Der Absturz von 4U9525 führt nun auch bei deutschen Airlines zu Konsequenzen: Die Cockpits müssen ab sofort immer mit zwei Menschen besetzt sein. Weitere Sicherheitsmassnahmen sind in der Diskussion. Der Leiter der Luftfahrtakademie, Ulrich Paulus, erklärt was Sinn ergibt – und was nicht.
Der genaue Hergang des dramatischen Absturzes der 4U9525 über den französischen Alpen ist noch nicht geklärt – doch die deutschen Airlines reagieren schon jetzt. Wie der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft in Berlin mitteilte, führen die deutschen Fluggesellschaften ab sofort die Zwei-Personen-Regel im Cockpit ein. Sie wollen mit neuen Bestimmungen die Sicherheit verbessern. Im Cockpit müssen stets zwei Personen anwesend sein.
Verlässt der Kapitän oder der Co-Pilot seinen Platz, muss ein Crew-Mitglied den Platz einnehmen. Doch nicht alle Airlines wollen nachziehen. "Letztlich hätte diese Regelung in diesem Fall auch nicht geholfen", erklärt Ulrich Paulus die Skepsis. Der ehemalige Flugkapitän leitet die Luftfahrt-Akademie und verfolgt die neue Sicherheitsdebatte aufmerksam. Bei einigen Punkten ist er sehr skeptisch. "Letztlich bleibt immer ein Restrisiko. Egal, ob wir über technisches oder menschliches Versagen reden. Und trotzdem ist das Fliegen die sicherste Art des Reisens." Die wichtigsten Fragen und Antworten in der Sicherheitsdebatte nach dem wohl absichtlich herbeigeführten Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine.
Was bringt das Vier-Augen-Prinzip im Cockpit?
"Das ist ein zweischneidiges Schwert", meint Paulus. Generell ist es erlaubt, dass Kapitän oder Co-Pilot das Cockpit verlassen, wenn die Reiseflughöhe erreicht ist. Wenn der verbleibende Kollege ohnmächtig würde, sei das Vier-Augen-Prinzip hilfreich. Dann könne das Crew-Mitglied Hilfe holen. Selbst das Steuer übernehmen darf es nicht: "Das Gesetz verbietet es, dass eine nicht-lizensierte Person in die Flugtechnik eingreift."
Beim Absturz der 4U9525 wäre die Regelung weniger hilfreich gewesen – jedenfalls wenn die These der Staatsanwaltschaft Marseille stimmt. Ulrich Paulus will das nicht voreilig beurteilen. "Erst wenn die zweite Blackbox ausgewertet ist, wird man das mit Gewissheit sagen können." Wenn aber der Co-Pilot die Maschine wirklich willentlich zerstören wollte, hätte auch ein Crew-Mitglied nichts dagegen tun können, sagt Paulus.
"Die andere Person hätte erst einmal gar nicht bemerkt, was passiert, ein Sinkflug ist ja nichts Ungewöhnliches." Wenn das Crew-Mitglied realisiert hätte, was los ist, wäre es zu spät gewesen. Nur ein Pilot könnte dann noch eingreifen.
Kann ein Notruf ausserhalb des Cockpits abgesetzt werden?
Das ist nicht möglich. Nur aus dem Cockpit kann per Intercom, also quasi per Telefon, ein Notruf gesendet werden. "Alles andere würde auch nichts bringen", sagt Experte Paulus. Die Bodenkontrolle kann im Notfall nichts tun, ausser andere Flugzeuge zu warnen und Kontakt zum Cockpit aufzunehmen. "Das ist vor dem Unfall offenbar auch geschehen." Abschalten könne man den Funkverkehr nicht. Es ist also wahrscheinlich, dass immer wieder versucht wurde, mit dem Co-Piloten Andreas L. Kontakt aufzunehmen. "Nur: Wenn niemand antwortet, hilft das nichts."
Warum kann die Tür nicht anders geöffnet werden?
Ulrich Paulus flog noch zu Zeiten, als das Cockpit durch eine Falttür erreichbar war. "Und die stand eh meist halboffen." Nach den Anschlägen vom 11. September wurden die Cockpits zu Festungen ausgebaut. Nun können Kapitän und Co-Pilot verhindern, dass jemand eindringt, selbst wenn die Person den Code kennt. Die Tür kann von innen sowohl elektronisch als auch mechanisch verriegelt werden, genau das ist wohl passiert. Aber warum kann die Bodenkontrolle die Tür in solchen Notfällen nicht öffnen? "Technisch wäre das möglich", meint Paulus. "Nur birgt es die Gefahr, dass jemand die Lage falsch einschätzt." Im Klartext: Es soll verhindert werden, dass jemand Crew-Mitglieder zwingt, dem Bodenpersonal einen Notfall vorzuspielen.
Warum gibt es keine regelmässigen Psycho-Tests?
Piloten unterziehen sich in der Regel einmal pro Jahr einem medizinischen Check, dabei wird auch der generelle geistige Zustand beurteilt. Ein psychologischer Test ist nicht vorgesehen – was nun Aufregung hervorruft, weil bekannt wurde, dass Co-Pilot Andreas L. während der Ausbildung an Depressionen litt. Eine EU-Verordnung legt fest, dass ein Pilotenbewerber keine sicherheitsrelevanten psychiatrischen Probleme haben darf. Behandelte Leiden mit günstiger Prognose sind allerdings kein Hinderungsgrund für eine Laufbahn als Pilot.
Eine genaue gesetzliche Regelung, wie eine psychologische Prüfung ablaufen muss, gibt es nicht. Jan Wörner, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, hat in seinem Blog grob dargestellt, wie die psychologische Komponente in den Eignungstests aussieht. Er kommt zu dem Schluss, dass dieses Verfahren "nicht alle Risiken einer individuellen negativen Entwicklung ausschliessen" könne. Und wenn eine solche Entwicklung eintritt, liege die Schwierigkeit in der Diagnose, ergänzt Luftfahrt-Akademie-Leiter Paulus: "Wenn jemand psychologische Probleme und eine solche Absicht hat, muss er sich selbst bekennen, kein Psychologe kann das beurteilen."
Die Lufthansa hat ein eigenes Sicherheitsbüro, in dem sich jeder Pilot mit Problemen melden kann. "Aber auch da muss der Betroffene von selbst hingehen", sagt Paulus. Wenn Kollegen etwas Verdächtiges auffällt, sind sie eigentlich gesetzlich verpflichtet, das zu melden. Der Pilot wird dann "gegroundet", darf also nicht mehr fliegen. Doch auch hier gibt es ein Problem, merkt Paulus an: "Wollen Sie wirklich einen Kollegen anschwärzen, wenn Sie nur einen Verdacht haben? Und was ist, wenn die sich einfach nur nicht grün sind?"
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