- Während sich Millionen versuchten, vor dem Coronavirus zu schützen, haben Forscher in London Freiwillige gezielt damit infiziert.
- Nun legen sie Ergebnisse vor.
- Hat sich das Wagnis gelohnt?
Jacob Hopkins aus Birmingham fängt an zu strahlen, als er erzählt, wie er mit Corona infiziert wurde: Kopf in den Nacken, dann habe ihm eine vollständig vermummte Person eine Flüssigkeit in die Nase getröpfelt. "Ich habe mit der Ärztin eingeschlagen, wir waren beide so aufgeregt", erzählt der 24-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Nach seinen Angaben war er der erste Proband, der im vergangenen Jahr von Forschern des Imperial College in London im Rahmen einer Studie gezielt mit dem Coronavirus infiziert worden ist. Nun, knapp ein Jahr später, liegen die ersten Ergebnisse des umstrittenen Forschungsprojekts vor.
Inkubationsphase des Virus ist deutlich kürzer als zuvor angenommen
Das zentrale Ergebnis der sogenannten Human-Challenge-Studie: Die Inkubationsphase des Virus soll den Forschern zufolge deutlich kürzer sein als zuvor angenommen - im Schnitt traten schon 42 Stunden, also knapp zwei Tage nach der Ansteckung bei den Teilnehmern Symptome auf. Allerdings: Die Ergebnisse beziehen sich weder auf Omikron noch auf Delta, sondern auf den Wildtyp des Coronavirus. Anders als zunächst gehofft, hat sich die Forschung in die Länge gezogen.
Die Forscher träufelten gut 30 jungen, gesunden Erwachsenen, die zuvor weder geimpft waren noch eine Infektion hinter sich hatten, in einer kontrollierten Umgebung eine niedrige Dosis ein. 16, also gut die Hälfte davon, infizierten sich. So auch Jacob Hopkins, der in den ersten Tagen noch nicht viel merkte, aber dann doch Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Grippe-Symptome bekam. Rund drei Wochen verbrachte er in einem hermetisch abgeriegelten Raum, rund um die Uhr überwacht und immer wieder getestet. Eigentlich habe er in der Zeit eine Sprache lernen wollen, erzählt Hopkins. Doch die Untersuchungen und Tests hätten dann doch viel Zeit gekostet. Hopkins ist keiner, der Covid-19 verharmlost. "Ich weiss, wie viel Schaden das angerichtet hat", sagt er. Gerade deshalb wolle er helfen.
Human Challenge Trials kamen in der Vergangenheit zum Beispiel bei der Entwicklung von Grippe- und Malaria-Impfstoffen zum Einsatz. Allerdings wurde den Probanden dabei zunächst ein potenzieller Wirkstoff verabreicht. Unter Medizinethikern sind die Studien extrem umstritten. Viele argumentieren, dass Menschen unnötig in Gefahr gebracht würden, obwohl es Alternativen gebe. Auch bei jungen Menschen gebe es schwere Verläufe, heisst es in einer Stellungnahme des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller.
Forscher verteidigen das Vorgehen
Peter Openshaw, einer der beteiligten Forscher in London, verteidigt das Vorgehen. Er kenne die ethischen Bedenken, sagt er am Mittwoch in einer Schalte mit Journalisten. "Aber ist es denn ethisch, diese Studien nicht durchzuführen, wenn sie Vorteile bringen?" Es sei dankbar, dass Human-Challenge-Studien in manchen Fällen etwa Tierversuche ablösen könnten.
"Aus wissenschaftlicher Sicht bieten diese Studien einen echten Vorteil, da der Zeitpunkt der Ansteckung genau bekannt ist und daher Dinge wie das Intervall zwischen dem Kontakt und der Art der Viruslast genau beschrieben werden können", meint Jonathan Van-Tam, ein medizinischer Berater der britischen Regierung, die die Forschung aktiv unterstützt hat. Die britische Studie gilt als weltweit erste, die im Zusammenhang mit Covid-19 auf diese Weise geforscht hat.
Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung, die in dieser Woche als noch nicht von Experten begutachtete Preprint-Studie veröffentlicht wurde, ist, dass der Grossteil der ausgeschiedenen Viruslast aus den Nasen der Probanden statt aus dem Rachen kam, wo diese schwächer ausfiel und schneller wieder abnahm. Die britischen Forscher leiten daraus ab, wie wichtig es ist, Masken auch über der Nase zu tragen.
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Ursprünglich war die Hoffnung, Entwicklung von Impfstoffen beschleunigen zu können
Ursprünglich hatten die Wissenschaftler gehofft, mit ihrer Forschung die Entwicklung von Impfstoffen beschleunigen zu können. Doch diese kamen auch mit klassischen klinischen Tests in Rekordgeschwindigkeit zum Einsatz. Trotzdem sehen die Forscher noch für diese Pandemie grosses Potenzial für ihren Ansatz, gerade bei der Testung speziell an Varianten angepasster Impfstoffe: In der aktuellen Lage, mit einer hohen Immunisierung in der Bevölkerung und vielen zufälligen Infektionen, sei es für Impfstoff-Entwickler gar nicht mehr einfach, passende Probanden-Gruppen zu finden, um die Wirksamkeit ihres Mittels nachzuweisen. "Da können Human-Challenge-Studien helfen", sagt Studienautor Chris Chiu im Briefing.
Derzeit bereitet das Team eine weitere Runde vor, bei denen Freiwillige mit der Delta-Variante infiziert werden sollen. Ziel ist es, dabei auch Durchbruchsinfektionen herbeizuführen bei Menschen, die bereits Antikörper in sich tragen. Jacob Hopkins könnte sich vorstellen, sich wieder infizieren zu lassen. Zwar sei er nach der dreiwöchigen Quarantäne erschöpft gewesen und habe erst einmal einen ganzen Tag geschlafen. Aber: "Es war eine grossartige Erfahrung. Ich würde es jederzeit wieder machen." © dpa
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