Binnen weniger Tage sind in Österreich fünf Frauen und ein Mädchen gewaltsam ums Leben gekommen. In Statistiken zu Femiziden rangiert das Land weit oben. Woran liegt das und was lässt sich ändern? Fragen an die forensische Psychiaterin Dr. Sigrun Rossmanith aus Wien.
Drei Frauen wurden in einem Wiener Bordell brutal mit einem Messer getötet. Eine 84-Jährige aus Niederösterreich wurde mutmasslich von ihrem Lebensgefährten erschossen, eine 13-Jährige und ihr Mutter tot in ihrer Wohnung in Wien aufgefunden. Gefahndet wird nach dem Vater beziehungsweise Ehemann. Sechs Morde an Frauen binnen vier Tagen - das Thema Femizide ist damit wieder Gesprächsstoff.
2023 wurden in Österreich 26 Frauen oder Mädchen wegen ihres Geschlechts ermordet. Gemessen an der Einwohnerzahl ist das eine hohe Zahl. Österreich liegt damit, genau wie Deutschland, über dem europäischen Durchschnitt. Und diese Fälle nehmen zu: 2014 wurden 19 Femizide in Österreich gezählt. Der bisherige Höhepunkt wurde 2018 mit 41 ermordeten Frauen erreicht. Wir haben darüber mit der forensischen Psychiaterin Dr. Sigrun Rossmanith aus Wien gesprochen.
Redaktioneller Hinweis
- Dieses erstmals im Oktober 2022 veröffentlichte Interview wurde aus aktuellem Anlass überarbeitet und aktualisiert.
In Österreich gibt es – gemessen an der Einwohnerzahl – vergleichsweise viele Frauenmorde. Woran liegt das?
Dr. Sigrun Rossmanith: Es heisst immer wieder, dass bestimmte Migrationsgruppen dafür verantwortlich sind. Es stimmt zwar, dass Femizide in Bevölkerungsgruppen aus patriarchalen Ordnungen gehäuft auftreten – aber das erklärt nicht alles. Das Problem lässt sich nicht allein auf Migration schieben, auch Österreicher werden zu Tätern. Letztlich ist es ein Beziehungsproblem, kein Migrationsproblem. Jeder Femizid hat eine Vorgeschichte, da gibt es immer eine spezifische Täter-Opfer-Beziehung.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der ermordeten Frauen in Österreich gestiegen. Angesichts der fortschreitenden Emanzipation würde man eigentlich eher das Gegenteil erwarten.
Emanzipation trifft auf ein patriarchales Rollenbild. Die Frauen haben eine Entwicklung durchgemacht, sie werden mutiger, stehen immer mehr auf eigenen Beinen und sind weniger bereit, sich unterzuordnen. Das war früher anders. Lange wurde die Frau als Anhängsel oder Besitz des Mannes betrachtet und in manchen Kulturen ist es heute noch so. Wenn die Frau jetzt ihre eigenen Wünsche artikuliert oder sich gar trennt, wird das von Männern mit veraltetem Weltbild als Bedrohung empfunden. Das passiert auch häufig bei Menschen, die aus anderen Kulturen zu uns kommen. Zu Hause hat die Frau noch "funktioniert", hier orientiert sie sich plötzlich an einem anderen Frauenbild und wird selbständiger. Das trifft die Männer unvorbereitet. Eine Trennung ist eine narzisstische Kränkung, wer verlassen wird, gilt als "Loser" – und Gewalt wird leider immer noch als Kraft, Macht und Überlegenheit interpretiert.
Gibt es noch andere Täterprofile von Männern, die Frauen töten?
Es gibt grob gesagt noch zwei weitere Gruppen, darunter zum Beispiel die versteckten Narzissten. Sie bleiben in der Beziehung zunächst unauffällig, erleiden manchmal sogar physische oder psychische Gewalt durch ihre Frauen. Lange erdulden sie das, doch dann ist da irgendwann dieses eine Wort zu viel und sie rasten aus. Der Auslöser ist häufig ganz banal. Hier kommt es oft zu sogenannten Overkill-Delikten, also zu einem Übertöten des Opfers. Darin spiegelt sich die über lange Zeit aufgestaute Wut wider. Und dann gibt es noch die Gruppe der Dissozialen. Für sie ist es selbstverständlich, die Frau zu prügeln, wenn sie nicht funktioniert. Sie empfinden dabei keine Schuldgefühle. Allen Tätergruppen gemein ist eine eklatante, manchmal aber verborgene Egozentrik.
Bereuen diese Männer ihre Taten?
Das ist unterschiedlich. Vor allem die Gruppe der Männer, bei denen sich jahrelang angestaute Wut plötzlich entladen hat, bereuen ihre Taten häufig zutiefst. Die Dissozialen hingegen bereuen gar nichts. Sie suchen die Verantwortung nicht bei sich, sondern bei der Frau.
Über den Fall des Wiener Bierwirtes wurde auch in Deutschland viel berichtet. Der Mann wurde bekannt, nachdem die Grünenpolitikerin Sigi Maurer obszöne Facebook-Nachrichten von ihm öffentlich gemacht hat. Später hat der Mann seine Ex-Freundin nach dem Beziehungsende erschossen. Zu welcher Tätergruppe würden Sie ihn rechnen?
Ich habe den Bierwirt selbst nicht untersucht, aber ihm wurde vor Gericht eine pathologische Persönlichkeit attestiert, die als hochgradig abnorm eingestuft wurde. Seine Persönlichkeit war derartig auffällig, unzugänglich und uneinsichtig, dass man eine Unterbringung als Massnahme verhängt hat.
Im Falle des Bierwirtes soll es laut Medienberichten schon vor der Tat zu gewalttätigen Übergriffen in der Beziehung gekommen sein. Kündigen sich Femizide im Vorfeld immer durch Gewalt an?
Jeder Gewalttat gehen Drohungen voraus, aber nicht jeder Drohung folgt eine Tat. Der Ausspruch "Wenn Du Dich trennst, bring ich Dich um" wird glücklicherweise häufiger ausgesprochen als ausgeführt. Aber wenn es in der Beziehung schon Gewalt und Drohungen gab, ist die Gefahr, dass es bei der Trennung eskaliert, deutlich erhöht. Oft machen Frauen, die sich trennen, den Fehler der letzten Aussprache. Die Männer hegen die Hoffnung, sie könnten die Frau im Gespräch noch umstimmen. Für den Fall, dass das nicht klappt, haben sie die Tatwaffe oftmals schon dabei.
Dieser Fall ist Rossmanith im Gedächtnis geblieben
Sie werden als Gutachterin vor Gericht bei Femiziden hinzugezogen. Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Bei einem Fall vor rund 15 Jahren, also lange vor der aktuellen Femizid-Welle in Österreich, hat ein rasend eifersüchtiger Mann seine Frau beim Sex erwürgt, weil sie ihm ein Verhältnis mit einem anderen Mann gestanden haben soll. Zuvor hatte die Frau immer beteuert, treu zu sein. Der Mann hat die tote Frau im Keller aufgebahrt und mit Kerzen einen regelrechten Altar errichtet. Als er zu der Tat befragt wurde, konnte er selbst nicht fassen, dass er dazu in der Lage war – er hat sich ja jahrelang als Opfer gesehen, nicht als Täter. Der Mann wurde wegen Mordes angeklagt und kam vor ein Geschworenengericht mit einem Dreiersenat an Berufsrichtern – alles Männer mittleren Alters. In der Gerichtsverhandlung hat ein Freund des Angeklagten als Zeuge ausgesagt und gestanden, dass er auch ein Verhältnis mit der Frau hatte. Am Ende hat der Mann sechs Jahre Freiheitsstrafe bekommen – das ist eigentlich nur möglich, wenn Körperverletzung mit Todesfolge angenommen wird.
Das heisst, das Gericht hatte Verständnis für den Mann und er bekam mildernde Umstände?
In Deutschland würde man das wohl mildernde Umstände nennen, ja. Ich dachte damals, da haben sich die Männer Filz-mässig untergehakt und sich gedacht, der arme Teufel hat sich ja nur für etwas gerächt, was ihn zutiefst verletzt hat. Das habe ich so aber nicht wieder erlebt.
Risikoeinschätzung ist "wahnsinnig schwierig"
Eigentlich gibt es in Österreich gute gesetzliche Massnahmen, sagen Opferschutzeinrichtungen. Doch die Zahl der Frauenmorde steigt trotzdem. Gehen die Behörden zu lasch mit auffällig gewordenen Männern um?
Die Behörden werden gerufen und müssen vor Ort eine Risikoeinschätzung machen. Das ist einfach wahnsinnig schwierig. Wie beurteilt man etwas für die Zukunft, das noch nicht passiert ist? Gewalttätige Männer bekommen ein Betretungsverbot, werden in Therapie gewiesen – aber wie soll man jemanden in ein paar Stunden therapieren, der gar nicht einsieht, dass er das braucht? Gerade die dissoziative Tätergruppe zeigt häufig kein Schuldbewusstsein. Es dauert ohnehin sehr lange, bis Menschen sich ändern, und ohne Selbstreflexion ist keine Therapie möglich.
In etlichen Fällen ziehen Gewaltopfer die Vorwürfe auch wieder zurück, ob freiwillig oder auf Druck des Mannes ist nicht immer klar. Und manche Frauen sind auch einfach inkonsequent: Wenn der Mann beteuert, sich zu ändern, lassen sie sich wieder auf ihn ein. Da überlagert eine Wunschfantasie die Realität, denn in kurzer Zeit wird sich nichts ändern. Das alles sind Gründe dafür, warum wir das Problem nicht in den Griff kriegen.
Man müsste, um Femizide zu verhindern, also viel früher ansetzen, etwa bei der Erziehung?
Das ist prinzipiell richtig, aber wie? Beziehung lernt man in der Familie – das heisst, Frauen, die mit solchen Männern liiert sind, müssten ihre Söhne zu einer anderen Sichtweise erziehen. Aber wenn sie weiter in der Beziehung bleiben, ist das schwierig. Es betrifft auch die Gesellschaft. Vor ein paar Jahren gab es in Österreich den politischen Slogan: "Nimm, was Dir zusteht". So ein Slogan ist Wahnsinn, denn die Menschen machen das. Sie nehmen sich, was ihnen vermeintlich zusteht. Konstruktive Auseinandersetzungen werden immer rarer, jeder beharrt auf seinem Recht, die Meinung des anderen wird immer weniger respektiert. Das wirkt sich auch auf Beziehungen aus. Auf lange Sicht muss in der Gesellschaft ein Umdenken stattfinden.
Über die Expertin:
Verwendete Quellen:
- Telefoninterview mit Dr. Sigrun Rossmanith
- ec.europa.eu: Kriminalität und Strafverfolgung
- aoef.at: Femizide in Österreich
- derstandard.at: Brutaler Tod junger Frau: Anwalt erhebt Vorwürfe gegen die Polizei
- Amnesty International vom 26.2.24: "Tödliche Gewalt an Frauen: Femizide in Österreich und weltweit verhindern"
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