlkampfspots einmischen. Und zwar selbst dann nicht, wenn die Werbeanzeigen glatte Lügen enthalten.

Der Politikwissenschaftler Dr. Erik Meyer erklärt im Interview mit unserer Redaktion die Auswirkungen der Entscheidung, wie sie der Trump-Regierung nutzt und warum es mehr Medienbildung braucht.

Für politische Werbung auf Facebook gelten die Communityregeln nicht mehr. Politiker dürfen in bezahlten Anzeigen Lügen verbreiten, ohne dass Fakten-Checker eingreifen. Warum hat sich der Tech-Gigant zu diesem Schritt entschieden?

Dr. Erik Meyer: Grundsätzlich gelten die Gemeinschaftsstandards bei Facebook auch für Politiker. Unter Umständen gibt es nun Ausnahmen, nämlich wenn die Inhalte einen Nachrichtenwert haben. Hier findet also eine Abwägung statt, ob es im Interesse der Öffentlichkeit ist, dass der Beitrag publik bleibt, auch wenn dabei gegen die Regeln der Plattform verstossen wird.

Ein anderer Aspekt betrifft die Wahrhaftigkeit von Aussagen in Politiker-Postings. Diese werden nun in keinem Fall einem Fakten-Check unterworfen. Politiker können eigene Postings, in denen sie unzutreffende Angaben machen, als Anzeige ausspielen.

Wie begründet Facebook dieses Vorgehen?

Facebook will sich bei politischen Inhalten nicht zum Richter aufspielen, die Nutzer sollen sich selbst ein Urteil bilden. Virulent wird dies aktuell vor allem durch den US-Präsidentschaftswahlkampf. Trump fährt eine umfangreiche Online-Kampagne, in der auch problematische Inhalte kommuniziert werden.

Er beschuldigt seinen Hauptwidersacher Joe Biden der Korruption, obwohl es dafür keinerlei Belege gibt.

Genau. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass Facebook und auch andere Unternehmen unter dem Druck des Weissen Hauses stehen. Dort wird behauptet, die liberalen Akteure aus dem Silicon Valley würden die Sichtbarkeit konservativer Positionen auf ihren Plattformen einschränken.

Sehen Sie in der Lockerung eine Gefahr für die politische Meinungsbildung oder gar eine Gefahr für den demokratischen Prozess, wie die US-Senatorin Elizabeth Warren auf Twitter schrieb?

Die Entscheidung selbst halte ich in diesem Zusammenhang für weniger bedeutsam. Sie ist unter den gegebenen Voraussetzungen des Designs und des Geschäftsmodells der Plattform kaum zu vermeiden. Allerdings stellt die Plattformisierung politischer Kommunikation grundsätzlich eine gewisse Gefahr für die Meinungsbildung dar.

Warum?

Unter anderem, weil sich aufregende und polarisierende Inhalte in der Regel besonders gut verbreiten. Denkbar sind unter diesen Bedingungen aber Einschränkungen unabhängig von der Frage, ob Lügen verbreitet werden. Etwa, dass Anzeigen sich nicht genauso wie andere Inhalte durch einen Share Button einfach durch die Nutzer weiterteilen lassen und so eine virale Verbreitung eingeschränkt wird. Oder dass auf politische Werbung eben ganz verzichtet wird.

Kam Facebook vor der Entscheidung überhaupt mit den Kontrollen problematischer Postings hinterher?

Die Kontrollierbarkeit auf einer Plattform mit der Dimension von Facebook ist nur schwer zu bewerkstelligen. Facebook selbst verweist in diesem Zusammenhang gerne auf automatisierte Prozesse. Aber die Bewertung, ob Inhalte wahr oder falsch sind, fällt schon menschlichen Moderatoren schwer.

Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd, sagte der frühere deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck. Ist die Aufregung über die Facebook-Entscheidung übertrieben?

Wenn konkurrierende Kandidaten zum Opfer von Kampagnen mit falschen Angaben in Anzeigen werden, kann ich die Aufregung schon verstehen. Aber das ist dann kein Problem der Plattformen alleine, sondern kann auch in anderen medialen Formaten vorkommen. Insofern steht diese Diskussion im Kontext der Debatte um Fake News und “alternative Fakten”. Deshalb ist die von Facebook vorgenommene Positionierung gerade so umstritten.

Wie einflussreich ist politische Werbung auf Facebook vor Wahlen?

Das ist schwer einzuschätzen, weil die für eine entsprechende Analyse notwendigen Daten nicht direkt zugänglich sind. Die Vorstellung, dass demokratische Wahlen durch politische Werbung bei Facebook oder anderswo gewonnen werden, vertritt in der internationalen Forschungsdiskussion, soweit ich sehen kann, aber niemand. Und in Deutschland ist sie sicher weniger relevant als in den USA. Das liegt unter anderem am desolaten Gesamtzustand der US-amerikanischen Medienlandschaft.

Trumps Wahlkampfteam hat massiv in Werbeanzeigen auf Facebook investiert.

Ja. Seitdem im Mai 2018 die betreffenden Angaben öffentlich sind, hat allein die Trump-Kampagne etwa 20 Millionen Dollar ausgegeben. Zugespitzt formuliert fungieren die Anzeigen dort wie bei anderen US-Politikern im Wahlkampf auch als Finanzierungs-Tool: Es werden Anzeigen geschaltet, um Spendengelder einzuwerben, mit denen die Kampagnen dann verstärkt fortgeführt werden können.

Am 27. Oktober wird in Thüringen gewählt. Gab es in Deutschland Probleme mit der Einhaltung der Vorgaben von Facebook für politische Werbung?

Dazu ist mir nur ein Einzelfall bekannt, der die AfD betrifft. Wie Facebooks Werbebibliothek, in der die Anzeigen archiviert werden, zeigt, wurden Anzeigen hier durchgängig ohne den vorgeschriebenen Disclaimer "Finanziert durch ..." geschaltet. Nachdem ein Nutzer darauf aufmerksam gemacht hatte, hat Facebook die Verbreitung gestoppt.

Es ist ein Beispiel dafür, dass es nicht nur der Veröffentlichung und Archivierung von Polit-Anzeigen bedarf, sondern auch Einrichtungen, die das dann auswerten. Sonst lassen sich problematische Entwicklungen kaum erkennen.

Wie wichtig ist Medienbildung, um Lügen und Falschaussagen selbst entlarven zu können?

Bildung ist ohne Zweifel besonders relevant, insofern sich dabei niemand auf die Einführung und Umsetzung von Vorgaben bei den Plattformen verlassen muss. Das heisst in diesem Fall aber mindestens zweierlei, nämlich einerseits Medienkompetenz und andererseits politische Bildung.

Dafür braucht es dann wieder ein entsprechendes Problembewusstsein in der Politik, betreffende Projekte zu fördern und verbindlich etwa in Lehrplänen zu verankern. Gleichzeitig betrifft es ganz dezidiert nicht nur die schulische Bildung ...

... sondern?

Es ist eine Herausforderung für lebenslanges Lernen. Aber nicht nur durch die Nutzer, sondern auch innerhalb der Digitalbranche, die solche Gesichtspunkte systematisch stärker berücksichtigen sollte.

Über den Interview-Partner: Der Politikwissenschaftler Dr. Erik Meyer veröffentlichte 2019 seine Publikation "Zwischen Partizipation und Plattformisierung: Politische Kommunikation in der digitalen Gesellschaft".
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