Nach dem Flugzeugabsturz in Äthiopien mit fünf deutschen und insgesamt 157 Toten hat die Suche nach der Unglücksursache begonnen. Ein schlimmer Verdacht drängt sich auf, denn vor wenigen Monaten gab es bereits einen Unfall mit der Boeing-Reihe. Erste Flugverbote wurden verhängt.
Der Absturz einer nagelneuen Boeing 737 Max 8 in Äthiopien hat weltweit Bestürzung, aber auch Verunsicherung bei Passagieren ausgelöst.
Die Luftfahrt-Branche ist zudem besorgt: Nachdem in kurzer Zeit zwei fast neue Maschinen des gleichen Flugzeugtyps in vergleichbarer Fluglage abgestürzt sind, schrillen die Alarmglocken.
Chinas, Indonesiens und Äthiopiens nationale Fluggesellschaft erklärten am Montag ein Startverbot für alle baugleichen Maschinen. Betroffen sind mindestens 110 Flugzeuge.
Nach Absturz: erste Flugverbote ausgesprochen
In kaum einer anderen Branche wird das Thema Sicherheit höher gewichtet als im Luftverkehr. "Safety first lautet der Grundgedanke der Luftfahrt", sagt Jan-Arwed Richter vom Hamburger Flugsicherheitsbüros Jacdec ("Jet Airliner Crash Data Evaluation Centre").
Auch wenn so kurz nach dem Unglück eine Einschätzung nur spekulativ sein kann, meint der Unfallforscher: "Angesichts von mehr als 350 Toten innerhalb von vier Monaten mit dem gleichen Flugzeugtyp ist es aus meiner Sicht überfällig, jetzt schnellstens genaueste Erkenntnisse darüber zu bekommen, ob es an der Technik gelegen hat."
Das sehen die Luftfahrtbehörden in China und Indonesien ähnlich: Sie erteilten dem Flugzeugtyp vorerst ein Flugverbot. Auch die Fluggesellschaften Ethiopian, Mongolian und Royal Air Maroc lassen ihre Max-Maschinen am Boden. US-Fluglinien wie United und Southwest wollen ihre Jets hingegen weiter starten lassen - ebenso der norwegische Billigflieger Norwegian, der bisher grösste Max-Betreiber in Europa.
Aktienkurs des Flugzeugherstellers knickt ein
Entscheidungen der Behörden in den wichtigen Regionen USA und Europa stehen noch aus. An der Börse lösten die Nachrichten einen ganz anderen Absturz aus: Boeings Aktienkurs knickte kräftig ein.
Der US-Konzern erklärte am Montag, es gebe nach bisherigem Kenntnisstand keine Grundlage für neue Anweisungen an die Betreiber des Flugzeugtyps. "Sicherheit ist unsere oberste Priorität", teilte Boeing mit.
Die Vereinigung Cockpit hält die Flugverbote für übertrieben. Es gebe noch keinen Beleg, dass es ein ähnliches Problem wie beim Absturz der indonesischen Maschine gegeben haben könnte, sagt ein Sprecher der Pilotengewerkschaft.
Der weltgrösste Reisekonzern Tui prüft noch, was zu tun ist. Zu seiner Flotte gehören bereits 15 Jets dieses Typs, die in Grossbritannien und den Benelux-Staaten im Einsatz sind. Bei der deutschen Tochter Tuifly steht die Einführung Mitte April an.
Für den weltgrössten Flugzeugbauer Boeing ist die seit dem Jahr 2017 ausgelieferte 737-Max-Reihe der Verkaufsschlager schlechthin. Sie ist eine Weiterentwicklung des seit Mitte der 1960er Jahre gebauten Mittelstreckenjets 737, dem meistproduzierten Verkehrsflugzeug der Welt.
Boeing 737 gilt als zuverlässig
Die 737 gilt als extrem zuverlässig. Um gestiegenen Anforderungen des Luftverkehrs gerecht zu werden, wurde der zweistrahlige Jet immer wieder modernisiert. Auch unter dem Eindruck des Erfolgs des Konkurrenten Airbus versuchte Boeing, das vorhandene Grundmodell bis an die Grenzen des Machbaren anzupassen.
Bei den Max-Versionen wurden - analog zum Konkurrenten Airbus mit seinem Modell A320neo - vor allem sparsamere und grössere Triebwerke unter den Tragflächen angebracht. Sie ragen bei Boeing aber weiter als bei anderen Versionen nach vorn und erschweren den Piloten in bestimmten Fluglagen die Kontrolle über die Maschine.
Daher wurde eine Steuerungssoftware angepasst - sie greift nun stärker in das Geschehen ein. Seit dem Lion-Air-Unglück steht sie in Verdacht, zumindest ein Teil der Unglückskette gewesen zu sein. Ob es auch diesmal so war, soll die Auswertung der gefundenen Blackbox ergeben.
Als verstörend wertet Experte Richter aber schon jetzt den Hinweis in Fachforen auf einen nach der Unglücksmaschine gestarteten Piloten, der die letzten Funksprüche aus der abgestürzten Boeing mitgehört haben soll. Richter sagt: "Der Unglückspilot meldete demnach Probleme mit der Fluggeschwindigkeit - was vom Muster her Parallelen aufdrängt zum Lion-Air-Flug."
Ryan Air setzt auf Boeing
Boeing hatte bis zuletzt Bestellungen für mehr als 5000 Maschinen der 737-Max-Reihe vorliegen, die das Unternehmen in vier verschieden langen Versionen anbietet - von der Max 7 bis zur Max 10.
Ende Januar waren davon 350 ausgeliefert. Ryanair hat 135 solcher Jets geordert, betreibt aber nur das Vorgängermodell 737 bisher. Die Lufthansa setzt bei sich und Töchtern wie Eurowings im Mittelstrecken-Segment komplett auf die Airbus-Konkurrenz.
Grossflächige Startverbote für den Verkaufshit könnten Boeing schwer treffen. China ist für die Flugzeughersteller ein wichtiger Markt: Mehr als jeder vierte Max-Jet fliegt schon jetzt für Airlines aus dem Reich der Mitte.
Dabei hat Boeing dort schon wegen des Handelsstreits zwischen beiden Ländern hohe Strafzölle zu befürchten, die praktisch die gesamte 737-Reihe träfen.
Bereits Boeing 787 mit Flugstopp belegt
Zudem dürften die Startverbote bei Boeing böse Erinnerungen ans Jahr 2013 wecken. Damals verhängten Luftfahrtbehörden auch in den USA einen Flugstopp für den nagelneuen Langstreckenjet Boeing 787 "Dreamliner" - weil sich Lithium-Ionen-Akkus des Hightech-Fliegers mehrfach entzündet hatten.
Drei Monate lang durfte weltweit kein "Dreamliner" abheben: Der Image-Schaden war perfekt. Und vor Boeings Werkshallen stauten sich Maschinen, weil der Hersteller in dieser Zeit auch neue Jets nicht vom Hof fliegen durfte.
Im Fall der Max würde ein solcher Rückstau um ein Vielfaches grösser. Denn während Boeing in dem Jahr gerade mal 65 "Dreamliner" auslieferte, geht es bei der Max-Reihe bald um zehnmal so viele Maschinen. Der Platz vor den Werken dürfte da schnell knapp werden. © dpa
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.