Der Rubel fällt, die Wirtschaft schrumpft und mit ihm Russlands Ansehen. Präsident Wladimir Putin gibt dafür dem Westen die Schuld. Doch inwieweit sind die Probleme des Landes wirklich hausgemacht - und was bedeutet die Wirtschaftskrise für Putin?

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Ob die wirtschaftlichen Probleme struktureller Art oder eher sanktionsbedingt sind, darauf gibt es verschiedene Antworten – je nachdem, wen man fragt. Ausländische Spekulanten sind am Absturz des Rubels schuld, hatte Präsident Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation Anfang Dezember behauptet. Diese Haltung bekräftigte er am Donnerstag vor über 1.200 Journalisten noch einmal.

Timm Beichelt, Professor für Europa-Studien an der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), hält dagegen: "Die wirtschaftlichen Probleme sind hausgemacht. Die Abhängigkeit Russland vom Ölpreis wird seit Jahren diskutiert, übrigens auch von der russischen Führung selbst". Das wirtschaftliche Umfeld in Russland - also niedrige Löhne, anhaltende Kapitalflucht und hartnäckige Korruption - reiche nicht, um finanzstarke und hochqualifizierte Arbeitskräfte an Russland zu binden. Vor allem nicht jenseits von Moskau und St. Petersburg, sagt Beichelt. Westliche Sanktionen wirken seiner Einschätzung nach eher verstärkend. Verantwortlich an Russlands ungelösten Problemen sind sie nicht.

Die Krise als Chance?

Putin gibt sich in diesen Tagen jedoch optimistisch. Weder die Sanktionen noch das Sinken des Ölpreises oder der Verfall der Landeswährung – seit Jahresbeginn hat der Rubel gegenüber dem Dollar fast 30 Prozent an Wert verloren – hätten "katastrophale Folgen" für die Wirtschaft. Trotzdem gibt es Befürchtungen, dass die aktuelle Krise Russland in den Ruin treiben könnte.

Klaus Segbers, Inhaber des Lehrstuhls für Osteuropa-Studien an der Freien Universität Berlin, glaubt nicht an dieses Szenario. "Es gibt aber Ökonomen, die das nicht ausschliessen." Und für ganz unmöglich hält auch er eine Pleite nicht. Immerhin handele es sich um eine der ernstesten Krisen der russischen Wirtschaft seit 2006, sagt Segbers.

Hans-Hennig Schröder, der bis 2012 die Forschungsgruppe Russland/GUS der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) geleitet hat, betont allerdings, dass Russland über genügend Rücklagen und Ressourcen verfüge, um die Krise durchzustehen. Schröder geht sogar soweit, von einem etwaigen "positiven Effekt" der Krise zu sprechen. Nicht zuletzt könnte die aktuelle Situation als Anstoss genommen werden, die Industrie umzustrukturieren und neue Märkte in Asien zu erschliessen.

Gefahr für Nachbarstaaten

Doch welche Konsequenzen könnte diese Entwicklung für Putins Verhältnis zum Westen haben? Bei seinen öffentlichen Auftritten wirkt er sowohl bereit, sich in Entspannungspolitik zu üben als auch eine Verhärtung der Fronten anzustreben. Zu konkreten Ankündigungen, welche Richtung er endgültig einschlagen wird, lässt sich Putin aber nicht hinreissen.

Professor Schröder von der SWP glaubt, dass das Land vor allem gegenüber seinen unmittelbaren Nachbarn gefährlich werden könnte. Für den Westen, sagt Schröder, sei Russland "allenfalls lästig". Insbesondere vor der russischen Wirtschaftsleistung braucht man sich wohl nicht zu fürchten. "Die bewegt sich irgendwo oberhalb Frankreichs und Italiens, aber unterhalb Deutschlands", sagt Schröder.

Mit dem Euro-Raum insgesamt oder mit China und den USA könne sich Russland derzeit nicht messen. Dazu sei es ökonomisch zu schwach. Und auch technologisch droht Russland ins Abseits zu geraten. Schröder verweist dafür auf eindeutige Zahlen des Europäischen Patentamtes heran. Demzufolge wurden 2013 von den USA 64.967, von China 22.292 und von Deutschland 32.022 Patente angemeldet. Russland kann nur 1.168 Patente vorweisen.

Unentschlossener Putin

Überraschend ist auch, wie nachdenklich sich Putin zu einer weiteren Amtszeit als russischer Präsident geäussert hat. "Ja, die Möglichkeit besteht, dass ich erneut als Kandidat antrete. Ob dies geschieht, weiss ich noch nicht", sagte Putin in einem Ende November veröffentlichten Interview in der russischen Nachrichtenagentur Tass. Dazu müsse er vorher seine "inneren Gefühle" zu Rate ziehen, erklärte der 62-Jährige, dessen Amtszeit noch bis 2018 dauert.

Aus Sicht des Berliner Universitätsprofessors Segbers könnte es eng für Putin werden. Zumindest, wenn sich die wirtschaftliche Talfahrt fortsetze, der "nach aussen bestehende Konsens der Eliten" bröckeln sollte und auf regionaler Ebene Massendemonstrationen in Russland zustande kämen, sagt Segbers.

Laut Professor Schröder kann dagegen niemand Putin in seinen beiden wichtigen Rollen ersetzen. Einerseits fungiere Putin als Moderator zwischen den konkurrierenden Elitengruppen. Andererseits diene er der Mehrheit der Bevölkerung als Identifikationsfigur. "Denkbar wäre ein Austausch des Ministerpräsidenten", sagt Schröder. Doch den derzeitigen Amtsinhaber, Dmitri Medwedew, auszuwechseln, käme gemäss Schröder einer Richtungsentscheidung gleich. Entweder für rechtsgerichtete Politiker wie Dmitri Rogosin mit ausgesprochen nationalistischen Positionen oder für den ehemaligen Finanzminister und Vertreter des Wirtschaftsblocks, Alexei Kudrin. "Eine solche Entscheidung", sagt Schröder, "könnte aber zu unerwünschten Konflikten führen". Und noch mehr Konflikte kann Russland im Moment wohl kaum gebrauchen.

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