- Sie bezeichnen sich selbst als Männer, die unfreiwillig im Zölibat leben. Die Subkultur der Incels hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen.
- Die Kombination aus Frauenhass und Selbsthass macht die Incels potenziell gefährlich. Ihre Ideologie steht in Verbindung mit mehreren Anschlägen.
- Die Expertin Susanne Kaiser erklärt, was Incels antreibt, welche Gefahr von ihnen ausgeht und was gegen ihre Ideologie getan werden kann.
Im Zusammenhang mit dem Anschlag von Atlanta warnen US-Experten vor einem Anstieg von Hassverbrechen, die auf "male supremacy" (dt.: männlicher Vorherrschaft), beruhen. Eine solche Gefahr geht von der Ideologie der Incels aus, die in den USA bereits seit einigen Jahren bekannt ist. Und auch in Europa wird das Thema virulenter.
Der Begriff Incel ist eine Abkürzung und steht für "Involuntary Celibates", also für "unfreiwillig im Zölibat lebende" Männer. Sie zeichnen sich, so die Autorin Susanne Kaiser im Gespräch mit unserer Redaktion, durch eine bestimmte Ideologie aus, die unter Rückgriff auf die Evolutionstheorie von Charles Darwin funktioniert: "Incels gehen davon aus, dass Frauen für die Fortpflanzung auf das Äussere fixiert sind und daher gutaussehende Männer bevorzugen." Die Incels seien in ihrem Selbsthass überzeugt, dass keine Frau sie lieben könne.
Expertin: "Es geht darum, Frauen zu entmenschlichen"
Die gutaussehenden Männer werden dabei als "Alpha-Männer" oder auch "Chads" betitelt. Sie repräsentieren das Gegenteil der Incels und kommen beim weiblichen Geschlecht gut an. Der primäre Hass der Incels richte sich aber auf die Frauen, so Kaiser: "Es geht darum Frauen zu hassen, herabzuwürdigen und zu entmenschlichen. Incels sprechen nicht mehr von 'sie', sondern von 'es'." Aufreizende Frauen ("Stacy"), die den Incels gegenüber nur Spott übrighaben, stehen dabei sinnbildlich für die gehassten Frauen.
Der Feminismus ist in diesem Weltbild das entscheidende Problem, erklärt Kaiser: "Dieser hat Frauen ermöglicht, ihre Partner frei zu wählen und zusammen zu sein, mit wem sie wollen. So kommen Incels zu solch kruden Behauptungen, dass 80 Prozent der Frauen mit nur 20 Prozent der Männer zusammen seien." Die Incels selbst bleiben dabei ohne Partnerin auf der Strecke.
Die Ideologie der Incels: Suizid und Attentate als Konsequenz
Der sekundäre Hass der Incels könne sich dabei aber auch auf die "Alpha-Männer" richten. Das habe sich, so Kaiser, beim Attentäter von Toronto im Jahr 2018 gezeigt: "Dieser hat explizit angekündigt, 'Chads' und 'Stacys' zu stürzen. Dennoch haben die Alpha-Männer weniger Schuld an der Lage der Incels, denn aus ihrer Sicht besitzen die Frauen die schlechten Eigenschaften, die Alpha-Männer dagegen die guten Eigenschaften."
Weil für das Ausbleiben weiblicher Zuwendung Frauen verantwortlich gemacht werden, paaren sich der Selbsthass und der Frauenhass. Am Ende bleiben laut Kaiser zwei Möglichkeiten: "Die erste Möglichkeit ist der Suizid, zu dem sich die Männer in den Internetforen auch aktiv ermutigen. Und die zweite Möglichkeit besteht in einem gewaltvollen Umsturz der Gesellschaftsordnung über Attentate. Am Ende dieser Umsturzfantasie würden dann die Incels herrschen und Frauen den Männern zuteilen."
Viele Incels glauben an einen "Defekt" von Geburt an
Darüber hinaus gehen Incels davon aus, dass ihr Incel-Sein schon mit ihrer Geburt und damit genetisch festgelegt ist: "Manche haben das bereits anerkannt, andere versuchen noch, sich beispielsweise durch Schönheitsoperationen ihrem Schicksal zu entziehen. Angelehnt an den Film Matrix schluckt die Mehrheit der Incels aber irgendwann die 'Blackpill', findet sich also damit ab, nie mit einer Frau zusammen zu sein." Und dann bleiben wieder die beiden oben genannten Auswege.
Deshalb wird in der Forschung auch untersucht, wie sich Incels wandeln und mit welchen weiteren Ideologien sie in Berührung kommen. Einige landeten laut Kaiser in rechtsextremen Foren. Das Verhältnis zwischen autoritären Strömungen, rechtsextremen Ideologien, Frauenhass und rassistischen Anschlägen wird in der öffentlichen Debatte aber noch vernachlässigt. Kaiser fordert daher, die Zusammenhänge anzuerkennen.
Autoritäre Strömungen treffen sich im Anti-Feminismus
"Wir beobachten schon länger das Zusammenwachsen der Szenen, von religiösen Hardlinern, Fundamentalisten und Rechtsextremen. Sie treffen sich alle im Punkt der Frauenverachtung. Der Frau soll wieder ein unterer Platz in der Gesellschaft zugewiesen werden", sagt Kaiser. Das habe sich auch in der Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 im Zusammenspiel zwischen Evangelikalen, der Alt-Right-Bewegung und Incels beobachten lassen.
Doch die Verbindung zwischen Anti-Feminismus und rechtsextremen Ideologien geht noch viel weiter. Sie schlägt sich im Verschwörungsmythos vom "Grossen Austausch" nieder. Dieser findet sich beispielsweise im Manifest des Attentäters von Oslo und Utøya, Anders Breivik. Und auch der Attentäter von Christchurch sah sich als Held, der "die weisse Rasse" vor der "Umvolkung" rettete.
Verschwörung lässt Loser-Status vergessen
In diesem Verschwörungsmythos komme alles zusammen und der Feminismus sei schuld, dass weisse Frauen nicht mehr mit weissen Männern Kinder bekommen, beschreibt Kaiser: "Dann stirbt die 'weisse Rasse' aus. Dahinter steckt dann das Weltjudentum, das den Feminismus erfunden habe und das Projekt, die Bevölkerung auszutauschen, vorantreibe."
Das erkläre auch die Anziehungskraft der Incel-Ideologie: "Als gesellschaftlicher Verlierer oder Abgehängter in anderer Form ist es unglaublich selbstermächtigend, wenn man für eine grosse Sache kämpft. Gerade für die Incels ist dieser Kampf mit einem soldatischen Männlichkeitsideal verbunden, das einem Bedeutung gibt und den Loser-Status vergessen lässt."
Incels und ihre Gewaltfantasien – eine Gefahr in Deutschland?
Die Rechtfertigung von Attentaten ist also mit der Blackpill-Theorie eng verbunden. Denn als einer der wenigen Erleuchteten muss das Unrecht der widernatürlichen feministischen Gesellschaft bekämpft werden. Das Internationale Zentrum für Terrorismusbekämpfung weist daher in einem Briefing auf die Gefahr von Incels und deren Ideologie hin. Wie gross ist die Bedrohung, die in Deutschland von diesen Männern ausgeht?
Susanne Kaiser weist in diesem Zusammenhang auf die globale Dimension des Phänomens hin. Es gebe zwar eine deutsche Szene, die sei aber international vernetzt: "Der Halle-Attentäter war auch in der englischen Community unterwegs. Zwar wurde bei ihm der rechtsextreme Hintergrund aufgeklärt, doch die Verbindung zur Incel-Ideologie blieb im Dunkeln und wurde in der Öffentlichkeit nicht aufgearbeitet."
Incel-Ideologie zehrt von gesellschaftlichem Nährboden
Mit dieser gesellschaftlichen Problem-Diagnose kann die Prävention für das Incel-Phänomen angegangen werden. So fordert die Expertin Kaiser eine offene Debatte über Frauenhass und Sexismus: "Wir brauchen Aufklärung über die Strukturen und über die Vernetzung von Anti-Feminismus mit rechten Ideologien. Wir brauchen mehr Wissen in den Sicherheitsbehörden und eine grössere Sensibilität für soziale Medien und das Internet." Sexismus dürfe nicht länger als Kavaliersdelikt behandelt werden.
Zwar sind die Incels ein Extremfall, doch mit dem in der Gesellschaft virulenten Sexismus sei der Nährboden für diese Weltanschauung gelegt, so Kaiser: "Wir brauchen eine Debatte über Männlichkeit und über Weiblichkeit. Und wir brauchen zumindest das Angebot eines neuen Männlichkeitsideals. So kann man die Radikalisierungsspirale gleich zu Beginn durchbrechen."
Verwendete Quellen:
- Telefonisches Gespräch mit Dr. Susanne Kaiser
- Nytimes.com: Experts warn of a rise in hate crimes motivated by ‚male supremacy‘
- Icct.nl: Male supremacist terrorism as a rising threat
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