Im Frühjahr 2020 wird eine Studentin in Italien von ihrem Freund getötet, der Mann in der Folge zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Oberste Gericht hebt nun das Mordurteil auf. Der Grund löst vielerorts Empörung aus.

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In Italien hat die Aufhebung eines Mordurteils gegen einen Mann Kritik ausgelöst, der seine Freundin in der Anfangsphase der Corona-Pandemie getötet hatte. Das damalige Urteil habe die mildernden Umstände der Pandemie und der Schutz-Massnahmen nicht angemessen berücksichtigt, begründete der Kassationsgerichtshof in Rom seine Entscheidung.

Das Gericht verwies den Fall damit zurück an das Berufungsgericht. Zwei Instanzen hatten den Mann zuvor zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Freund erwürgte Freundin, weil er dachte, sie hätte ihn mit Corona angesteckt

In dem Fall geht es um den Mord an einer 27 Jahre alten Medizin-Studentin aus Sizilien durch ihren Freund. Am Abend des 30. März 2020 - während des ersten Lockdowns - eskalierte ein Streit zwischen dem Paar. Antonio D. P. schlug seine Freundin Lorena Q. und erwürgte sie letztlich.

D. P. rief laut "Südtirol News" selbst die Carabinieri. Bei seiner Vernehmung gab er an, panische Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus gehabt zu haben. Der Mann - ebenfalls Medizin-Student - glaubte, seine Freundin habe ihn angesteckt. Tests ergaben später, dass weder er noch seine Freundin positiv waren. Bereits zuvor soll es zu Streitereien gekommen sein, wenn seine Freundin hustete.

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Nach Ansicht des Kassationsgerichtshofs "haben die Richter nicht geprüft, ob die besonderen Umstände der Corona-Zeit und die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten Kriterien darstellen, die das Ausmass der strafrechtlichen Verantwortung beeinflussen". Das Oberste Gericht in Rom verwies den Fall daher zur erneuten Prüfung des Urteils zurück.

Politikerinnen kritisieren Argumentation des Gerichts

In Italien löste die Entscheidung Empörung aus. Mehrere Politikerinnen zeigten sich irritiert und kritisierten die Argumentation des Gerichts.

Elisabetta Lancellotta, Abgeordnete der rechtsextremen Partei "Fratelli di Italia" von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, äusserte Unverständnis für das Urteil. "Covid kann und darf nicht zu einem mildernden Umstand werden, insbesondere nicht in Fällen von Frauenmord", sagte sie. Während der Pandemie habe es in Italien einen erheblichen Anstieg von häuslicher Gewalt gegeben, wird Lancellotta von der italienischen Nachrichtenagentur Ansa zitiert. "Bei Gewalt gegen Frauen darf es keine mildernden Umstände geben - aus Respekt vor den Opfern und deren Familien."

Ähnliche Kritik kam aus anderen politischen Lagern. Michela Di Biase von der Demokratischen Partei schrieb auf Facebook: "In diesem Land wurden die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit von Mädchen und Jungen weitgehend ignoriert, werden jedoch als mildernder Faktor für einen Femizid angesehen. Die Nachricht der Entscheidung der Richter des Obersten Gerichtshofs, die lebenslange Haftstrafe für den Mörder von Lorena Quaranta aufzuheben, ist schrecklich. Ich bin sprachlos."

Die italienischen Grünen teilten ein Statement der Abgeordneten Luana Zanella. "Es scheint unmöglich, dass ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Covid-Stress als mildernden Faktor bei einem Femizid betrachten würde. Auf diese Weise wird die ideologische und kulturelle Infrastruktur des Patriarchats, die männliche Gewalt gegen Frauen befeuert, niemals zerstört."

Auch die Familie der getöteten Studentin meldete sich zu Wort. "Wir sind wirklich sehr empört und es gibt keine Worte, um zu beschreiben, was wir fühlen", sagte die Schwester der Getöteten der Zeitung "La Repubblica". "Sie hätte so viele Leben retten können. Und kurz vor dem Abschluss ihres Studiums wurde sie von dem Mann umgebracht, weil er 'von Corona gestresst' war. Das ist Wahnsinn."

Italien gehörte Anfang 2020 zu den ersten europäischen Ländern, in denen sich das Coronavirus dramatisch ausbreitete. Insbesondere Bergamo wurde zum Symbol des durch die Pandemie ausgelösten Leids. Die erschütternden Bilder von Militärlastwagen, die Särge mit Toten in Massen zur Einäscherung aus der Stadt abtransportierten, gingen um die Welt. (dpa/ank)

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