Holocaust-Überlebender und Filmproduzent, liebevoller Familienmensch und "Hans Dampf in allen Gassen", Atelierchef, Dramaturg, Besetzungsboss und Buchhalter: Artur "Atze" Brauner war all das und noch viel mehr. Jetzt ist er mit 100 Jahren gestorben - und mit ihm ein bedeutender Teil des deutschen Nachkriegsfilms.
Bei ihm standen sie alle vor der Kamera:
"Atze", wie ihn seine Freunde nannten, liebte öffentliche Auftritte mit seiner Frau Maria (1925-2017) und fehlte jahrzehntelang bei keinem gesellschaftlichen Ereignis in Berlin. Er war zu Hause in der glamourösen Filmwelt. Doch bis zuletzt war Brauner auch ein Mahner wider das Vergessen. Als Holocaust-Überlebender, der 49 Verwandte durch die Verbrechen der Nazis verlor, kämpfte er für das Andenken der ermordeten Juden.
Die Erinnerungen gaben ihn nie frei
"Ich lebe manchmal stundenlang in der Vergangenheit", sagte Brauner einmal. Oft habe er Alpträume, erzählte der am 1. August 1918 im polnischen Lodz als Sohn eines jüdischen Holzgrosshändlers geborene Produzent. Zahlreiche seiner Filme erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus: "Morituri" (1948), "Hitlerjunge Salomon" (1990), "Babij Jar" (2003), "Der letzte Zug" (2006) und eines seiner letzten, gemeinsam mit seiner Tochter Alice produziertes Werke "Wunderkinder" (2011) über den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in der Ukraine.
Brauner überlebte den Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion. 1946 kam er nach Berlin und gründete seine CCC-Filmgesellschaft. Als "Hans Dampf in allen Gassen" war Brauner alles in einem: Atelierchef, Dramaturg, Besetzungsboss und Buchhalter. Bald standen die Stars der deutschen Unterhaltungsbranche in seinen Studios in Berlin-Haselhorst vor der Kamera. Brauner schuf ein kleines Hollywood in Deutschland. Mehr als 700 Kinofilme und TV-Produktionen entstanden dort.
Die Karriere von "Atze" gipfelte in den 50er und 60er Jahren in Filmen wie "Der brave Soldat Schwejk", "Der Tiger von Eschnapur", "Mädchen in Uniform" und zahlreichen Filmen mit Peter Alexander und
Anfang der 70er Jahre drohte die Fernsehkonkurrenz, den mächtigsten deutschen Produzenten in den Ruin zu stürzen. Die berühmten CCC-Studios hielten nur noch einen Notbetrieb aufrecht. Seit den 80er Jahren konzentrierte sich Brauner dann auf politische und sozialkritische Produktionen.
Verkannt in der Heimat
So entstand 1990 "Hitlerjunge Salomon" von Agnieszka Holland. Die auf einer wahren Begebenheit beruhende Geschichte eines jüdischen Jungen, der die Nazi-Zeit überlebte, weil er sich als Hitler-Junge ausgab, stiess im Gegensatz zu Deutschland in den USA auf grosse Zustimmung. Das Drama gewann einen Golden Globe, wurde von der deutschen Auswahlkommission aber nicht für einen Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Das schmerzte Brauner bis zuletzt.
Brauners Filme über den Holocaust wie "Babij Jar" oder "Der letzte Zug" waren nicht immer Publikumsrenner. Aber es waren immer wichtige Filme - Filme, die gedreht werden mussten. Weit mehr als 20 von Brauner produzierte und co-produzierte Filme über die Nazi-Verbrechen sind auch in der Mediathek der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel zu sehen.
"Dem Tod in die Augen geschaut"
"In jungen Jahren haben meine Eltern, Geschwister und ich die Gräueltaten der Nazis erlebt und dem Tod in die Augen geschaut. Das bleibt für immer unvergesslich und schrecklich", erzählte Brauner anlässlich seines 100. Geburtstags im Jahr 2018. Auf seiner Flucht sah er in der Ukraine ein Massengrab mit ermordeten Juden. "Ich komme näher und da liegt ein 10- oder 12-jähriger toter Junge mit offenen Augen. Ich hatte das Gefühl, er schaut mich an und redet mit mir: "Was suchst du hier? Wir sind alle tot. Hilf' uns leben. Ihr sollt uns nicht vergessen!"" Da habe er ein Gelübde abgelegt. So lange er leben werde, werde er dies nicht vergessen - und nur durch Filme könnten Schicksale wie das des Jungen nicht vergessen werden.
Appell an die nächsten Generationen
Mit Besorgnis blickte Brauner zuletzt auf die heutigen rechtspopulistischen Strömungen. "Ich kann der Jugend nur nahelegen, dass sie den Populisten weltweit nicht ins Netz geht und sich mit aller Kraft Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenstellt. Und zwar jetzt und nicht erst, wenn es schon zu spät ist." (best/dpa)
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